Psychologe Stephan GrünewaldDarum ist Köln die kuscheligste Stadt der Welt

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Psychologe Stephan Grünewald erklärt, warum man sich in Köln so wohl fühlt.

Psychologe Stephan Grünewald erklärt, warum man sich in Köln so wohl fühlt.

1. Lebenskunst

Zugereiste haben in Köln sofort das Gefühl, hier heimisch werden zu können. Ich komme vom Niederrhein, lebe aber seit 28 Jahren in Köln.

Ich erinnere mich noch gut, als ich mit 14 Jahren zum ersten Mal vor dem Dom stand. Diese Wucht und Größe und gleichzeitig die Beschaulichkeit der Stadt. Da stand für mich fest, dass ich hier einmal leben wollte. Ich könnte mir nicht vorstellen, woanders zu leben.

2. Beschaulichkeit

Der Kölner an sich hat ein großes Bedürfnis nach einem beschaulichen und genussintensiven Leben. Ich nenne es die Kaffeebud-Seele von Köln. Zusammenstehen, schwade, während die Zufuhr von Kölsch, Kaffee und Röggelchen gesichert ist - der Traum von der sozialen Vollversorgung.

3. Der Größenwahn

Neben dem ausgeprägten Sinn für Gemütlichkeit, gibt es aber auch die Sehnsucht, über sich hinauszuwachsen. Köln soll Metropole sein; die Medienstadt, die Fußballstadt, die Kunststadt.

Es ist ein großer Anspruch da, Außergewöhnliches zu leisten. Ein tolles Bild dafür ist die vier Meter hohe Schmitz-Säule in der Kölner Altstadt. Auf der einen Seite ist sie ihrem Spender Jupp Engels gewidmet.

Auf der anderen Seite weist sie auf ein Ereignis hin, das sich just im gleichen Jahr der Säulen-Grundsteinlegung vollzog: Neil Armstrong betrat als erster Mensch den Mond und war dabei 389 994 km und 100 Meter von unserer Schmitz-Säule entfernt. Hier vereint sich die Kölner Sehnsucht nach Größe mit der nach Gemütlichkeit.

4. Das ewige Werden

Die Kombination aus dem gleichzeitigen Streben nach Größe und Kuscheligkeit prägt ja gerade den besonderen Charme der Stadt. Köln ist meisterhaft darin, alles in der Schwebe zu halten.

Der Kölner lebt von der Hoffnung, irgendwann groß rauszukommen. Beim Dom hat es ja auch 800 Jahre gedauert, vielleicht dauert es bei einem selbst acht Jahre - oder 18. Aber irgendwann passiert es. Es gibt eine ständige Verheißung, ohne sich für ihre Erfüllung disziplinieren zu müssen.

Das ist die virtuose Lebenskunst der Kölner, das Kuschelige mit dem Streben nach Größe zu vereinen. Das macht das besondere Flair aus!

5. Glücklicher als der Rest Deutschlands

Köln hat im positiven Sinne Züge eines gallischen Dorfes. In Deutschland gibt es eine Tendenz zur coolen Gleichgültigkeit. Die Menschen betrachten das Leben wie eine Fernsehsendung, sind teilnahmslos und empfindungslos.

Die Kölner sind nicht cool, sie sind immer mit der Seele dabei. Aber sie agieren nur schwerfällig. Im Land gibt es eine Tendenz, sich kalt zu machen, um mehr bewegen zu können. Zum Beispiel Leute entlassen oder ein ehrgeiziges Ziel durchboxen. Das will und kann der Kölner nicht.

Die Kölner haben eindeutig das beglückendere Lebensmodell als der Rest der Republik. Die Deutschen laufen sich immer mehr im Hamsterrad des Alltags fest. Diese besinnungslose Betriebsamkeit birgt die Gefahr, eine ganz zentrale Lebenskompetenz zu verlieren.

Der Kölner arbeitet nicht rund um die Uhr, ist entspannter. Die zwei Seelen sind auch ein Korrektiv. Sich nicht der Perfektion zu verpflichten ist unglaublich entlastend.

Der Psychologe Stephan Grünewald ist Mitbegründer des Rheingold-Institutes für Markt- und Medienanalyse. Er schrieb zahlreiche Beiträge über Jugend, Kultur, Lebensalltag und Werbewirkung. Mit seinem Bestseller "Deutschland auf der Couch" hat er das Buch zum seelischen Notstand der Nation verfasst.

Das Buch "Köln auf der Couch" von Stephan Grünewald ist im Kiwi-Verla erschienen und kostet 9,95 Euro. Es gibt auch eine Geschenkbuch-Ausgabe für 5 Euro im Anaconda.

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