„Madame Violette” hört aufWarum das „Petite France” in Sülz nach 20 Jahren schließt

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20 Jahre lang hat Violette Horst das Petite France im Berrenrather Hof geleitet. 

20 Jahre lang hat Violette Horst das Petite France im Berrenrather Hof geleitet. 

  • Das Restaurant „Petite France” war 20 Jahre lang ein Stück Frankreich in Sülz.
  • Im Gespräch erklärt Wirtin Violette Horst, warum sie ihr beliebtes Lokal schließt und welche Pläne es für eine Nachfolge gibt.
  • Außerdem erzählt sie, wie sich Sülz in den letzten 20 Jahren verändert hat und ihre schönsten, unangenehmsten und skurrilsten Situationen mit Gästen.

Sülz – Es gibt in Sülz eine französische Ecke, gefühlt immer schon. Über der Eingangstür des Lokals an der Kreuzung Berrenrather/Sülzburgstraße steht in dicken Buchstaben „Petite France.“ Die Tür führt zu einem Stückchen Elsass, das die Restaurantbetreiberin Violette Horst aus ihrer Heimat importiert hat und die sie in urgemütlicher Atmosphäre auf weiß-rot-karierten Tischdecken serviert. Nach 20 Jahren schließt sie nun das beliebte französische Lokal zum Bedauern der vielen Stammgäste.

Frau Horst, warum schließen Sie das Petite France?

Violette Horst: Mein Vertrag mit dem Getränkegroßverlag und dem Eigentümer läuft Ende September aus. Ich werde dieses Jahr 65 und könnte ihn nur um fünf Jahre verlängern, aber dann bin ich 70 Jahre alt. Das ist mir zu viel. Ich bin schon 50 Jahre in der Gastronomie und habe in den vergangenen 10, 15 Jahren schon gemerkt, dass es körperlich schwieriger wird.

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Sie stammen aus dem Elsass, einer kulinarisch versierten Region...

Ja, ich komme aus Straßburg. Ich bin dort auch sozusagen schon hinter der Theke groß geworden. Meine Mutter hat jeden Tag für hundert Leute gekocht. Das Lokal „Routier“ gibt es heute noch. Es ist ein Fernfahrerlokal. Man sagt ja, wo viele LKW von Fernfahrern stehen, da gibt es gute Küche. Ich bin auch Gastronomin geworden und habe zehn Jahre in Raderberg das Haus Bernhards geführt. Dann bin ich vor 20 Jahren nach Sülz umgezogen, weil das Viertel attraktiver ist und ein jüngeres Publikum hier lebt. Das habe ich auch nie bereut. Ich habe hier viele treue Stammgäste. Die heulen mir jetzt alle die Ohren voll, weil ich aufhöre. Die Resonanz ist überwältigend. Bei den Gästen möchte ich mich tausend Mal bedanken. Es werden am letzten Tag auch noch viele Tränen fließen.

Was hat Sie denn nach Deutschland verschlagen?

Natürlich die Liebe. Ich habe einen deutschen Mann geheiratet. Nachdem ich die Hotelfachschule in Straßburg absolviert hatte, war ich ein Jahr in England, in Deutschland und dann in der Schweiz. Dort in der Schweiz habe ich eine Frau aus Glessen bei Pulheim kennengelernt. Sie gehört heute noch zu meinen besten Freundinnen. Sie hatte einen Freund, der Fußballer war. Ich habe sie besucht und wir sind dann an einem Sonntag zum Fußball gegangen. Mein Mann war der Trainer und so haben wir uns kennen gelernt. Ich bin dann auch sofort hiergeblieben. Ich bin dann zum Interconti in Pulheim gegangen, habe meine Zeugnisse vorgelegt und sie haben gesagt, dass ich bleiben kann.

Wie haben Sie denn vor 20 Jahren das Viertel Sülz erlebt?

Wir haben hier erst einmal zwei Monate umgebaut. Damals waren schon viele Leute neugierig, was hier einzieht. Und als ich dann geöffnet habe, hat es „wumm“ gemacht. Ich war monatelang überbucht. Ein französisches Restaurant war damals noch ein bisschen etwas Besonderes. Es gab noch nicht so viele Lokale in Sülz wie heute. Das Elsass war total angesagt. Die Leute mochten unsere selbstgemachten Flammkuchen, das Choucroute (Sauerkraut), die Schlachtplatte oder das Baeckeoffe. Ich hatte auch von Anfang an ein nettes gemischtes Publikum, ältere Leute, aber auch jüngere und Familien.

Inwieweit hat sich die Gastroszene denn seitdem in Sülz geändert?

