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Lebensgeschichte eines KölnersWie Otto Unger den NS-Terror überlebte

Lesezeit 4 Minuten
Otto Unger mit seiner Frau.

Otto Unger mit seiner Frau.

Brück – „Er war von den Nazis verfolgt worden, hat in einem Versteck in der Kölner Innenstadt überlebt und nach dem Zweiten Weltkrieg als Gymnasiallehrer in Deutz seinen Schülern die Demokratie gelehrt.“ So fasst Historiker Fritz Bilz die Lebensgeschichte von Otto Unger zusammen, die er nun für die Brücker Werkstatt für Ortsgeschichte als Buch veröffentlicht hat. Jetzt stellte er den Band mit einer Lesung in der Zentralbibliothek vor. Ungers Geschichte und die seiner Familie zeige exemplarisch, so Bilz, das Schicksal der Menschen auf, die in der Nazi-Zeit als „nicht arisch“ ausgegrenzt und verfolgt wurden, die in einer „privilegierten Mischehe“ lebten oder als „Mischlinge ersten Grades“ galten.

Für seine Recherchen zu Unger, der rund 30 Jahre lang in Brück lebte, hatte Bilz in Archiven, Melderegistern und Schulakten geforscht sowie Familienangehörige – vor allem den inzwischen 90 Jahre alten Sohn Hartmut Unger – und Zeitzeugen befragt. Herausgekommen ist ein Buch, das auf 135 Seiten die Biografie eines Mannes aufzeigt, der, so Bilz, „nach seiner Verfolgung nie verbittert gewesen ist und sein Schicksal nicht für den Unterricht instrumentalisiert hat. Darüber sprechen wollte er jedoch nicht.“

Otto Unger wurde am 25. Mai 1890 als zweites Kind der jüdischen Bankiersfamilie Anna und Oskar Martin Unger in Berlin geboren. Obwohl die Eltern und beide Großeltern jüdischen Glaubens waren, wurde er evangelisch getauft und konfirmiert. Nach Abitur und Studium promovierte er 1912 mit einer Arbeit über den mittelalterlichen Dichter Wolfram von Eschenbach an der Universität Greifswald. Nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg und einem Referendariat arbeitete Unger zunächst als Lehrer in West- und Ostpreußen, ehe er 1930 ans Gymnasium nach Siegburg versetzt wurde.

Ehe mit Nichtjüdin

1935 aufgrund der Nürnberger Rassen-Gesetze zwangspensioniert, zog die Familie 1936 nach Brück, lebte zunächst an der Lützerathstraße, anschließend Im langen Bruch. Seine Ehe mit einer Nichtjüdin wurde als „Mischehe“ erklärt, sein Sohn Hartmut galt offiziell als „Mischling ersten Grades“ oder als „Halbjude“. Doch in der Schule wurde dieser als „Jude“ beschimpft und es gab Klassenkeile – vom Volksschullehrer aus rassistischen Gründen organisiert. Während des Zweiten Weltkrieges wurde Unger zunächst als Fabrikarbeiter dienstverpflichtet. An diese Zeit erinnert sich Sohn Hartmut noch genau. „Im Sommer 1944 kam die Aufforderung, dass wir uns mit Handgepäck im Auffanglager Müngersdorf zu melden hätten. Als wir zur Straßenbahnhaltestelle Mauspfad gingen, rief uns ein Grafiker, der im Fenster lag, hinterher: »Da geht das Pack, endlich sind die Juden weg!«“

Als die Internierung in einem KZ anstand, konnten sie aus dem Deportationslager in Müngersdorf fliehen, doch die Familie wurde auseinandergerissen. Mutter und Sohn flohen bis nach Dessau, wo sie von den Amerikanern befreit wurden. Der Vater tauchte im zerstörten Köln unter und wurde von Karl Koch, dem damaligen Pfarrer von St. Alban, bis zur Befreiung des linksrheinischen Kölns durch die Amerikaner im März 1945 in einem Keller versteckt – etwa dort wo sich heute die Tiefgarage am Quatermarkt befindet.

Der Otto-Unger-Weg

In Brück erinnert eine Straße – der Otto-Unger-Weg im Neubaugebiet zwischen Olpener Straße und Königsforststraße – an den Lehrer. Die Namensgebung hatte die Kalker Bezirksvertretung auf Anregung der Brücker Geschichtswerkstatt beschlossen. (NR)

In Brück vereint

Im Spätsommer 1945 wurde die Familie wieder in Brück vereint. Nach dem Krieg ging Unger zurück in den Schuldienst – als Oberstudienrat am Deutzer Gymnasium Schaurtestraße. Übereinstimmend hätten ehemalige Schüler, so Bilz, berichtet, dass es für Unger, der „als strenger, aber gerechter Pädagoge“ galt, stets das Wichtigste war, demokratische Verhaltensweisen zu vermitteln, um „die Jugendlichen stark zu machen, nicht nochmals einer faschistischen Ideologie so blind zu folgen“. Unger führte lange vor der gesetzlichen Pflicht als Vertrauenslehrer an seinem Gymnasium die Schülermitverwaltung ein. Zehn Jahre nach seiner Pensionierung zog die Familie 1966 von Brück nach Bensberg. Unger starb am 31. Juli 1984 und wurde auf dem Ostfriedhof am Dellbrücker Mauspfad begraben.

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Die Biografie „Otto Unger“ von Fritz Bilz ist Band 14 der Werkstatt für Ortsgeschichte. Das Buch (15 Euro) und kann in allen Buchhandlungen oder beim Autor bestellt werden.

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