Kölner Großmarkt-SchießereiSEK-Beamte vor Zugriff enttarnt

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Schüsse aus den Pistolen der SEK-Beamten haben die Windschutzscheibe des 100 000-Euro-Sportwagens beschädigt.

Schüsse aus den Pistolen der SEK-Beamten haben die Windschutzscheibe des 100 000-Euro-Sportwagens beschädigt.

Köln – Es klingt wie die Szene aus einer Spielfilm-Komödie: Schon als Hakan B. am 19. Juni 2011 kurz vor 19 Uhr auf das Kölner Großmarktgelände gefahren sei, habe er Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) entdeckt, er haben ihnen sogar gewunken, sagt der heute 43-Jährige B.. Die Polizisten aus Düsseldorf, zu Hilfe gerufen vom Polizeipräsidium Köln, hatten sich auf die Lauer gelegt, um den Geschäftsmann Karim Panahi zu kontrollieren. Der heute 53-Jährige Panahi habe seine Ehefrau bedroht, konsumiere Kokain und besitze Waffen, hieß es damals.

Dilettantische Beschattung

Die Beschattung seiner Firma an jenem Abend mündete Minuten später in einen chaotischen Einsatz, in dessen Verlauf die Beamten mehr als hundert Schüsse auf Panahi in seinem weißen Sportwagen abgaben. Wie berichtet, untersucht die Staatsanwaltschaft Aachen zur Zeit, ob und welche Fehler die SEK-Beamten damals gemacht haben.

Nun sind Details aufgetaucht, die weitere Zweifel an einem professionellen Vorgehen der Elitepolizisten wecken. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatten sich die Männer an jenem Abend offensichtlich so dilettantisch vor Panahis Büro versteckt, dass Hakan B. sie sofort entdeckte und als Ermittler erkannte. Ihn daran zu hindern, Panahi zu besuchen, kam den Beamten offenbar nicht in den Sinn.

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Also betrat B. das Büro. Er wollte den Gemüsehändler zur Rede stellen, weil der auch B.’s Freundin mit einer Pistole bedroht haben soll. Panahi leugnete die Vorwürfe, behauptete im Gegenzug, die Ex-Mitarbeiterin habe in seiner Firma Geld unterschlagen. Als B. das Büro kurz darauf wieder verließ, sprach er die immer noch wartenden Polizisten an.

Die hätten zunächst bestritten, Ermittler zu sein. Horchten ihn dem Vernehmen nach dann aber interessiert aus. Fragten, ob Panahi bewaffnet sei oder unter Drogen stehe. Er habe fahrig gewirkt, irgendwie „komisch unordentlich“, habe wohl Rauschmittel genommen, soll B. geantwortet haben. Eine Waffe habe er aber nicht gesehen, aggressiv sei Panahi auch nicht gewesen. Am Ende habe man sich die Hand gegeben, Panahi habe gelächelt und vorgeschlagen, mal gemeinsam einen trinken zu gehen.

„Notzugriff“ ohne Not

Wohl zur Erleichterung der Ermittler hatte Hakan B. ihrer Zielperson Panahi nicht erzählt, dass vor seinem Büro die Polizei wartete. Und so trat der Gemüsehändler etwa zwei Stunden später ahnungslos aus der Tür, spazierte zu seinem Audi R8 und wollte wegfahren – womit das SEK offensichtlich nicht gerechnet hatte. Überhastet entschlossen sich die Elitepolizisten laut Ermittlungsunterlagen zu einem „Notzugriff“, stürmten zu dem Auto und gaben mehr als hundert Schüsse auf das Fahrzeug ab, in dem Panahi hinter dem Steuer saß – angeblich, weil er nach Aussage mehrerer Beamter sowohl zuerst als auch mehrfach auf die Polizisten geschossen haben soll.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Frage nach dem ersten Schuss bleibt strittig

Zumindest letztes ist nachweislich falsch: Aus Panahis Pistolen, die er aus Angst vor Überfällen bei sich führte, fehlte nur eine Patrone. Und auch die Frage nach dem ersten Schuss ist strittig. Auf einem Überwachungsvideo, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, ist zu erahnen, dass der erste Schuss von einem Polizisten abgefeuert wurde und an der Windschutzscheibe des Audis abprallte.

Die jetzt bekanntgewordenen Aussagen von Hakan B. untermauern den Verdacht, dass das SEK an jenem Abend eher planlos zugegriffen hat. Warum zum Beispiel ein „Notzugriff“, wenn es doch galt, einen ahnungslosen, vielleicht fahrig, jedenfalls nicht aggressiv wirkenden Mann festzunehmen? Zumal der ursprüngliche Plan der Polizei vorsah, Panahi in einer fingierten Verkehrskontrolle auf der nahen Bonner Straße anzuhalten. Unklar ist auch bis heute, warum sich das SEK stundenlang am Großmarkt aufhielt, zwischendurch eine Rast bei Mc Donald’s einlegte, aber von Panahis Erscheinen dann offenbar so überrascht war, dass die Beamten nicht mal ihre Dienstkleidung angelegt hatten. Was sie zudem beabsichtigten, als sie von zwei Seiten auf den Audi zustürmten, sei ihm ein Rätsel, kritisierte ein SEK-Ausbilder im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Nach seiner Auffassung hätten sie den Wagen mit einem Fahrzeug blockieren und ihn mit Schüssen auf den Motorblock fahruntauglich machen müssen. Panahi aber konnte im Auto flüchten, ehe ein SEK-Beamter ihn mit einem letzten Schuss auf der Bonner Straße stoppte. Der Kölner überlebte schwer verletzt.

Fragwürdige Ermittlungen

Fragen werfen auch die internen Ermittlungen im Anschluss an die Schießerei auf. Nur fünf der acht am Einsatz beteiligten SEK-Beamten wurden vernommen. Und mit dem Video vom Zugriff, das nahelegt, ein Polizist könnte das Feuer eröffnet haben, wurden die fünf gar nicht erst konfrontiert.

Panahis Verteidiger Gottfried Reims hat die Düsseldorfer SEK-Beamten wegen versuchten Totschlags angezeigt. „Die Ermittlungen dauern an“, sagte ein Sprecher der aus Neutralitätsgründen zuständigen Staatsanwaltschaft Aachen. Umgekehrt hat die Staatsanwaltschaft Köln Panahi wegen versuchten Totschlags angeklagt. Auch dieses Verfahren wurde noch nicht eröffnet. Die 11. Große Strafkammer des Kölner Landgerichts habe noch nicht entschieden, ob der Tatverdacht dafür ausreichend ist, sagte ein Sprecher.

Somit liegt vorerst auch ein drittes Verfahren auf Eis. Auf zivilrechtlichem Weg fordert Panahi Schadensersatz vom Land NRW. Einen ersten Gerichtstermin hat das Amtsgericht Köln kürzlich verschoben mit der Begründung, man wolle erst den Ausgang der beiden Strafverfahren abwarten.

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