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300 Prozent mehr Umsatz seit CoronaKölner trifft mit Brotbackshop den Nerv der Zeit

Lesezeit 4 Minuten
Brotbackshop Axel Bauer

Axel Bauer in seinem Online-Brotbackshop in Lövenich

  • Im Text finden Sie auch zwei schöne Brotrezepte von Axel Bauer zum Nachbacken.

Köln – Nur ein paar hundert Meter sind es vom Egelspfad, da befindet sich ein Geschäft, dessen Erfolgsgeschichte manchen Kölner Einzelhändler neidisch machen dürfte. Der Laden hat weder eine attraktive Lage, noch eine hippe Einrichtung, noch ein Sortiment, das man spektakulär nennen würde. Und hätte man dem promovierten Betriebswirt Axel Bauer prophezeit, dass er irgendwann eine Mehlhandlung eröffnen und damit pro Jahr den Umsatz um 100 Prozent steigern würde, er hätte gelacht. 

Heute würde er sich doppelt ärgern, wenn es anders gelaufen wäre. Denn seit Beginn der Corona-Pandemie sind die Umsatzzahlen sogar um teilweise 300 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.

Alles fing damit an, dass ihm ein Kumpel vor fünf Jahren einen preisgünstigen Thermomix unterjubelte und Bauer völlig vorsatzlos seine Freude am Brotbacken entdeckte. Wie viel Glück an einem 750-Gramm-Laib hängen kann, das wusste ein anderer Mann zu diesem Zeitpunkt bereits sehr gut. Gerhard Kellner, ein zeitlebens im Textilgewerbe tätiger Mann aus dem westfälischen Dellbrück, hatte sich beim sommerlichen Grillen regelmäßig über die Qualität handelsüblicher Baguettes geärgert. Bis er festgestellte, dass es gar nicht so einfach ist, ein gutes selber zu backen.

Also fing er an, der Materie auf den Grund zu gehen. Er probierte allerhand aus, postete wenig später erste eigene Rezepte im Internet - und erlebte eine unerwartete Resonanz. Die Leser seines Blogs wollten nicht nur seine Anleitungen, sondern am liebsten auch gleich die Zutaten haben. Statt lange zu erklären, woher er was bezieht, beantragte er, inzwischen Rentner geworden, einen Gewerbeschein und richtete bei sich im Keller einen Brotbackshop ein. Ende 2017, als er über 70 Jahre alt und seine Frau das tägliche Pakete packen leid war, wollte Keller jedoch den Ruhestand einläuten und bot sein „Ketex” genanntes Unternehmen über einen Makler zum Verkauf an.

Manitoba-Mehl für fluffige Pizza

In der Zwischenzeit war Axel Bauer in Köln längst zum fortgeschrittenen Brotbäcker geworden und beglückte Ehefrau und drei Töchter regelmäßig mit ofenwarmen Eigenkreationen. Dann erfuhr er von Kellers Absichten, kaufte Ketex und verlagerte die Firma zunächst nach Köln-Weiden, wo er in eher unbehaglichen Kellerräumen mit dem Umfüllen von Spezial-Mehlen aus großen Säcken in handlichere Zwei-Kilo-Beutel begann: Französisches la Banette Mehl fürs perfekte Baguette, helles und dunkles Bergwurzelmehl aus der Schweiz, italienisches Manitoba-Mehl für fluffige Pizza oder T-80, ein französisches Biomehl, das man hierzulande kaum findet.

Dass eine Ärztin aus Hamburg nun viermal im Jahr bei ihm 25 Kilo Baguette-Mehl bestellt, und Bauers Mitarbeiter inzwischen dutzendfach Gärkörbchen aus Holzschliff oder Peddigrohr, Teigschaberkarten, Brotstreicher oder Gärautomaten versenden, zeigt: der Kölner hat den Nerv der Zeit getroffen. Enzyminaktives flüssiges Backmalz, das unter anderem für eine gleichmäßige Porung in der Krume sorgt, geht weg wie Waschpulver im Drogeriemarkt.

Der absolute Bestseller neben den Mehlen ist zum einen die für Kastenformen zugeschnittene, mehrfach verwendbare Dauerbackfolie sowie Bauers spezielle Poller-Brotformen. Normalerweise besteht eine solche Profi-Backform aus fünf Zylindern. Weil die aber nicht in Haushaltsbacköfen passen, lässt der Kölner sie als Dreiteiler anfertigen.

Vor wenigen Monaten hat der 50-Jährige sein Unternehmen auf die erste Etage eines Mehr-Firmen-Hauses im Lövenicher Industrie-Gebiet verlegt, das mittwochs zwischen 8.30 und 15 Uhr auch für Selbstabholer geöffnet ist.  Außerdem hat der Brot-Liebhaber im Zusammenspiel mit seinen Kunden ebenfalls damit begonnen, Rezepte auszutüfteln und in einem Blog zu veröffentlichen. Worüber er sich besonders freut, ist die rege Online-Kommunikation mit Hobby-Brotbäckern aus ganz Deutschland.

Renaissance für den „Hermann“

Der Kölner greift zum Handy und zitiert aus Dialogen, bei denen er entweder als Tippgeber oder Brotverbesserer am Rande des heißen Ofens fungiert oder umgekehrt auf Wunsch von Kunden Veränderungen einführt; wie etwa die komplette Umstellung des Verpackungsmaterials auf Papier. "Richtig geil" findet er, dass „Hermann“ seit kurzem eine Renaissance in deutschen Haushalten erlebt. Bauer öffnet den Kühlschrank und nimmt ein Einmach-Glas mit Ansatz für Sauerteig heraus, wie er bei unseren Großmüttern noch selbstverständlich war. Regelmäßig „gefüttert“, vermehrt sich diese Teig-Basis und kann jahrelang verwendet werden.

Die Backszene habe inzwischen erkannt, sagt Bauer, dass gutes Brot neben guten Zutaten vor allem eines brauche: Zeit. „Während des Gärprozesses entwickeln sich bestimmte Zucker, die nach einer Stunde ihr Maximum erreichen, nach vier Stunden jedoch so weit abgebaut sind, dass es nicht mehr zu Unverträglichkeiten kommt.“ Mit anderen Worten: „Eine lange Gärzeit verhindert Verdauungsbeschwerden“, betont der Betriebswirt .

Angesichts der wachsenden Zahl privater Brotmachern im ganzen Land wird der Kölner möglicherweise irgendwann dem Schweizer Bäcker Martin Mayer nacheifern, der kürzlich in der Nähe von Zürich ein „Sauerteig-Hotel“ eröffnet hat. Dort wird der „Hermann“ aus dem eigenen Kühlschrank zuverlässig weitergefüttert wie ein Haustier, während man selbst im Urlaub ist. Einen weiteren Vorteil hat die Idee: Das Sauerteig-Hotel fällt nicht unters Beherbergungsverbot.

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