„Keiner hat uns in der Tasche“Wie die junge Partei Volt Köln politisch verändern will

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Rebekka Müller

Rebekka Müller

  • Sie sind Teil der Kölner Partei Volt: Jennifer Glashagen, Rebekka Müller und Pia Waldhof. Im ausführlichen Interview sprechen sie über ihre politischen Forderungen für die Stadt Köln, ihre Pläne für den Stadtrat und Hasskommentare, die sie bekommen.
  • Außerdem erklären sie, worauf die Stadt ihrer Meinung nach am ehesten verzichten könnte.
  • Lesen Sie hier das ganze Interview.

Köln – Sie waren die Überraschungssieger der Kölner Kommunalwahl: Die Partei Volt holte auf Anhieb fünf Prozent und ist jetzt als Fraktion mit vier Sitzen im Stadtrat vertreten. Ein Gespräch mit drei Vertreterinnen, Jennifer Glashagen, Rebekka Müller und Pia Waldhof, über Hasskommentare, politische Forderungen und die Kölner Großbaustelle Oper.

Klassische Parteien schrecken junge Menschen eher ab. Volt ist jung. Definieren Sie Partei einfach anders?

Glashagen: Definitiv. Wir verstehen uns eher als Bewegung. Schon das Wort Partei ist doch total unsexy. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, zum Stammtisch einer etablierten Partei zu gehen. Ich finde gut, dass Volt keine Jugendbewegung hat wie die SPD mit den Jusos. Dass man erst ein gewisses Alter erreichen muss, um in der eigentlichen Partei mitmachen zu dürfen, lehne ich ab. Offenbar finden viele gut, dass wir nicht so festgefahren sind.

Die Ziele von Volt sind vielen nicht bekannt. Ihre Partei in wenigen Sätzen?

Glashagen: Volt ist paneuropäisch, also länderübergreifend. Wir sind progressiv und denken aus dem Team heraus. Wir suchen nach guten, bereits vorhandenen Lösungen, um Herausforderungen und Probleme schnell anzugehen, da müssen wir das Rad nicht neu erfinden.

Jennifer Glashagen

Jennifer Glashagen

Müller: Wir setzen auf konstruktiven Dialog und Fakten – also das Gegenteil von Ideologie, besonders rechter Ideologie.

Wie ging es Ihnen mit Ihrem überraschend guten Ergebnis am Wahlabend?

Glashagen: Damit hatten wir nicht im Traum gerechnet. Es war natürlich das große Ziel, Fraktionsstärke zu erreichen. Als dann aber tatsächlich diese Zahl da stand und wir die AfD in den Balken „Sonstige“ verschoben hatten: Das war gigantisch. Wir waren völlig euphorisiert.

Wie ist Ihr Erfolg zu erklären?

Müller: Wir haben das Feedback bekommen, dass unser konstruktiver Politikansatz geschätzt wird. Viele wollen mitgestalten und dass sich etwas ändert in der Stadt, haben aber noch nicht die Partei gefunden, die das abbildet. Und dann kamen wir.

Bekommen Sie seit der Wahl auch Hasskommentare?

Waldhof: Natürlich ist unser Traum von einem vereinigten Europa gerade nationalistisch denkenden Menschen ein Dorn im Auge. Das haben wir in den sozialen Medien auch zu spüren bekommen. Wenn man auf einmal ernst genommen wird, kriegt man auch Gegenwind.

Haben Sie überhaupt schon viele Mitglieder in Köln?

Müller: Wir haben 120 feste Mitglieder. Seit der Wahl haben wir außerdem um die 120 neue Anfragen. Diese Anfragen prüfen wir derzeit.

Sie hatten auch einen OB-Kandidaten aufgestellt, Oliver Fuchs. Der hat ebenfalls ein gutes Ergebnis geholt, sitzt nun aber nicht in der Fraktion. Welche Rolle wird er spielen?

Glashagen: Nur, weil man nicht in der Kernfraktion ist, heißt das nicht, dass man nicht auch als sachkundiger Einwohner oder Bürger tätig ist. Und da wird  Oliver Fuchs uns als Fraktion weiterhin stark unterstützen.

Volt wird von einigen als akademische und eher elitäre Partei bezeichnet. In Stadtteilen wie Chorweiler und Porz haben Sie bei der Wahl deutlich weniger Stimmen bekommen als etwa in Ehrenfeld. Wie wollen Sie das ändern?

Waldhof: Vor Ort sein. Den Dialog aus dem Wahlkampf fortführen.

