„Ich bin ganz vorsichtig“Das sagen kölsche Franzosen zum EM-Auftakt gegen Deutschland

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Epicerie Boucherie in der Kölner Südstadt 

Köln – „Sich in Rhythmus bringen“ ist das, was Eric Menchon derzeit umtreibt. Einerseits, weil der Zwei-Sterne-Koch vom Kölner Spitzenrestaurant „Le Moissonnier“ ab kommenden Dienstag, 22. Juli, nach fast einem Jahr Corona endlich wieder richtig arbeiten kann. Und wer einmal das Zusammenspiel eines eingegroovten Küchenteams in der Top-Gastronomie erlebt hat, weiß, wie wichtig eine perfekte Abstimmung  und das Miteinander aller ist, um 60 Gäste gleichzeitig mit Gourmetküche zu verwöhnen.

Kölner Zwei-Sterne-Koch: Mit 1:0 für Frankreich zufrieden

Andererseits, und da ist der bekennende Olympique-Marseille-Fan sicher, ist dieser Teamspirit auch im Fußball neben allem Talent entscheidend. Besonders bei einem großen Turnier wie der Europameisterschaft. Und vor dem ersten Spiel, so Menchon, wisse man eben nicht, ob die eigene Mannschaft das auch verinnerlicht habe. Eine Frage, die deutsche und französische Fans vor dem ersten Gruppenspiel eint. Die Partie ist eigentlich eher ein Halbfinale, es geht also von Null auf Hundert zwischen dem amtierenden zweifachen und dem vierfachen Weltmeister.

„Ich bin ganz vorsichtig“, sagt Menchon, „alle sagen, die deutsche Defensive wäre schlecht, aber Deutschland ist eine Turniermannschaft. Mit einem 1:0 wäre ich mehr als zufrieden. Das können wir schaffen.“ Doch schon trübt  Skepsis seinen vorsichtigen Optimismus. „Ich kenne meine Franzosen. Der Mbappé hat, seit er Weltmeister ist, einen Kopf wie eine Melone“, lästert er über die Hochnäsigkeit des Supertalents vom OM-Erzrivalen Paris St. Germain.

Mit Neymar in einer Mannschaft zu spielen tue dem Youngster auf Dauer nicht gut. Was Menchon Hoffnung macht, ist Trainer Didier Deschamps: „Der findet die richtige Mischung aus Stimmung, Einstellung und Talent.“ Und Karim Benzema bringe im Sturm eine neue Qualität in die Truppe.

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Anschauen wird der Sternekoch das Spiel mit seinem Freund Jacques Merlé, seines Zeichens der wohl beste französische Bäcker der Stadt. „Wir werden grillen bei Jacques auf dem Balkon.“ Das Essen sei an so einem Abend nur Nebensache, Würstchen und Entrecote würden genügen. Wichtiger sind die Getränke: einen kalten Pastis zum Aperitif und dann während des Spiels einen Rotwein.

WM 1982: Schumacher gegen Battiston

Spätestens beim Aperitif kommen dann die alten Geschichten hoch. „Kein Franzose wird dieses Spiel vergessen – 1982. Das Spiel, das wir nie verlieren durften.“ Die Franzosen führten 3:1 in der Verlängerung, und verloren im Elfmeterschießen. Im WM-Halbfinale. Zuvor hatte der deutsche Keeper Toni Schumacher Mittelfeldspieler Battiston mit der Hüfte abgeräumt – der Franzose kam ins Krankenhaus, die Equipe Tricolore verlor.

„Irgendwann kam mein Patron Vincent Moissonnier in die Küche und hat gesagt, der Tünn hat einen Tisch bestellt. Da habe ich gesagt, für den koche ich nicht.“ Hat er dann doch, und Schumachers Toni kommt bis heute ab und zu ins Restaurant. „Ein echt netter Typ, der Toni“, sagt Menchon. Und grübelt weiter über den Teamgeist 2021. Dafür gäbe es in Frankreich eine Redewendung: „Wir werden sehen, ob die Mayonnaise gelingt oder gerinnt.“

Spiel im Kölner Bistro Epicerie Boucherie

Die Lust am Fußball ist David Boucherie mittlerweile vergangen. Er habe an Glaubwürdigkeit eingebüßt, findet der französische Gastronom. „Zu viel Geld, zu viele kapitalistischen Mächte“ seien am Werk. Dennoch wird er das EM-Vorrundenspiel in seinem Bistro „Epicerie Boucherie“ in der Südstadt zeigen – denn sein Lokal dient auch als Treffpunkt für kölsche Franzosen.

Boucheries Euphorie ist zwar gedämpft, doch sein Favorit bleibe eindeutig die französische Elf: „Klar, ich bin für Frankreich, anders geht es nicht. Ich glaube an ein drei zu null“, sagt der 51-Jährige. Zwischen Deutschen und Franzosen herrsche eine besondere Rivalität. „Ob Kriege, oder Fußball: Da wird viel hinein projiziert“. Ereignisse aus vergangenen Turnieren hielten sich hartnäckig im kollektiven Gedächtnis seiner Landsleute: Auch ihm fällt als erstes der berüchtigte „Thriller von Sevilla“ ein, bei dem Battiston zwei Zähne verlor. Als „Trauma“ bezeichnet Boucherie das brutale Foul.

Bei Clémence Vilaine ist die Vorfreude hingegen groß: Sie fiebert für die deutsche Mannschaft. Die Mitarbeiterin des Institut Français am Sachsenring ist allerdings von der Leistung von Jogi Löws Elf enttäuscht: „Ich finde, dass die in letzter Zeit ziemlich unsicher wirken, dagegen funktioniert die Teamarbeit bei der französischen Mannschaft zur Zeit gut“, sagt die 28-Jährige.

Dass Vilaines Herz für beide Mannschaft schlägt, verdankt sie einem Austauschprogramm. „Ich war vor 13 bei einem Austausch in Deutschland, da war auch EM. Da habe ich erst die Liebe zum Fußball entdeckt“, erzählt die Französin.

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