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Rückgabe verbotenKölner Ärzte müssen Zehntausende Corona-Impfdosen verfallen lassen

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Impfdose Astrazeneca

Arztpraxen und Impfzentren werden vor allem den Impfstoff von Astrazeneca nicht los. (Symbolbild)

Köln – In Kölner Arztpraxen drohen zehntausende Impfdosen zu verfallen. Noch wäre es möglich, sie rechtzeitig umzuverteilen. Dass dies gelingen wird, scheint allerdings unwahrscheinlich. Keine der handelnden Institutionen sieht sich unmittelbar in der Verantwortung – und den Praxen bleibt kaum Handlungsspielraum. Ende vergangener Woche haben mehrere Ärztinnen und Ärzte darum gebeten, übrig gebliebene Dosen an die Stadt abzugeben, damit diese im Impfzentrum oder bei aufsuchenden Impfaktionen verwendet werden können.

Doch genau dieses Vorgehen sei der Stadt ausdrücklich vom Gesundheitsministerium NRW untersagt worden, so ein Sprecher. Das Impfzentrum dürfe ausschließlich Impfstoff annehmen und verimpfen, der entweder direkt durch den vom Ministerium beauftragten, qualitätsgesicherten Transport angeliefert oder für betriebsärztliche Impfungen direkt an das Impfzentrum geliefert wurde. Auch Apotheken hätten die Möglichkeit, übrig gebliebenen Impfstoff an die Stadt zurückzugeben. „Alle anderen Impfstoffe dürfen sowohl aus rechtlichen als auch aus qualitativen Gründen nicht angenommen werden“, so der Sprecher. Der Grund: In den Arztpraxen könne nicht gesichert werden, dass die vorgeschriebene Kühlkette ordnungsgemäß eingehalten werde.

Annahme von Astrazeneca-Impfdosen nicht gestattet

Auf Anfrage bestätigte das Ministerium, dass eine Annahme von Impfdosen des schwedisch-britischen Herstellers Astrazeneca nicht gestattet sei, „da dieser momentan in den Impfzentren kaum zur Anwendung kommt“. Unter bestimmten Voraussetzungen sei die Abgabe anderer Impfstoffe theoretisch aber möglich. Vielmehr obliege es den Kommunen, abzuwägen, „inwiefern sichergestellt werden kann, dass der ihnen angebotene Impfstoff die erforderlichen qualitativen Voraussetzungen erfüllt“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Sie bezieht sich damit auf eine Allgemeinverfügung des Bundes, die am 14. Juli in Kraft getreten ist. Die Entscheidung über die Annahme des Impfstoffes würde damit also bei der Stadt Köln liegen.

Entgegen dieser Erlaubnis wurde der Stadt nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ allerdings in einer Videokonferenz mit dem Ministerium untersagt, übrige Spritzen aus den Praxen selbst einzusetzen. Doch kann sich das Land auch langfristig gegen die Vorgaben des Bundes stellen? Rein theoretisch wäre das möglich. Am heutigen Mittwoch wird ein entsprechender Erlass des Ministeriums zu diesem Thema erwartet. Der Inhalt ist noch unklar. Zu erwarten ist aber, dass das Land am bisherigen Vorgehen festhalten wird, um nicht für mögliche Lager- oder Transportschäden der Impfstoffe haften zu müssen.

Ärzteschaft kritisiert Haltung des Ministeriums

In der Ärzteschaft trifft die Haltung des Ministeriums auf Unverständnis. Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Köln, hält es für „moralisch nicht vertretbar“, Impfdosen verfallen zu lassen. „Es herrscht nach wie vor Impfstoffmangel und ich kann aus ärztlicher Sicht nicht sagen, dass ich guten Gewissens den Impfstoff wegschmeißen kann. Das geht gegen meinen Eid“, sagt Zastrow: „Woanders auf der Welt sterben Menschen, weil sie den Impfstoff nicht bekommen.“

Allein in seiner Praxis seien 1200 Impfdosen betroffen. „Und wenn ich herumfrage, etwa bei drei benachbarten Praxen, dann haben wir zusammen schon 3000 Impfdosen, die verfallen werden.“ Es handele sich in Köln „mit Sicherheit um Zehntausende von Dosen“. Das Problem betrifft vor allem den Impfstoff von Astrazenca. Die vorhandenen Dosen waren ursprünglich für Zweitimpfungen eingeplant, seit der neuen Stiko-Empfehlung für Kreuzimpfungen finden sie aber kaum mehr eine Verwendung. Denn statt einer Astrazeneca-Dose soll hierbei ein mRNA-Impfstoff für die Zweitimpfung verwendet werden.

