30 Jahre nach dem Angriff in KölnLafontaine-Attentäterin endgültig auf freiem Fuß

Lesezeit 3 Minuten
Lafontaine

Oskar Lafontaine war bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadthalle in Köln-Mühlheim von der 42-jährigen Arzthelferin Adelheid Streidel lebengefährlich verletzt worden.

  • 30 Jahre nach der Messerattacke auf den SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine hat die Angreiferin Adelheid Streidel ihre Strafe verbüßt.
  • Nun sind sämtliche Bewährungsauflagen gegen die Delinquentin erloschen.
  • Die 73-Jährige durfte das Pflegeheim, in dem sie unter falschem Namen lebte, verlassen.

Köln – Als die Besucherin mit dem maskenhaft geschminkten Gesicht und den knallroten Lippen am 25. April 1990 dem SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine nach einem Wahlkampfauftritt in der Mülheimer Stadthalle das Fleischermesser in den Hals stach, verfehlte die Klinge die innere Halsschlagader des Politikers nur um Millimeter. Lafontaine überlebte, die geistig verwirrte Angreiferin Adelheid Streidel wurde in der geschlossenen forensischen Abteilung der Klinik in Bedburg-Hau untergebracht.

30 Jahre nach der Messerattacke hat die Attentäterin ihre Strafe verbüßt. Wie Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer auf Anfrage dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ jetzt mitteilte, sind sämtliche Bewährungsauflagen gegen die Delinquentin erloschen. Streidel durfte das Pflegeheim nahe Bedburg Hau verlassen, in dem sie unter falschem Namen lebte. Auch wurde die 73-Jährige aus der Führungsaufsicht entlassen.

Adelheid Streidel wollte Rachefeldzug gegen Politiker führen

Einen entsprechenden Beschluss hatte die zuständige Strafvollstreckungskammer in Kleve bereits im Juli 2019 gefasst, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Nach Angaben Bremers kamen die Richter zu dem Schluss, dass von Streidel „kein Risiko mehr ausgeht, erneut Straftaten zu begehen. Sie habe sich in der Bewährungszeit gut geführt, „sodass die Maßnahmen für beendet erklärt wurden.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Im Prozess um den Messerangriff hatte sich seinerzeit herausgestellt, dass die Attentäterin unter einer paranoiden Schizophrenie mit einem „geschlossenen Wahnsystem“ litt. Sie erging sich in Verschwörungstheorien, um einen Rachefeldzug gegen Politiker zu führen. „Ich wollte Herrn Lafontaine töten, damit ich vor Gericht gestellt werde“, sagte die Arzthelferin aus Bad Neuenahr seinerzeit den Ermittlern.

Jesus sei ihr erschienen und habe ihr die Hand geführt. Vor Gericht fantasierte die Angeklagte von „Menschentötungsfabriken“ in der Bundesrepublik, für die Politiker sich verantworten müssten. Letztendlich schickte das Gericht sie in den Maßregelvollzug der Klinik in Bedburg-Hau.

Erst 2014 wurden die Streidels Auflagen verschärft

Erst nach 23 Jahren kam die Delinquentin unter strengen Bewährungsauflagen auf freien Fuß. Die Strafvollstreckungskammer Kleve befand seinerzeit, dass die Therapie in der geschlossenen Abteilung angeschlagen habe, die verabreichten Medikamente hätten dazu geführt, dass die Gefahrenprognose positiv ausfiel.

Allerdings verhängte das Gericht weitreichende Beschränkungen: Untergebracht in einem Pflegeheim, musste Adelheid Streidel weiterhin eine ambulante Therapieeinrichtung aufsuchen; die Kammer legte fest, welche Arzneien sie zu nehmen hatte; ihr wurde ein gesetzlich bestellter Betreuer an die Seite gestellt. Im Mai 2014 verschärfte das Gericht die Auflagen – als Reaktion auf ihren Brief an einen Berliner Spitzenpolitiker.

Lafontaine wurde nicht über Freilassung informiert

Von Streidels Freilassung erfuhr Lafontaine seinerzeit aus den Nachrichten. Dies sorgte für öffentliche Kritik an der Justiz, hat aber einen einfachen Grund: Laut Strafprozessordnung hätte er bei der zuständigen Staatsanwaltschaft beantragen müssen, über seine Angreiferin auf dem Laufenden gehalten zu werden. Das scheint er bis heute nicht getan zu haben. Nach Informationen dieser Zeitung hat die Justiz ihn nicht über die Freilassung der Angreiferin informiert.

In einem seiner Bücher bekannte Lafontaine, wie sehr ihn die Messerattacke veränderte. „Ich hatte erfahren, wie wenig verlässlich Macht, Anerkennung und politischer Erfolg sind. Der Gedanke, mein Leben so einzurichten, dass ich mir bei einem plötzlichen Ende keine zu starken Vorwürfe machen müsste, ließ mich nicht mehr los.“ Im März 1999 trat der damalige SPD-Vorsitzende und Bundesfinanzminister von allen Ämtern zurück und gründete später die Linkspartei mit. Lafontaine sprach von einer „Spätfolge des Attentats aus dem Jahre 1990“.  

KStA abonnieren