Abo

„Schön, dass du da bist!“Was wir in Corona-Zeiten vom Kölner Dom lernen können

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt (4)

Eine kleine Dom-Entdeckung: Das Selbstbildnis des berühmten Meister Gerhard.

  • Eine Dombesichtigung ist glücklicherweise auch zu Corona-Zeiten unbedenklich.
  • Also haben wir uns auf den Weg gemacht – und mit Barbara Schock-Werner einige neue Details am Wahrzeichen der Stadt entdeckt.
  • Lesen Sie hier auch weitere PLUS-Kolumnen von Barbara Schock-Werner.

Köln – Der Dom steht noch. Natürlich steht er, auch wenn um ihn herum gerade vieles ins Wanken geraten ist. In diesen Tagen tut es mir besonders gut, gelegentlich den Kopf in den Nacken zu legen, an den Türmen hoch in die Sonne zu blinzeln und dem Dom wie einem lieben, alten Freund zu sagen: „Schön, dass du da bist!“

Dass mir der gewohnte, auch vielen von Ihnen vertraute Besuch in der Kathedrale gerade jetzt unmöglich ist – das ist bitter. Aber ich denke mir: Es kommen auch wieder andere Zeiten, und manchmal schätzt man das, was man entbehren muss, danach ja umso mehr. Ich nehme das Ganze also jetzt mal als „Domfasten“.

Das muss aber kein Totalverzicht sein. Spazierengehen im Schatten des Doms ist weiterhin erlaubt, wenn man sich an die Regeln hält. Und vielleicht zieht es auch Sie in den Tagen um Ostern herum einmal in die Nähe der Kathedrale. Kommen Sie allein oder zu zweit! Kommen Sie niemandem zu nahe! Fassen Sie nichts an, was man bei Kunstwerken ja auch in Corona-freien Zeiten nicht tun sollte! So nehme ich Sie in dieser neuen Folge meiner Kolumne, die jetzt – wie der in Kürze erscheinende Sammelband – „Dom-Geschichten“ heißt, gern mit auf einen kleinen Rundgang um den Dom. Gehen Sie mit mir auf die Suche nach Details, die sonst leicht übersehen werden!

Alles zum Thema Barbara Schock-Werner

Kölner Dom: Engel mit Lockenkopf am Hauptportal

Ich beginne dort, wo jeder Dombesuch beginnt: Am Hauptportal im Westen. Es ist nach der Marienfigur in der Mitte benannt. Normalerweise achtet keiner auf die geöffneten hölzernen Türen, die mit Bronzeplatten verkleidet sind. Um deren künstlerische Gestaltung gab es in den 1880er Jahren einen langen Streit. Gewünscht war Ornamentik, kein Bildprogramm.

Herausgekommen sind von dem Kasseler Maler und Bildhauer Hugo Schneider (1841 bis 1925) geschaffene Mischwesen, Engel oder der legendäre Pelikan, der sich für sein Junges die Brust aufreißt, um es mit seinem Blut zu nähren. Zu Herzen geht der fast schon nach Jugendstil aussehende Engel mit dem Lockenkopf, der den Türgriff bildet und der von ungezählten Berührungen der Besucher ganz blank poliert ist. Vor dem Weitergehen schauen Sie nach rechts oben. In der zweiten Baldachin-Reihe von außen ist ein Porträt von Papst Franziskus zu entdecken. Das Figürchen, nur etwa acht Zentimeter hoch, hat mit den restaurierten Baldachin-Teilen erst kürzlich seinen Platz am Dom gefunden. 

Vom Mini-Papst zur Papst-Terasse

Vom Mini-Papst geht es weiter zur Papst-Terrasse. Dazu gehen Sie einmal rechts herum um den Dom auf die Fassadenseite zum Roncalliplatz hin. Eine Reliefplastik von Bert Gerresheim erinnert an den Weltjugendtag 2005, den Höhepunkt in der langjährigen Amtszeit des verstorbenen Kardinals Joachim Meisner. Abgebildet sind Papst Johannes Paul II. mit dem Petersdom im Rücken und – vor dem Kölner Dom - sein Nachfolger Benedikt XVI. , der anstelle des im April 2005 verstorbenen Papstes zu dem großen Jugendtreffen nach Köln kam. Auf diese besondere Situation spielt die Übergabe des Weltjugendtag-Signets an.

Das könnte Sie auch interessieren:

Eine weniger auffällige Plakette weist auf Papst Johannes XXIII. (1958 bis 1963) hin. Mit seinem bürgerlichen Namen Angelo Roncalli ist er Pate des Platzes. Dem streitbaren früheren Haus-und-Grund-Vorsitzenden Hanns Schaefer (1925 bis 2013) war es ein stetes Ärgernis, dass der Roncalliplatz im Herzen der Stadt alle Welt an einen Zirkus denken ließ. Mit einer Bürgerinitiative, in der ich auch Mitglied war, wollte er ein Denkmal für Johannes XXIII. durchsetzen. Daraus wurde nichts, die Gedenktafel von 2008 ist sozusagen das Überbleibsel von Schaefers ambitioniertem Plan. Mit dem nach dem heiligen Petrus benannten Brunnen kommt – nach traditioneller katholischer Lesart – ein weiterer Papst, und zwar der erste, in den Blick.

