„Situation ist dramatisch“Was die Coronakrise für Obdachlose in Köln bedeutet

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Als die Helferinnen von Helping Hands sich mit ihren Bollerwagen am Busbahnhof aufstellen, bildet sich schnell eine lange Schlange.

Köln – Am Montagmorgen um 8.30 Uhr am Breslauer Platz riecht der Obdachlose Robert M. an seinen Fingern und sagt: „Ah, das tut gut. Das erste Mal seit fünf oder sechs Tagen wieder saubere Hände.“ Helmut Schenk von der Hilfsorganisation Helping Hands Cologne hat Robert M. reichlich Infektionsmittel auf die Hände gespritzt, bevor der sich ein Brötchen mit Fleischkäse, ein Trinkpäckchen und einen heißen Kaffee von den Helferinnen abholen durfte.

„Wo soll ich mich duschen, waschen und rasieren, wenn alles zu ist? Wo soll ich aufs Klo gehen, wenn nur eine Toilette in Bahnhofsnähe zwischen 10.30 und 18.30 Uhr auf hat? Wo soll ich mich aufhalten, wenn der Gulliver, die Lore und fast alle anderen Treffs zu haben? Wenn diese Leute hier nicht wären, bekämen wir im Moment noch nicht mal was zu essen.“

Grundlegende Versorgung der Menschen ohne Wohnung

„Diese Leute“, das sind Ehrenamtler der Hilfsorganisationen Helping Hands, Gemeinsam für die Platte, Care 4 Cologne und Obdachlosenhilfe mit Herz, die dieser Tage auffangen, was die Stadt kaum gewährleisten kann: Die grundlegende Versorgung der Menschen, die keine eigene Wohnung haben – und jetzt weder betteln noch Flaschensammeln noch sich an den gewohnten Plätzen aufwärmen oder duschen können. „Die Situation ist dramatisch, seit der vergangenen Woche erleben wir immer mehr Menschen, die einfach nur Hunger haben und sich seit Tagen nicht gewaschen haben – denen also das Grundlegendste fehlt“, sagt Nicole Freyaldenhoven von den Helping Hands.

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Ehrenamtliche Helfer verteilen in der Coronakrise Frühstück an Obdachlose auf dem Breslauer Platz.

Als die Helferinnen sich mit ihren Bollerwagen, 200 Brötchen, 15 Litern Kaffee, Tee, Müsli und Trinkpäckchen am Busbahnhof aufstellen, bildet sich flugs eine lange Schlange – die meisten halten den virusgebotenen Abstand ein. „Leider sind aber viele Menschen noch immer nicht richtig aufgeklärt. Viele wissen nicht, was das Coronavirus überhaupt ist und welche Gefahr es bedeutet“, sagt Freyaldenhoven. „Sie kommen auf uns zu, wollen uns die Hände schütteln und verstehen die Welt nicht mehr. Die Stadt muss sich da dringend etwas einfallen lassen – weil es schon jetzt Hungernde in der Stadt gibt, und auch, weil verhindert werden muss, dass sich sehr viele Obdachlose infizieren.“

Neue Herausforderungen durch die Corona-Pandemie

„Die Pandemie stellt uns vor völlig neue Herausforderungen“, sagt Bernd Mombauer, Geschäftsführer des Kölner Arbeitslosenzentrums (Kalz), das das Gulliver und die Lore betreuen. Schon der normale Betrieb sei für den kleinen Mitarbeiterstab eine Herausforderung. In der Coronakrise seien die Hygieneregelungen unter den täglich bis zu 200 Besuchern im Gulliver kaum umzusetzen. Die Besucher seien zum Teil drogenabhängig, psychisch krank oder sprächen wenig deutsch. 

Für Mombauer eine frustrierende Situation. „Wir schließen die Angebote für die sozial schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft und drängen sie so weiter an den Rand.“ Er könne sich vorstellen, dass die Lore als Anliefer- und Ausgabestelle für Care-Pakete wieder geöffnet werde. Auch der Hygienebereich im Gulliver, also Toiletten und Duschen, könnte unter Umständen aufgemacht werden. „Da unsere Mitarbeiter im Gulliver weitgehend aus obdachlosen und ehemaligen obdachlosen Menschen mit all ihren persönlichen Einschränkungen besteht, können wir das Angebot nicht aus eigener Kraft aufrechterhalten“, so Mombauer. Gefragt sei daher Personal von außen, unter anderem Dolmetscher, und finanzielle Unterstützung, um zum Beispiel Desinfektionsmittel zu kaufen.

