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„Wenigstens Publikum“Kölner Travestie-Star Sophie Russel sitzt an Supermarkt-Kasse

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Mit blonder Perücke und dezent geschminkt sitzt Travestiekünstlerin Sophie Russel tageweise an der Supermarkt-Kasse – bei Rewe am Eigelstein

Köln – Von der Bühne ans Band. Anstatt im Scala-Theater zu spielen, zu tanzen und zu singen, sitzt Travestie-Star Sophie Russel (52) im Rewe-Supermarkt am Eigelstein an der Kasse. Zwei Tage die Woche, als Mini-Job auf 450-Euro-Basis. „So habe ich wenigstens Publikum und kann Leuten in die Augen gucken.“

Seit Wochen ruht der Spielbetrieb im Scala-Theater und auch alle anderen Nebentätigkeiten, wie Auftritte bei Galas, Straßenfesten oder Betriebsfeiern, sind durch die Corona-Beschränkungen ebenfalls weggebrochen. „Alleine zu Hause ist mir doch die Decke auf den Kopf gefallen. Ich musste etwas tun“, sagt Russel, die seit mehr als 15 Jahren am Eigelstein wohnt, im Veedel bekannt ist und sich auskennt. Im Gespräch mit Supermarktleiter Udo Ridders hatte dieser ihr angeboten: „Wenn du dich nützlich machen willst, setz' dich bei uns an die Kasse.“

Gesagt, getan. „Ich habe doch vor vielen Jahren mal Einzelhandelskaufmann gelernt. Ich könnte sicher auch gut hinter der Wursttheke arbeiten.“ Nun sitzt sie mit blonder Perücke und dezent geschminkt („Das ist ein eher ruhiges Make-up, damit bin ich jeweils in 20 Minuten fertig. Ich weiß ja genau, wo welche Farbe hingehört“) an der Kasse, scannt die Waren, tippt Nummern ein. „Das ist schon eine ganz eigene Erfahrung. Die Warennummern von Obst und Gemüse oder auch vom Kleingebäck musste ich auswendig lernen – oder bei den Kollegen nachfragen. Ich sitze halt da und mache meinen Job.“

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Finanziell ganz gut abgesichert

Auch wenn sie gegenwärtig wegen Corona im Schauspiel-Beruf keinerlei Beschäftigung habe, sei sie dennoch finanziell zur Zeit noch ganz gut abgesichert. „Ich bin ja auch in dieser Krise weiterhin im Scala-Theater angestellt. Als Kassiererin im Supermarkt zu sitzen – das brauche ich für mein Seelenheil. Mir fehlt einfach der Kontakt zum Theater-Publikum und zu meinen Bühnen-Kollegen. Ich lebe doch dafür, die Leute zu begeistern.“

Und das macht Sophie Russel im Fummel, stets aufwendig geschminkt und mit schlüpfrigen Sprüchen schon seit 1986. So zählte sie jahrelang zum Ensemble der Berliner Travestie-Truppe „Chez Nouz“ sowie als Moderatorin zum Kölner „Star-Treff“, trat im Hotel Timp und auf der Millowitsch-Bühne sowie bei großen Benefiz-Galas an der Seite von Travestie-Kollegin Lola Lametta und Schlagergrößen wie Vicky Leandros und Mary Roos auf. „Inzwischen ist Travestie eine eher aussterbende Kunst. Die Zeiten, in denen Unternehmen es cool fanden, Travestiekünstler für ihre Feste zu engagieren, sind längst vorbei“, stellt Russel leicht resignierend fest.

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Und so sei sie froh, im Scala-Theater seit zehn Jahren so gut wie zum Inventar zu gehören. „Zuerst wollte der damalige Inhaber und Regisseur Walter Bockmayer mich nicht, aber dann hat es doch geklappt. Schließlich ist das, was im Scala – auch unter den neuen Chefs Ralf Borgartz und Arne Hoffmann – auf die Bühne kommt, genau mein Humorzentrum.“ Und deswegen arbeitet sie im Supermarkt auch nicht in den Abendstunden. „Wenn es im Theater wieder los geht, renne ich sofort dahin.“

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