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„Sternenjäger“Kölner Fotograf reist für Bilder vom Sternenhimmel um die ganze Welt

Lesezeit 7 Minuten
Die Milchstraße, von Kreta aus fotografiert.

Die Milchstraße, von Kreta aus fotografiert.

  • Der Kölner Astrofotograf Bernd Pröschold wagt sich an die entlegensten Orte der Erde – auf der Jagd nach dem perfekten Bild des Firmaments.
  • Pröscholds Bilder vermitteln etwas von der Magie, die der Sternenhimmel für unsere Vorfahren gehabt haben muss.

Köln – Bernd Pröschold steht mitten im norwegischen Eis. Er beobachtet eine Rentierfütterung. Eimerweise verschlingen die genügsamen Tiere ihre schwachgrüne, geschmacklose Kost. „Magst du versuchen? Es schmeckt nach nichts“, sagt der Züchter. Pröschold greift nach dem fast farblosen Moos, riecht daran, zerreibt es zwischen den Fingern, isst. Und in seinen Augen blitzt ein Leuchten auf. „Ich wusste nicht, dass man das essen kann. Es ist überall hier um uns herum“, ruft er.

Die Szene aus dem Dokumentarfilm „Sternenjäger“ steht für eine Faszination, die sein Leben geprägt hat. Bernd Pröschold hält Ausschau nach etwas, das uns ständig umgibt, dem wir aber zu häufig keine Beachtung schenken – Moos ist so etwas und auch die Sterne. Um sie beobachten und fotografieren zu können, reist er in die Wüste Namibias und in die chilenischen Anden, er schultert den schweren Rucksack mit Zelt, Stativ und Kamera und marschiert jenseits von Straßen und Wegen in die Dunkelheit der Voralpen oder die Einsamkeit Norwegens.

„Wir sind Weltraummüde geworden“

Für ihn ist der Blick in die Sterne viel mehr als nur der auf ein Naturschauspiel. Wer aufschaut gen Himmel begibt sich auf eine Zeitreise, blickt tief in sich selbst hinein und erfährt eine Lektion in Demut. Seine Arbeit ist für den Kölner daher auch viel mehr als bloße Sternenfotografie – sondern Space Art, Kunst, die eigentlich ins Museum gehöre.

„Wir sind weltraummüde geworden“, sagt er zu Beginn unseres Gespräches. Trotz Elon Musks Mars-Rakete, trotz Nasa-Plänen zur „Ausdehnung im Sonnensystem“, die eine erneute Mondlandung Ende des kommenden Jahrzehnts vorsehen. Die Öffentlichkeit interessiere sich wenig dafür, was da jenseits des eigenen Planeten vorgehe. Pröschold selbst möchte auch nicht zum Mars fliegen. „Ich kann Millionen Lichtjahre mit bloßem Auge reisen“, sagt er. Warum sollte er da Monate in einem Spaceship verbringen? Stattdessen unternimmt er zum Teil abenteuerliche Reisen auf der Erde, um den Sternen näher zu kommen. Das hat seinen Grund.

Kaum noch wirklich dunkle Orte auf der Erde

„Am Himmel über Köln kann man gewöhnlich 50, an guten Tagen vielleicht 100 Sterne sehen“, sagt Pröschold. Ein weithin sichtbarer Lichtkegel hellt den städtischen Äther derart auf, dass blasse Himmelslichter sich nicht mehr abzeichnen. Experten sprechen von Lichtverschmutzung. „In meiner Kindheit, vor 30, 40 Jahren, konnte ich von unserem Haus in Olpe aus die Milchstraße sehen. Heute sieht man da gar nichts mehr“, berichtet auch Pröschold. Der sternenübersäte Nachthimmel, wie er seit Anbeginn der Menschheit aussah, ist vom Aussterben bedroht.

Wirklich dunkel, im Wortsinn unbehelligt vom Menschen, sind nur die Orte, die Hunderte Kilometer von jeglicher Zivilisation entfernt sind. Genau dorthin zieht es Bernd Pröschold immer wieder. Zum Beispiel ins südamerikanische Chile, auf eine Höhe von 5000 Metern. Dorthin, wo der Sauerstoff so dünn wird, dass die Wahrnehmung leidet. „Auf dieser Höhe ist die Himmelqualität zwar sehr gut, aber unser Hirn macht nicht mehr mit“, sagt der Kölner. Das Nervensystem ist nicht mehr in der Lage, die vielen Kontraste zu verarbeiten. Die Kamera aber sehr wohl.

Pröschold verbringt viele Nächte allein unter den Sternen

Was selbst dem Bergsteiger entgeht, zeigen Pröscholds spektakuläre Aufnahmen. In Zeitraffern, seiner eigentlichen Spezialität, geht auf einmal da, wo nichts war, ein gigantischer Himmel auf. Unendlich viele Lichter glimmen, Wolkenteppiche heben und senken sich, stürzen über Bergkuppen wie Wasserfälle. Die Sternenmuster wirken mal, als habe jemand fein zerstäubten Puderzucker an den Nachthimmel geblasen, mal bewegen sie sich, als seien sie lebendige Wesen, die über den Himmel kriechen, sich ausdehnen, Muster bilden und wieder in sich zusammenfallen. Wer es noch nicht wusste, kann in manchen Bildern erkennen, dass die winzigen Flämmchen Farben haben. Sie schimmern rot, gelb und bläulich.