Sie ist vielfältiger geworden. Es gibt Japaner, Chinesen und viele andere. Die Leute haben die Qual der Wahl. Und natürlich spürt man das. Wenn es nur vier Lokale in einem Viertel gibt, hat man viel mehr Publikum als wenn es 20 sind. Glücklicherweise haben dadurch aber auch alle meine Mitarbeiter sofort einen neuen Job gefunden. Sie sind nicht einen Tag arbeitslos. Die Gastronomiebetriebe suchen händeringend gute Leute, die zuverlässig sind und mit dem Gast umgehen können.

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Was ist denn wichtig im Umgang mit dem Gast?

Man muss schon auch ein kleines Gespräch führen, darf dabei aber nicht zu persönlich sein, dass man mal mit den Menschen lacht. Die kommen manchmal abgearbeitet vom Job, wo sie vielleicht Stress mit dem Chef hatten und sind total frustriert. Die muss ich dann erst einmal herunterholen. Ich sage dann: „Kommen Sie, trinken Sie erst einmal einen Aperitif, und dann schauen Sie in die Karte.“ Am Ende bedanken sie sich dafür, dass sie so einen schönen Abend gehabt haben. Gastronomie ist Diplomatie, ein Feeling für den Gast. Man muss auch Menschenkenntnis haben und möglichst mit Charme mit ihren Verhaltensweisen umgehen können.

Welche Verhaltensweisen meinen Sie?

Da kommen Gäste rein, knallen die Tasche auf den Tisch, das Handy, das Portemonnaie und die Brille. Dann wird die Serviette zusammengeknüllt und dazu gelegt. Da sage ich dann immer: „So, und jetzt räumen Sie erst einmal den ganzen Krempel hier weg.“ Das kann ich mir auch leisten, weil ich nicht mehr 20 bin. Es kommt immer darauf an, in welchem Ton man das sagt. So rutscht mir auch manchmal etwas heraus. An einem Abend saß hier beispielsweise eine pummelige Dame, die sagte, sie würde so gerne ein Dessert essen, aber sie müsste auf ihre Linie achten. Ich fragte daraufhin: Welche Linie denn? Da lachten alle am Tisch. Und sie lachte am lautesten.

Was war das schönste Erlebnis mit Gästen?

Ich war einmal in Straßburg mit dem Hund meiner Schwester unterwegs. Dort traf ich auf eine Gruppe von Leuten, die Fotos von sich machten. Ich hörte, dass sie Deutsch sprachen und fragte, ob ich einmal ein Foto von allen machen soll. Sie bedankten sich und fragten, wo ich denn herkomme. Ich sagte, dass ich aus Straßburg komme, aber in Köln lebe. Es stellte sich heraus, dass sie auch Kölner waren. Sie kamen zwar aus anderen Vierteln, kommen aber seitdem regelmäßig zum Essen zu mir. Seit zehn Jahren sind sie zwei, drei Mal im Jahr hier.

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Gab es auch skurrile Situationen?

Einmal im Hochsommer bei 35 Grad kam eine Frau in so einer Art Kittel herein und fragte, ob ich einen Tisch für sie habe. Sie warte auf ihren Mann, der komme aus Wuppertal. Und dann habe ich gefragt, wo sie denn wohnt. Das wusste sie nicht genau. Ich fragte, ob sie denn einen Wohnungsschlüssel dabei hat. Sie legte dann so einen großen Schrankschlüssel auf den Tisch. Da wussten wir, dass sie wohl an Alzheimer oder etwas ähnlichem leidet und irgendwo ausgebüxt ist. Wir haben einige Heime in der Nachbarschaft angerufen. Dort wurde sie aber nicht vermisst. Dann habe ich die Polizei gerufen und gebeten, die Dame ins Krankenhaus zu bringen. Denn sie war schon dehydriert. Ich habe ihr zwar Wasser gegeben, aber die Gefahr, dass sie weiter wandert war groß. Später erzählt mir einer der Polizisten, dass sie in Zollstock aus einem Seniorenheim ausgebüxt war.

Wie geht es weiter mit dem Lokal und was machen Sie jetzt?

Es gibt Verhandlungen mit einem Lokal, das den Laden übernehmen möchte, aber es ist noch kein Vertrag unterschrieben. Und ich werde sicherlich nicht zu Hause auf der Couch sitzen und Däumchen drehen. Ich habe ein Leben lang so viele Menschen um mich herum gehabt. Und die brauche ich. Viele Kollegen haben schon vorgeschlagen, dass ich ihnen helfen kann. Ich muss aber erst einmal alles abwickeln und dann will ich den ersten langen Urlaub meines Lebens machen. Ich mache in der Provence zusammen mit meiner Schwester eine Kur.

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