„Man braucht ein dickes Fell“Kölner PR-Beraterin arbeitet jetzt an Supermarktkasse

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PR-Beraterin Shushila Pandya arbeitet derzeit im Rewe-Supermarkt an der Kasse.

  • Solo-Selbstständigen brechen in der Corona-Krise die Aufträge weg und haben andererseits viel freie Zeit.
  • So ergeht es auch der Kölner PR-Beraterin Shushila Pandya. Die Krise hat sie tief getroffen. Viele Projekte liegen auf Eis, die Raten für das Haus laufen weiter.
  • Und anstatt sich die 73. Serie bei Netflix anzuschauen, sitzt sie nun im Rewe-Supermarkt an der Kasse, „da braucht man ein dickes Fell“. Wir haben mit ihr über diese besondere Erfahrung gesprochen.

Köln – Ob Musiker, Schauspieler oder Webdesigner: Millionen von Freiberuflern macht die Corona-Krise zu schaffen. Den Solo-Selbstständigen brechen die Aufträge weg und haben andererseits viel freie Zeit. Die Kölner PR-Beraterin Shushila Pandya (35) hat aus der Not eine Tugend gemacht und hilft seit einigen Tagen in einem Supermarkt in Brück aus. Dort hat sie einen Blick auf Mitarbeiter des Marktes, die bis an die Grenzen des Möglichen arbeiten und Kunden, deren Nerven mitunter blank liegen.

Die Corona-Krise hat Pandya tief getroffen. „Ich bin 1985 geboren und ich kenne überhaupt keine Einschränkungen im Leben“, sagt sie. Man habe mit den entsprechenden Schulnoten fast jedes Fach studieren können, in fast jedes Land reisen können, habe materiell keine Not gelitten. „Ich dachte, ich kann alles“, sagt sie. Und nun plötzlich Corona. „Für den Kopf war das ganz schrecklich.“

Nun kommt der Rückschlag mit dem Virus

Neben dem Unbehagen kommen handfeste materielle Probleme dazu. Erst im vergangenen Jahr hatte sich Pandya selbstständig gemacht. Einen festen Kundenstamm hatte sie aus ihren früheren Jobs in Beratungsfirmen und Agenturen mitgebracht. Sie hatte sich verlobt, das Paar legte sich ein Haus in Brück zu. Es lief, es lief gut. Nun kommt der Rückschlag mit dem Virus: „70 Prozent der Aufträge sind weggefallen“, sagt Pandya. Messen wurden abgesagt, Pressemappen, die sie für Kunden erstellen sollte, werden nicht mehr benötigt. Viele Projekte liegen auf Eis, die Raten für das Haus laufen weiter. „Ich hatte schlaflose Nächte und Nächte mit Alpträumen.“

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Corona war bei Shushila Pandya auch aus einem anderen Grund ein nicht abstraktes Phänomen im Fernseher, sondern schnell sehr konkret. Ihr Verlobter war Anfang März zu Gast im österreichischen Ischgl, jener Urlaubsort in Tirol, der sich später als Drehscheibe für das Coronavirus entpuppt hat. Weil er aus einem Risikogebiet kam, musste er 14 Tage lang in Quarantäne. Das ging räumlich im Haus ganz gut, jeder der Partner hatte eine Etage für sich. Aber mit der Zeit fiel Pandya die Decke auf den Kopf. „Ich konnte mir nicht die 73. Serie auf Netflix angucken. Ich war richtig genervt.“

Kölner PR-Beraterin arbeitet bei Rewe-Supermarkt an der Kasse

Eines Tages hat sie auf dem Weg nach Hause gesehen, dass im Rewe-Supermarkt im Viertel ziemlich viel zu tun war. Pandya hat nicht lange nachgedacht, sondern gefragt, ob sie aushelfen könne. „Es ging mir nicht um das Geld“, sagt sie, „ich wollte einfach irgendetwas Sinnvolles tun.“ Ein paar Tage später durfte sie eine halbe Stunde einer Kollegin an der Kasse über die Schulter sehen – und wurde dann ins kalte Wasser geworfen. „Ich dachte: Hoffentlich stimmt am Ende die Kasse.“ Seitdem arbeitet sie zehn Stunden, verteilt auf drei Tage, im Supermarkt.

Die Schicht beginnt um 6.30 Uhr. Dann muss Pandya Waren in die Regale einräumen, eine halbe Stunde später erwarten sie an der Kasse die ersten Kunden. Als Kassiererin im Supermarkt zu arbeiten gehört ohnehin zu den unterschätzten Berufen in Deutschland, in Zeiten von Corona ist es eine Herausforderung. „Wir waschen uns so oft die Hände, dass sie ganz rot sind“, sagt Pandya. Es wird viel desinfiziert, es gibt Markierungen für die Kunden, damit sie die richtigen Abstände einhalten und Scheiben an den Kassen, um die Angestellten zu schützen. Mitarbeiter der Security flankieren die Arbeit des 15 bis 20-köpfigen Teams.

Kunden kommen zu Hamstereinkäufen

Das scheint auch mitunter erforderlich. Denn es gibt natürlich die Kunden, die zu Hamstereinkäufen kommen. Leute, die zwölf Flaschen Öl kaufen. Rentner, die eigentlich nicht in den Supermarkt gehen sollten, weil sie zur Hochrisikogruppe zählen. Viele Kunden, die sich über fehlende Produkte und Warteschlangen ärgern. Viele, denen die Geduld fehlt. Manche sind nur grantig, manche haben Pandya auch schon angebrüllt. „Man braucht ein dickes Fell“, sagt sie. Andererseits gibt es auch die Menschen, die sehr freundlich sind. „Manche kaufen den Mitarbeitern Schokolade als Zeichen der Anerkennung.“

Wie es weiter geht, ist noch unklar. Erst vor wenigen Tagen hat Pandya die Soforthilfe beim Land NRW für Solo-Selbstständige beantragt. Die in Aussicht gestellten 9000 Euro könnten ihr helfen, die Durststrecke zu überbrücken. Die Rücklagen sind nämlich noch überschaubar. „Der März ist abgefrühstückt, den April schaffe ich auch noch.“ Den Job im Supermarkt wird sie wohl wieder aufgeben, wenn die Krise ausgestanden ist. Aber es ist eine Erfahrung, die Eindruck hinterlassen wird.

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