Und nach wenigen Minuten ist Schluss. Pröscholds Filme sind das Konzentrat einer durchwachten Nacht. Das Gelingen der kurzen Aufnahmen, für die er so immensen Aufwand betreibt, ist ständig gefährdet. „Der Klassiker ist natürlich Tau auf der Linse“, erzählt er. Tauschutzkappen und Heizmanschetten fürs Objektiv leisten Abhilfe. Aber nur, wenn der Akku lange genug durchhält. „Es kommt auch einmal vor, dass der Wind das Stativ umschmeißt, sich eine Mücke auf die Linse setzt oder schlicht die Speicherkarte vollläuft, weil man sich vorher verrechnet hat.“

Nicht so schlimm, wenn der Sternenbeobachter wach ist und eingreifen kann, fatal, wenn er eingeschlafen ist. Und so verbringt der 42-Jährige viele Nächte nicht im mitgebrachten Ein-Mann-Zelt, sondern unter Sternen. Er justiert die Belichtungszeit nach, wenn die Lichtverhältnisse sich ändern, etwa weil der Mond aufgeht. Oder er bestaunt einfach nur das Schauspiel, das sich ihm darbietet.

Ökonomisch nicht sinnvoll

Die ganze Akribie, mit der der Kölner sein Handwerk betreibt, wird aber deutlich, wenn er davon berichtet, wie er seine Bilder aufbereitet. Denn selbst an abgelegenen Orten tauchen immer wieder Artefakte in den Aufnahmen auf. Der Lichtkegel eines Autos, das am Berg gegenüber die Serpentinen hinauffährt. Das Blinken eines Flugzeugs. Eine Spiegelung in der Linse. Pröschold nimmt sich jedes Foto vor und retuschiert die kleinen Fehler. Von diesen Bildern entstehen gewöhnlich vier in der Minute, also viele hundert in einer Nacht. Nicht selten dauert das Nachbearbeiten des Materials Tage, in Einzelfällen auch einmal eine ganze Woche. „Ja, das ist eine Besessenheit“, gibt er zu, ökonomisch nicht sinnvoll.

Pröschold lebt nur zum Teil vom Verkauf seines Materials an TV-Anstalten. Er hält Vorträge und schreibt Bücher. Zuletzt „Reiseziel Sternenhimmel“. Das sei nur vordergründig ein Reiseführer für Astrotouristen, sagt er. So wie seine Fotografie nur auf den ersten Blick bloß das Himmelsgeschehen dokumentiert. Pröschold will mehr. Für seine Aufnahmen wählt er Schauplätze, an denen auch die Erde eine Rolle spielt. Die Gipfel der Drei Zinnen in den Dolomiten, die Kreidefelsen Rügens, Seen, in denen sich das Schauspiel am Himmel doppelt. „Ich möchte die Erde als Himmelkörper zeigen“, sagt der Fotograf. Als einen Ort, der uns nicht vertrauter oder fremder erscheint als jeder andere Planet dort draußen.

Seine Bilder sind immer auch Landschaftsporträts, sind immer auch Denkanlass. Sie regen dazu an, die Perspektive zu wechseln. „Stellen wir uns vor, wir wären in der Lage, dort hinaus zu reisen und würden aus dem All zurückschauen. Wir würden Milliarden Galaxien sehen und in einer davon wäre als winziger Punkt die Erde versteckt.“

Für schöne Sternenhimmel muss man nicht weit reisen

Pröscholds Bilder vermitteln etwas von der Magie, die der Sternenhimmel für unsere Vorfahren gehabt haben muss, als Priester noch Astronomen waren, Bauwerke nach den Gestirnen ausgerichtet wurden und Götter ihre Entsprechung in den Himmelskörpern hatten. Jede Kultur, von den Inuit Alaskas bis zu den Aborigines Australiens, ist ähnlich verfahren. Sie hat die Sterne zu Hilfe genommen, um das Leben auf der Erde zu deuten. „Heute lebt mehr als die Hälfte der Europäer in Gegenden, in denen man nicht einmal mehr die Milchstraße erkennen kann“, beklagt Pröschold.

Der Bezug zur Natur, das Wissen um den größeren Zusammenhang, erlischt. „Nicht nur wir als Individuen, auch die Bedeutung der Menschheit ist winzig klein, räumlich und zeitlich“, erläutert er. „Stellt man sich die Erdgeschichte als ein Kalenderjahr vor, wäre der moderne Mensch erst in der letzten Minute vor dem Silvesterfeuerwerk entstanden. Kolumbus wäre eine Sekunde vor Mitternacht in Amerika gelandet.“

Wer sich von Pröscholds Faszination für die Sterne anstecken lässt, muss aber nicht unbedingt weit reisen. „Tolle Aussichtspunkte kann man von Köln aus innerhalb von drei Stunden mit dem Auto erreichen. Im Weserbergland oder in der Rhön sind die Bedingungen in klaren Nächten bereits fast so gut wie in echter Wildnis.“ Und was hat einem wie ihm die lange Beschäftigung mit den Sternen beigebracht? Was haben die Sterne ihm erzählt? „Das Universum erzählt nichts“, sagt Pröschold. „Es stellt Fragen.“

Bernd Pröschold: Reiseziel Sternenhimmel – die dunkelsten Beobachtungsplätze in Deutschland und Europa, Kosmos Verlag 2018, 208 Seiten, 30 Euro

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