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„Tummelplatz für Antisemiten und Neonazis“Kölner Blogger beeinflusst Festival-Absage

Lesezeit 4 Minuten
20211004_Eugen Lyubavskyy auf dem NDH (c) Marcus Flesch (4)

Der Kölner Blogger und Musiker Eugen Lyubavskyy steigt gerne aufs Dach.

Köln – Mit seinem Blog „Eugen vom Dach“ erreicht Eugen Lyubavskyy normalerweise eine überschaubare Leserschaft. Sein bislang bestes Ergebnis für einen Beitrag waren 400 Besucher. Anfang September aber traf der Kölner einen Nerv. Über 30.000 Mal wurde seine Geschichte aufgerufen und trug maßgeblich dazu bei, dass mehrere Bands ihr Engagement bei einem finnischen Musikfestival stornierten.

Dabei nahm der studierte Germanist mögliche Folgen für seine eigene Formation Pripjat, die sich im Underground durchaus einen Namen gemacht hat, in Kauf. Denn die Kölner Metal-Band ist im gleichen Genre wie die kritisierte Truppe von Sodom unterwegs. Die Gelsenkirchener sind Pioniere der Szene und gehören zu den erfolgreichsten deutschen Vertretern des Subgenres Thrash Metal. Im Dezember 2018 hatten sich die Bands beim „Ruhrpott Metal Meeting“ in Oberhausen noch eine Bühne geteilt, eine der bislang größten Shows für die Kölner Truppe.

„Tummelplatz für Antisemiten und Neonazis“

Anlass für Lyubavskyys Äußerungen war die Bestätigung von Sodom für das „Steelfest“ im finnischen Städtchen Hyvinkää. In seinem Beitrag bezeichnet er das Festival als „Tummelplatz für Antisemiten, Homophobe, Xenophobe, Pädophile und Neonazis“. Weiter erklärte er die Verstrickungen der Veranstalter zur finnischen rechtsextremen Szene. So sollen dort neben internationalen Stars wie Sodom, Primordial oder Dark Funeral ebenso Bands aus dem Umfeld des so genannten Nationalsozialistischen Black Metal (NSBM) auftreten. Gruppen wie Satanic Warmaster oder Graveland geben sich nicht einmal Mühe, ihre rechte Gesinnung zu verbergen.

Nach einigen halbherzigen Äußerungen seitens der Gelsenkirchener Szenegrößen entschloss sich Lyubavskyy zu seinem Artikel. Angesichts des daraus entstehenden öffentlichen Drucks zogen schließlich neben Sodom weitere Bands ihre Zusagen zurück. „Es schmerzt gewaltig. Ich bin Metalhead. Aber ich bin auch Antifaschist. Und Letzteres geht vor. Immer“, schließt Lyubavskyy seine Ausführungen, nicht ohne erwähnt zu haben, dass es Pripjat ohne Sodom in der Form nie gegeben hätte.

Schreiben statt Video

Seinen Blog startete der Kölner im ersten Pandemie-Sommer. „Ich habe auf dem Dach meines Zuhauses Sport gemacht. Dann habe ich angefangen kurze Videos zu drehen um mich mitzuteilen“, erzählt Lyubavskyy.

Erst gab es kein Schwerpunktthema, es war eher eine Art Ritual für ihn. Zwar gab es viel positives Feedback, doch schnell merkte der Musiker, dass sein Medium doch das Schreiben ist. „Wenn ich zu lange rede, komme ich ins straucheln. Ein Blog war da naheliegend“, erklärt er. Aus einer Anregung aus dem Freundeskreis entstand der Name „Eugen vom Dach“. Dazu entwarf eine Freundin ein passendes Logo. Seit einem Umzug steht kein Dach mehr zur Verfügung, lediglich ein Balkon. „Dafür steige ich den Leuten jetzt aufs Dach“, sagt Lyubavskyy.

Musik ist nicht unpolitisch

Ein erstes Thema war die Auswirkung der Pandemie auf Musiker. Schnell entwickelten sich daraus gesellschaftliche und politische Themen. Lyubavskyy fragte sich, was nach der Pandemie sein würde. Überleben etwa die Klubs? „In Ehrenfeld wurde beispielsweise mit dem Underground das Herz herausgerissen, auch wenn das nicht mit der Pandemie im Zusammenhang steht“, sorgt sich der im russischen St. Petersburg geborene Musiker und Autor um die Club-Szene in Köln.

„Für mich gibt es nichts unpolitisches, auch die Musik nicht. Ich habe das Gefühl dass die Demokratie in einer schwierigen Phase ist und dass das ohne unsere Teilhabe auf Dauer nicht laufen wird. Alle paar Jahre ein Kreuzchen zu setzen ist zu wenig“, führt er weiter aus und unterstreicht die Aussage mit der Überlegung einer Partei beizutreten. „Ich predige meine politischen Ansichten nicht. Aber ich bin für Menschlichkeit und die fehlt auf der rechten Seite“, ergänzt Lyubavskyy.

Sorge um Nationalismus

Weiter beschäftigt sich der Kölner, der als Marketingtexter seinen Unterhalt verdient, mit dem Erbe Kiews, der Stadt seiner Kindertage. Zum Gedenken des Massakers von Babyn Jar verfasste er einen bewegenden Beitrag. Das Haus der Großmutter, eines der wenigen Einfamilienhäuser in Kiew, steht in unmittelbarer Nähe zum Ort des NS-Verbrechens. „Die Sowjets wollten das Thema wegwischen, weil Ukrainer mitgemordet haben. Niemand redet gerne über dieses dunkle Kapitel und der ukrainische Anteil wird verschwiegen“, weiß Lyubavskyy zu berichten.

Die Sensibilisierung für den Holocaust sei in vielen Ländern nicht so weit wie in Deutschland. Zudem beobachtet der Musiker, der neben Deutsch noch ukrainisch, russisch und englisch spricht, den durch den Krieg mit Russland steigenden Nationalismus in der Ukraine mit Sorge.

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Neben dem Blog nimmt inzwischen die Band wieder mehr Zeit in Anspruch. Nach der langen Zwangspause gab es bereits erste Auftritte und die Gruppe schreibt – wenngleich sehr langsam – am dritten Album. „Die Zeit vor der Pandemie war sehr anstrengend. Wir waren auf Tour durch die Ukraine und haben eine Show auf Malta gespielt“, erinnert sich Lyubavskyy.

Eine weitere Tour kostete die Truppe viel mentale Kraft, da sie vergleichsweise enttäuschend verlief. „Ich bereue die Erfahrung nicht. Aber es hat gezeigt, dass der Apparat kaputt war. Das Angebot überstieg die Nachfrage bei weitem“, analysiert der Gitarrist und vermutet sogar, dass die Pandemie-Pause Pripjat vor einer Bandkrise bewahrte. Der Blick des umtriebigen Kölners richtet sich nach den Erfahrungen der Corona-Zeit in die Zukunft – von Blog und Band.

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