Glashagen: Wir waren ja auch in Chorweiler. Ich war sogar besonders gerne dort, weil die Menschen uns gegenüber sehr offen waren. Ich habe viele konstruktive Gespräche geführt, aber auch sehr viel Politikverdrossenheit erlebt. Darum ist es wichtig, nicht nur während der Wahlzeit präsent zu sein und zuzuhören.

Haben Sie Sorge vor dem politischen Klima im Stadtrat, in dem Sie künftig mit entscheiden?   

Glashagen: Mit Offenheit kommt man sehr viel weiter als mit Hemmungen und Sorge. Auch in meinem Beruf als Heilerziehungspflegerin setze ich ganz viel auf Kommunikation. Das wird sicher hilfreich sei.

Wie sehen Sie Ihre Rolle im Stadtrat?

Glashagen: Wir wollen vermitteln. Ich habe mir in meinen langen Nächten als stillende Mutter ja sämtliche Wahlprogramme durchgelesen. Die meisten haben doch ähnliche Ziele. Falls die eine oder andere Partei das im Rat im Streit vergisst, würden wir gerne vermitteln.

Die Realität sieht oft so aus, dass eine gute Idee, wenn sie von der falschen Partei kommt, abgelehnt wird.

Waldhof: Genau das wollen wir nicht machen.

Müller: Uns ist klar, dass wir die Ratskultur nicht von heute auf morgen ändern. Aber wenigstens wollen wir Impulse setzen.

Pia Waldhof

Pia Waldhof

Wer im Rat Erfolg haben will, braucht Mehrheiten. Mit wem wollen Sie zusammengehen?

Müller: Wir haben viele inhaltliche Punkte mit den Klimafreunden, aber auch mit den Grünen. Es gibt aber auch viele Überschneidungen mit der SPD. Darum haben wir keinen OB-Kandidaten in der Stichwahl unterstützt. Da, wo wir merken, dass eine Zusammenarbeit Erfolg haben kann, kooperieren wir.

Grün-Schwarz hat Sie also nicht sicher in der Tasche?

Müller: Niemand hat uns sicher in der Tasche.

Was unterscheidet Sie überhaupt von den Grünen?

Waldhof: Zum einen der Europagedanke. Wir sind eine echte paneuropäische Partei, das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Außerdem basiert unsere Politik strikt auf Fakten und Evidenzen, und da gibt es schon ein paar andere Strömungen bei den Grünen, die zum Beispiel der Homöopathie zugewandt sind.

Mal konkret am Beispiel Klimawandel: Was unterscheidet Sie von den Klimafreunden und den Grünen?

Müller: Wir sind pragmatischer. Das Ziel ist ja klar, aber wie erreichen wir dieses Ziel? Nicht durch Spaltung, einen massiven Generationskonflikt. Wir müssen konstruktive Kompromisse finden.

Kommen wir zu anderen wichtigen Themen in Köln. Ihre Position zur Ost-West Achse?

Glashagen: Wir würden gerne prüfen lassen, ob eine mehrgleisige Untertunnelung möglich ist. Und das nicht, damit oben mehr Autos fahren können, sondern damit ein lebenswerter Bereich entsteht und man den Platz viel besser nutzen kann – für Fußgänger, Fahrradfahrer, Festlichkeiten.

Ausbau des Geißbockheims?

Glashagen: Da wünschten wir uns, dass andere Standorte richtig geprüft werden und erst danach entschieden wird, ob es nicht doch sinniger wäre, das woanders hin zu bauen.

Wie stehen Sie zur weiteren Bebauung von Grünflächen?

Glashagen: Wir möchten keine neuen Flächen versiegeln. Auf jeden Fall nicht im innerstädtischen Bereich. Wir wollen 40 Prozent der neugebauten Wohnungen durch Aufstockung von beispielsweise einstöckigen Gebäuden.

Zu den Personen

Jennifer Glashagen (30) ist als Spitzenkandidatin für Volt in den Rat eingezogen. Die Heinsbergerin zog im Jahr 2008 nach Köln und arbeitet seither als Heilerzieherin in einem Wohnhaus für Menschen mit Behinderung. Glashagen ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Nippes.

Rebekka Müller (31) ist Vorsitzende der Kölner Volt-Ortsgruppe Volt. Die Berlinerin hat Betriebswirtschaftslehre studiert, als Unternehmensberaterin gearbeitet und lebt seit sechs Jahren in Lindenthal. Seit Januar leitet sie die Flugabteilung eines Reiseunternehmens.

Pia Waldhof (26) ist Pressesprecherin von Volt Deutschland und ist in Widdersdorf aufgewachsen. Sie macht einen Master in Internationale Beziehungen in Berlin, lebt aber seit Juli wieder in Köln. Bei Volt ist sie seit Januar 2019 aktiv.