Notschlafstelle für drogenabhängige Wohnungslose

Bei anderen Einrichtungen läuft der Betrieb weiter. „Wir werden das Angebot solange wie möglich offenhalten“, sagt Thomas Hambüchen, Geschäftsführer der Drogenhilfe. Sein Verein betreibt an der Cranachstraße in Nippes eine Notschlafstelle mit zehn Plätzen für drogenabhängige Wohnungslose. „Die Menschen sollen nicht nachts herumirren und dabei andere vielleicht noch anstecken.“

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Geöffnet sind weiterhin auch Angebote des Sozialdienstes katholischer Männer: Die Notschlafstelle am Hauptbahnhof und an der Vorgebirgsstraße, die Substitutionsambulanz Meream und die Kontakt- und Beratungsstellen für Wohnungslose und Drogenabhängige am Hauptbahnhof sowie die Beratungen in Ehrenfeld, Kalk und Porz. Auch die Frauen-Notschlafstelle „Comeback“ des Sozialdienstes katholischer Frauen am Mauritiussteinweg, ist weiterhin auf. Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, werden Zwei-Bett-Zimmer nur mit einer Person belegt, die Bettenanzahl wurde auf acht heruntergefahren. Das Coronavirus macht auch den wohnungslosen Frauen zu schaffen. „Die Frauen sind ratlos, ihr Alltag ist ausgehebelt“, sagt Sprecherin Anne Rossenbach.

Zu den Helfern gehören viele ältere Menschen

Ausgehebelt werden könnte auch die Arbeit der helfenden Vereine, wenn die Epidemie sich in Köln weiter ausbreitet. Alle Hilfsorganisationen arbeiten mit vielen älteren Menschen, die zur Risikogruppe zählen. „Wir suchen neben Geld- und Sachspenden auch weiterhin Menschen, die einkaufen und Essen spenden, zum Beispiel Trinkpäckchen, kleine Saftflaschen, einzeln verpackte Waffeln, Croissant oder Minikuchen“, sagt Helmut Schenk. „Die Hilfsbereitschaft ist zum Glück schon jetzt groß. Wir haben auch Spenden von Mensa-Betrieben und Gastronomen erhalten, die ihre Lebensmittel aktuell nicht mehr brauchen.“

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Ehrenamtlicher Helfer versorgen Obdachlose mit Desinfektionsmittel.

Viele Ausgabestellen der Tafel haben dagegen bereits geschlossen. Das Angebot der sozialen Träger könnte sich in den kommenden Wochen rasch verringern, wenn in den Einrichtungen Coronafälle auftreten. Dann müssten Besucher und Mitarbeiter wohl in Quarantäne, Einrichtungen könnten geschlossen werden, sagt Geschäftsführer Hambüchen. Möglicherweise könne man den Betrieb mit Mitarbeitern aus anderen Bereichen gewährleisten.

Situation im Rahmen einer Ausgangssperre unklar

Noch unklarer könnte die Situation werden, wenn eine Ausgangssperre verhängt wird. „Ich weiß nicht, ob die wohnungslosen Menschen dann auch kommen werden“, so Hambüchen. „Für sie wäre es eine Art Knast.“ Drogenabhängige müssten täglich unterwegs sein, um Geld und Drogen zu beschaffen. „Wenn Sie täglich Heroin brauchen, haben Sie ein Problem.“

Die Stadt Köln sagt auf Anfrage, sie arbeite „mit Hochdruck an einem ergänzenden Angebot zur Sicherstellung der Versorgung. Die Stadtverwaltung weite ihr Angebot an Wohnungsversorgung aus, spreche dabei mit Hoteliers und versuche, leerstehende Wohnungen zu nutzen. Richard Brox, der einen Bestseller über sein Leben auf der Straße („Kein Dach über dem Leben“) geschrieben hat, fordert „die sofortige Einrichtung von Etagen für Gefährdete, Verdachtsfälle und Vorerkrankte in Einrichtungen der Wohnungshilfe, umfassende medizinische Versorgung, genügend Essen und Hygiene für diese Menschen“. Andernfalls drohe ein „Super-Gau: Eine weitere Verelendung der Ärmsten und ein erheblich erhöhtes Infektionsrisiko, dass von Menschen ohne Wohnung ausgeht“.

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