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„Mit den Blicken ausgezogen“Kölnerin schreibt sexuelle Sprüche auf Asphalt

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Maresa kreidet auf ihrem Instagram-Account Catcalls of Cologne verbale sexuelle Belästigung in Köln an.

Köln – Als Maresa die Kreide auf den Boden ansetzt, reckt eine Passantin ihren Hals nach ihr. Ein Mann bleibt wenig später stehen: „Du wirst von uns flachgelegt“, steht da nun auf dem Asphalt. Die Mädchen, denen diese Situation widerfahren ist, waren 13 und 14 Jahre alt.

Seit Monaten ist das Ankreiden anzüglicher Sprüche und verbaler sexueller Belästigung im öffentlichen Raum ein zeitintensives Herzensprojekt der 27-jährigen Studentin. Sie hat im Sommer den Instagram-Account „Catcalls of Cologne“ gegründet und bereits mehrere Tausend Abonnenten. Ihr Ziel: „Wir wollen für die Person den Ort des Geschehens zurückerobern und ihr eine Stimme geben. Denn häufig schreitet in dem Moment niemand ein, und man fühlt sich allein gelassen“, sagt die Filmstudentin, die ihren Nachnamen nicht öffentlich machen will, da sie für ihr Engagement auch „enormen Gegenwind“ zu spüren bekommt – in Form von Hassnachrichten oder sogar Beleidigungen vor Ort. Dabei sei gerade das absurd: „Selbst beim Ankreiden wird man belästigt. Aber die positiven Kommentare überwiegen zum Glück“, sagt Maresa.

Filmstudentin macht traumatische Erfahrung in Köln

Täglich landeten mehrere Nachrichten von Frauen und auch Männern in ihrem Postfach: Die Erlebnisse reichen von Hinterherpfeifen, Beleidigungen bis hin zum öffentlichen Masturbieren. Auch Maresa hat traumatisierende Erfahrungen gemacht. „Ich habe es noch nicht geschafft, meine eigene Geschichte anzukreiden. Dafür brauche ich seelische Unterstützung“. Ein Sommerabend in Köln: Maresa und ihre Freundin wollen zur Bahn. Sie müssen an einer Gruppe von vier bis fünf Männern vorbei, um zur Haltestelle zu gelangen. Nach dem ersten Anmachspruch wittert Maresa Gefahr. „Wir wussten, dass sie uns mit ihren Blicken ausziehen und ekelhafte Sprüche loslassen. Da sind wir schneller geworden. Sie sind uns bis zur Haltestelle gefolgt, es wurde bedrohlich“. Situationen wie diese sind keine Ausnahme im Alltag von Frauen. 

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Weil verbale sexuelle Belästigung keine Straftat ist, wogegen sich eine aktuelle Petition mit bisher rund 68.000 Unterschriften wendet, hätten die Täter keine Skrupel. „Catcalling“ ist in der Gesellschaft tief verankert. Dass das Bewusstsein für das Problem fehlt, äußere sich bereits im Begriff. „Der ist total euphemistisch und bezeichnet Frauen als Katzen. Im Deutschen haben wir nicht einmal eine Bezeichnung“, so Maresa. Sie stachelt den öffentlichen Diskurs mit ihrem Account an und will bald auch mit Aufklärungsarbeit in Schulen beginnen. Wenn sie ihren Master beendet hat, möchte sie das Problem auch mit feministischen Filmprojekten angehen.

Klar, am Anfang sei es beklemmend gewesen, die vulgärsten Äußerungen zu verschriftlichen. Das war ihr Gefühl, als sie vor einem Jahr die Gründerin des New Yorker Pendants „Catcalls of New York“ Sophie Sandberg kennengelernt hat. „Ich war im Rahmen einer Studiereise in den USA. Ich habe ihr geschrieben – sie hat über 100.000 Abonnenten –, und sie hat mir tatsächlich geantwortet. Also haben wir uns getroffen, gequatscht und haben zusammen angekreidet“.

Bald schon habe sie das positive Feedback der Leute als sehr erfüllend empfunden. Also holte sie die Aktion auch nach Köln – mit 180 Menschen von internationalen Catcalling-Profilen sei sie vernetzt. Hier stemmt Maresa das Projekt mittlerweile nicht mehr allein. „Ich habe ein Team aus zehn Personen, die mir ehrenamtlich helfen, wenn sie Zeit haben“. Auch ein Mann sei dabei. „Der arbeitet im KFZ-Bereich und es war mit Sicherheit zunächst nicht einfach für ihn“.

Auch Männer werden Catcalling-Opfer

Denn auch wenn die meisten weiblich sind, gebe es auch Männer unter den Opfern. Nur die meldeten sich häufig nicht. „Sie haben einfach eine höhere Schamgrenze, weil das von der Gesellschaft abgetan wird: Ja, sei doch ein Mann, sieh das als Kompliment.“ Die Gegenstimmen relativierten das Problem immer. „Stell dich nicht so an, haben wir nicht andere Sorgen? Man kann ja gar nichts mehr sagen“ sei häufig der Einwand. Doch „Catcalling“ ist eben kein Kompliment auf Augenhöhe. „Man könnte sagen, ich finde deine Ausstrahlung sympathisch. Aber es muss doch nicht dieses auf den Körper reduzierte sein, bei dem man als Objekt gesehen wird“. Die Täter möchten Dominanz und Macht demonstrieren. Es ginge ihnen nicht um respektvolle Annäherung. „Wenn der- oder diejenige sagt, sie fühlt sich belästigt und unwohl, dann zählt das für mich schon zu verbaler sexueller Belästigung und sollte ernstgenommen werden.“

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