Volt ist eine paneuropäische Bewegung, die 2017 als Reaktion auf den wachsenden Populismus gegründet wurde. Bei der Europawahl 2018 erreichte Volt einen Sitz und schloss sich der Fraktion der Grünen an. Der Altersdurchschnitt der Mitglieder beträgt 34 Jahre. Bei der Kommunalwahl erreichte Volt in Köln 4,98 Prozent aller Stimmen. (lh)

Sind mehr Hochhäuser eine Lösung?

Glashagen: Wir unterstützen energieeffiziente Hochbauprojekte, die den Blick auf den Dom nicht versperren.

Sind Sie für eine autofreie Innenstadt?

Glashagen: Autoarme Innenstadt. Es muss natürlich Lieferverkehr rein und es muss auch die gehbehinderte Oma abgeholt werden dürfen. Diese Menschen dürfen nicht vergessen werden. Der Pflegedienst muss auch mit seinem Auto da rein. Wir wünschen uns auch, dass sie Sonderrechte haben wie Taxen zum Beispiel, dass Pflegedienste nicht drei Blocks weiter parken müssen.

Sind Heizpilze für die Gastronomie in Corona-Zeiten okay?

Müller: Dazu haben wir noch keine klare Position. Heizpilze sind klimatechnisch wahnsinnig schwierig. Es gibt sicher gute Konzepte, wie man sie umgehen kann. Beispielsweise: Decken, Wärmflasche, Heizdecken.

Glashagen: Da könnte man auch wieder über den Stadtrand hinaus gucken. In Japan gibt es die Decken über dem Tisch und das Heizgerät unten drunter, damit der Po und die Beine schön warm bleiben. Das kann man auch wunderbar draußen machen, wird dort schon ewig gemacht – dort gibt es keine Heizpilze.

Wie stehen Sie zu einer City-Maut?

Glashagen: Können wir uns gut vorstellen. Singapur hat sogar eine City-Maut, die sich an der Uhrzeit orientiert. Das heißt, es ist die einzige asiatische Großstadt ohne Stau. Das Auto ist auch ein Luxusgut. Wenn man es so nutzen möchte, muss man auch den entsprechenden Preis zahlen. Wenn ich den Anreize habe, irgendwo parken zu können – zum Beispiel im Niehler Gürtel – und dann mit der Bahn in die Stadt zu fahren, wäre das die bessere Lösung für uns.

Muss die KVB kostenlos werden?

Glashagen: Wir finden es illusorisch, das jetzt schon zu fordern, weil wir alle kennen die KVB vor Corona: übelst voll. Langfristig hätten wir das gerne. Vorher ist es aber wichtig, zunächst den ÖPNV auszubauen. Deshalb wollten wir das 365 Euro Ticket kurzfristig.

Ist der Schulbau ein zentrales Thema für Volt?

Glashagen: Wir müssen neue Schulen bauen und die alten müssen besser ausgestattet werden. Wir haben marode Schulgebäude. Ich wohne ja am Niehler Gürtel - da waren teilweise die Fenster zugenagelt, weil man sie nicht öffnen konnte. Auch die schlechte Ausstattung der IT-Infrastruktur – darum kümmern sich häufig Lehrer in ihrer Freizeit. Deswegen sagen wir: Wir brauchen einen Chief Digital Officer mitsamt Team, der auch die Schulen unterstützt.

Das alles kostet viel Geld. Gibt es etwas, von dem Sie sagen: Brauchen wir nicht?

Müller: Man könnte sich mal die Oper angucken. Braucht man wirklich prestigeträchtige Projekte, die wahnsinnig lange schon Geld auffressen und im Nachgang nur einem sehr konzentrierten Klientel zur Verfügung stehen? Der Rest hat keinen Nutzen davon.

Waldhof: Natürlich muss man die Sanierung aber jetzt fertigstellen.

Begrüßen Sie, dass Köln als einzige Millionenstadt eine Frau an der Spitze hat?

Waldhof: Definitiv.

Müller: Klar. Das hat Vorbildfunktion für Gleichberechtigung.

Woran werden Sie in fünf Jahren Ihren Erfolg messen?

Glashagen: Wir wollen wichtige Themen umgesetzt haben. Da muss aber nicht unser Name draufstehen. Außerdem möchten wir unsere Arbeit sehr transparent machen. Das ist etwas, wo man uns messen kann und soll.

Waldhof: 2025 sollen die anderen Volt-Gruppen in Deutschland ihre Wahlplakate mit unseren Kölner Erfolgs-Beispielen schmücken.

Glashagen: Das wäre natürlich super, wenn in Düsseldorf stehen würde: Macht es wie Köln!

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