Apotheken dürfen Impfstoff zurückgeben

Aus Sicht von Jürgen Zastrow „schlägt hier einmal mehr die rechtliche Betrachtungsweise die moralische Pflicht. Das finde ich nicht in Ordnung.“ Die Apotheken dürfen Impfstoff zurückgeben, die Praxen aber nicht – denn rechtlich ist bei Impfstoffen aus Arztpraxen, die letztlich an anderer Stelle verwendet werden, nicht klar, wer für einen unversehrten Zustand der Mittel haftet. Werden Impfstoffe nicht ständig bei der richtigen Temperatur gekühlt, drohen sie ihre Wirkung zu verlieren.

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Dass den Hausärzten in dieser Frage politisch offensichtlich nicht vollständig vertraut wird, führt im Kölner Gesundheitsamt zu Irritationen, ist zu hören. Die Lieferungen an die Praxen beschreibt Zastrow als einen „way of no return“: Wurde eine Ampulle an eine Praxis geliefert, muss sie in einer Praxis verimpft werden. Das Ministerium rät den Ärztinnen und Ärzten, übrige Dosen untereinander nach Bedarf zu verteilen. Doch Zastrow sagt: „Wir können sie nicht verwenden und darum werden sie bei uns verfallen.“

Problem geht weit über Köln hinaus

Auch Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein, hält das derzeitige Vorgehen für falsch. Das Problem betreffe vornehmlich den Impfstoff von Astrazeneca. Die Dosen dieses Herstellers würden teilweise bereits im August ablaufen „und viele Praxen sie bis dahin nicht mehr verimpft bekommen, weil die meisten Patienten jetzt bei der Zweitimpfung Biontech nehmen.“ Es sei für die Hausärzte derzeit „äußerst schwierig“, den Impfstoff von Astrazeneca loszuwerden.

Das Problem verfallender Impfdosen geht weit über Köln hinaus. Es hat „eine brisante Dimension“, sagt Oliver Funken. „Wir reden bei uns mit Sicherheit von 100.000 Impfdosen, die zu verfallen drohen.“ Allein im Bereich seines Verbandes sei das der Fall. In der praktischen Umsetzung der Impfkampagne „haben wir uns mal wieder selbst unser Grab geschaufelt“, so Funken. Er hält die Kühlketten für ein vorgeschobenes Argument: „Ich glaube eher, dass auch in den Impfzentren Astrazeneca nicht mehr weggeht und davon will man ablenken.“ Der Umstand, dass Dosen zu verfallen drohen, werde politisch weitgehend ignoriert.

Ärzte sehen Teilverantwortung bei der Stiko

Eine Teilverantwortung für die Situation sieht Jürgen Zastrow auch bei der Ständigen Impfkommission (Stiko). Diese habe den Astrazeneca-Impfstoff „durch ihr ständiges Hin und Her bei den Empfehlungen zerstört“. Der Impfstoff sei durch mehrfach geänderte Vorgaben zum Impfabstand, zu Altersgruppen und zur Zweitimpfung unbeliebter geworden. „Das macht doch niemand mit“, sagt er. Auch Oliver Funken kritisiert: „Astrazeneca wurde totgeredet.“

Jürgen Zastrow wünscht sich ein Vorgehen, bei dem übrig gebliebene Dosen aus den Praxen zurückgenommen und an Länder verteilt werden, denen es an Impfstoff mangelt. Wie zu erfahren war, unterstützt auch das Kölner Gesundheitsamt die Idee, übrige Dosen unbürokratisch an bedürftige Länder abzugeben. Dafür allerdings wäre ein Beschluss des Bundes notwendig, den es bislang nicht gibt.

Oliver Funken denkt, dass der Impfstoff auf diese Weise nicht umverteilt werden kann. „Das wird nicht funktionieren, das wissen wir aus verschiedenen vorherigen Erfahrungen“, sagt Funken. Er fürchtet: „Ein Großteil des übrigen Impfstoffs wird verfallen.“

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