Wenn der Co-Autor keine Ruhe lässt

Die Stiftung der späteren preußischen Kaiserin Augusta (1811 bis 1890) an die Stadt Köln, eine schöne Arbeit im Stil der Neurenaissance, hat erst 2010 ihren heutigen Standort gefunden. Um den besten Platz zu finden, zogen wir damals mit einem Größenmodells des Brunnen aus ein paar Holzlatten einmal rund um den Dom – und landeten schließlich bei freien Fläche auf der Südseite. Seither wird sie – etwas gravitätisch – als Papst-Terrasse bezeichnet. Bei den Kölnern mit ihrem Faible für Spitznamen hieß der Brunnen selbst übrigens einst der „drüjje Pitter“, weil er ursprünglich nur sporadisch über eine Zisterne vom Dom versorgt werden konnte und dementsprechend selten sprudelte. Das ist heute zum Glück anders. In den Sommermonaten, sagen Sie es nicht weiter, habe ich sogar schon mal jemanden gesehen, der seine Morgenwäsche am Brunnen verrichtete. 

Was jetzt folgt, erzähle ich, weil mir mein Co-Autor Joachim Frank partout keine Ruhe gelassen hat: Am westlichsten Strebepfeiler der Südquerhaus-Fassade (das ist die mit dem Richter-Fenster) befindet sich oberhalb der Portalzone ein Baldachin mit zwei Kapitellen, an denen der frühere Dompropst Norbert Feldhoff nach links in Richtung Westen schaut und ihm gegenüber eine frühere Dombaumeisterin namens Barbara Schock-Werner nach rechts in Richtung Osten. Ob Sie uns beide wohl entdecken? „Sehr sophisticated“, sagte „Stadt-Anzeiger“-Fotograf Max Grönert, als er es endlich geschafft hatte.

Der „Weiße Riese“ ist einfach zu finden

Ganz einfach zu finden – versprochen! – ist der „Weiße Riese“, den ich Ihnen jetzt vorstellen will. Gehen Sie an der Südseite weiter in Richtung Chor. Rechts neben der Querhausfassade sehen Sie einen der mächtigen Strebepfeiler, der sich durch sein fast blendendes Weiß von der gesamten Umgebung abhebt. Damit hat es folgende Bewandtnis: Bei der Erneuerung des Strebewerks nach dem Ersten Weltkrieg entschied sich Dombaumeister Bernhard Hertel (1862 bis 1927) für Kalksandstein. Dieser erwies sich aber als nicht so haltbar, wie Hertel angenommen hatte. Mein verehrter Vorgänger Arnold Wolff (1932 bis 2019) suchte deshalb nach einer Versiegelung zum Schutz des Steins vor weiterer Verwitterung.

Verschiedene Material- und Farbproben sind am Chorumgang noch zu sehen. Schließlich wurde 1998 ein ganzes Segment des Strebewerks mit dem großen Pfeiler und den zugehörigen Bögen mit einem silikonhaltigen Schutzanstrich überzogen. Die Maler der Dombauhütte konnten jede Stelle nur zweimal überstreichen, sonst wäre die Farbschicht undurchlässig für Feuchtigkeit von innen geworden. Als Farbton war ein helles Ocker vereinbart. Nun, das Ergebnis weicht davon ziemlich ab. Der Spitzname „Weißer Riese“ sagt eigentlich alles, wobei der Riese unter Fachleuten eben auch für einen bestimmten Teil des Strebewerks steht.

Die Selbstporträts der Baumeister

Wolff hätte es gern gehabt, dass die ganze Chorfassade so aussähe. Ich muss allerdings zugeben, dass mir die Idee eines weißen Doms ästhetisch nicht sonderlich behagte. Überdies wurden Zweifel an dieser Art der Konservierung laut. Kurz und gut: Wir haben es gelassen. Der „Weiße Riese“ ist ein Solitär geblieben. Ein genialer Kopf

Über den – unter uns: scheußlichen – Gumminoppenbelag, der die darunter liegenden Werkstätten der Dombauhütte vor Regenwasser schützt, kommen wir zum Schluss auf die Ostseite des Domes mit dem ehrwürdigen mittelalterlichen Chor mit der Achskapelle genau in der Mitte. Sehen Sie sich beim zentralen Fenster der unteren Reihe die Leibung an. In der Spitze ist dort ein menschlicher Kopf zu sehen. Man findet solche Darstellungen Bauten aus dem Mittelalter immer wieder. Sie werden interpretiert als Selbstporträts der Baumeister. Das ist zwar historisch durch nichts zu belegen. Aber die Legende ist halt gar zu schön.

Für Sie und alle anderen Dombesucher bedeutet sie: Sie stehen hier vor dem Selbstbildnis des berühmten Meisters Gerhard (um 1210/15 bis 1271), der im Jahr 1248 mit dem Bau des Kölner Doms begann und ihn bis etwa 1260 leitete. Es ist jener Mann, dem man nachsagte, mit dem Teufel im Bunde gestanden zu haben. Ich möchte das nicht glauben. Aber mit Sicherheit kann ich sagen: Er war mit seinem Plan für Grundriss und Fassade einer der genialsten Bauleute des gesamten Mittelalters. Und wenn noch ein anderer bei dieser fantastischen Leistung Meister Gerhards seine Hand im Spiel hatte, dann kann es nur der liebe Gott gewesen sein. 

KStA abonnieren