40 Jahre NS-Dok in KölnDer Kampf um das Erinnern ans Grauen

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Marinette mit der in Köln geborenen Christiane und der jüngeren Tochter 1950 in Lyon

  • Vor 40 Jahren beschloss der Rat der Stadt Köln die Einrichtung der Gedenkstätte Gestapogefängnis im EL-DE-Haus.
  • Heute vermittelt der Ort die Schicksale zahlreicher dort Inhaftierter.
  • Das 40-jährige Bestehen wird am 15. 12. mit einem Tag der Offenen Tür gefeiert.

Köln – Am 13. Dezember 1979 ging ein langer Kampf zu Ende – zumindest vorläufig. Der Rat der Stadt Köln beschloss die Einrichtung der Gedenkstätte Gestapogefängnis im EL-DE-Haus am Appellhofplatz. Und nicht nur das. „Das war eine Sternstunde des Rats. Er hat es nicht bei der Einrichtung der Gedenkstätte belassen, sondern auch die Gründung eines Dokumentationszentrums zur Erforschung der NS-Zeit beschlossen“, betont Werner Jung, Direktor des NS-Dok.

Der Weg zu diesem Beschluss war lang. Sammy Maedge hatte bereits in den 60er Jahren auf die Geschichte des Hauses aufmerksam gemacht, das während der NS-Zeit Sitz der Kölner Gestapo war. Im Keller des Hauses befand sich ein Gefängnis. Der Lehrer Kurt Holl und  der Fotograf Gernot Huber ließen sich im März 1979 dort einschließen, um über Nacht Fotos von den Zellen und den Inschriften anzufertigen. Die Gedenkstätte wurde 1981 eingeweiht, 1987 beschloss der Rat ein weiteres Mal – wieder nach Bürgerprotesten – die Einrichtung eines Dokumentationszentrums, weil nach dem ersten Beschluss die Planungen ins Stocken geraten waren.  Das Haus entwickelte sich kontinuierlich weiter, seit 18 Jahren verzeichnet es jedes Jahr einen neuen Besucherrekord. Und zurzeit wird es zum „Haus für Erinnern und Demokratie“ ausgebaut.

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Die Zeilen schrieb Kurow während seiner Zeit in Gestapohaft an die Wand seiner Zelle.

„Unser Haus ist ein authentischer Ort, die Gedenkstätte europaweit einzigartig. Es ist ein Opfer- und Täterort, mitten in der Stadt, nur fünf Minuten vom Dom entfernt. Das Verbrechen ist nicht weggedrückt“, betont Werner Jung. Wir stellen ihnen das Schicksal  dreier Menschen vor, die während der NS-Zeit im Kölner Gestapo-Gefängnis inhaftiert waren.

Gertrud Koch

„Ich habe ihren Mut und ihre Konsequenz bewundert“, sagte  Werner Jung einmal über Gertrud Koch. „Sie wusste genau, was sie wollte. Nach ihr sollte man Schulen benennen.“ Und tatsächlich trägt die frühere Gesamtschule Sieglar in Troisdorf seit kurzem den Namen dieser mutigen Frau. Geboren wurde sie als Gertrud Kühlem 1924 in Köln. Ihre Eltern waren aktive Kommunisten. Wegen seiner Widerstandstätigkeit wurde der Vater mehrfach verhaftet und schließlich im Konzentrationslager Esterwegen ermordet. Gertrud Kühlem gehörte schon als Schulkind einer kommunistischen Jugendorganisation an. Über die Naturfreunde kam sie zur bündischen Jugend. Dort nannte man sie „Mucki“. Die bündische Jugend grenzte sich ab vom Drill der HJ, ein Teil der Gruppe diskutierte aber auch politisch. „Mucki“ verteilte zudem politische Flugblätter und beteiligte sich an Aktionen; so war sie dabei, als in Ehrenfeld Parolen wie „Keine Waffen für den Krieg“ auf Züge gemalt wurden. Und sie warf Flugblätter aus der Kuppel des Hauptbahnhofs.

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Gertrud Koch Anfang der 1940er Jahre

1941 und 1944 wurde sie verhaftet und jeweils für mehrere Tage  im EL-DE-Haus eingesperrt und brutal verhört. Danach kam sie für insgesamt neun Monate in das Konzentrationslager Brauweiler. Auch nach der Haft nahm sie weiter an Fahrten teil und verteilte Flugblätter. „Mucki“ traf sich auch mit den Ehrenfelder Edelweißpiraten. Die öffentliche Hinrichtung einiger von ihnen am 10. November 1944 hat sie mit ansehen müssen. Sie  überlebte, weil man ihr nichts nachweisen konnte. 2016 starb sie in Köln.

Askold Kurow

Im Februar 1945 schrieb der inhaftierte Askold Kurow an die Zellenwand: „Wir haben schon 43 Tage gesessen, das Verhör geht zu Ende, jetzt sind wir mit dem Galgen an der Reihe. Ich bitte diejenigen, die uns kennen, unseren Kameraden auszurichten, dass auch wir in diesen Folterkammern umgekommen sind.“   Es kam anders. Kurow gelang, was  unmöglich schien: die Flucht aus dem Gestapogefängnis. Mitte Februar 1945 war der Häftling im Tiefkeller eingesetzt, um Akten zu transportieren. Als der wachhabende Gestapobeamte durch das Klingeln des Telefons ins Gefängnis gerufen wurde, konnte  Kurow durch den Heizungskeller fliehen, der sich über beide Stockwerke erstreckt, weil an dieser Stelle die Fenster nicht vergittert waren. Es gelang ihm, ins Bergische zu entkommen, dort traf er seine spätere Frau Vera wieder, eine junge Frau aus Usbekistan.

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Askold und Vera Kurow kurz nach Ende des Krieges

Kurow stammte aus der Nähe von Moskau und wurde als 16-Jähriger im Oktober 1942 mit anderen Jugendlichen in einem Zug  nach Köln verschleppt. Interniert war er zunächst im Zwangsarbeiterlager Bensberger Marktweg in Köln-Dellbrück und danach im Deutzer Messelager.  Im Messelager beging er kleinere Sabotageakte, traf sich mit Nazi-Gegnern und plünderte aus Postpaketen Lebensmittel und Waffen. Nach einem Fluchtversuch wurde er in Duisburg gefasst und dort in ein „Arbeitserziehungslager“ eingewiesen. Von dort floh er zurück nach Köln, wo er zunächst in ausgebombten Häusern lebte und sich später unter falschem Namen wieder ins Messelager aufnehmen ließ.  Infolge einer Denunziation wurde  Kurow am 24. Dezember 1944 von der Gestapo verhaftet und im  EL-DE-Haus inhaftiert.  

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Marinette

Die 25-jährige Französin Marinette war 1944 ihrem Freund nach Deutschland gefolgt. Sie arbeitete als Hausmädchen in einer deutschen Familie, die zu den Gegnern der Nationalsozialisten zählte. Von deren Verhaftung im Dezember 1944 war auch Marinette betroffen, die in Zelle 3 des Gestapogefängnisses inhaftiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war sie im achten Monat schwanger. Zur Entbindung wurde sie in das Krankenhaus der Augustinerinnen im Severinsviertel gebracht. Acht Tage nach der Geburt der Tochter Christiane am 12. Januar 1945 musste Marinette in das Gestapogefängnis zurückkehren, von der  Tochter getrennt, die bei Nonnen untergebracht wurde. In  zahlreichen Inschriften berichtet sie von ihrem Schicksal. So schrieb sie etwa: „Ich kann nicht mehr leben ohne meine Tochter, ich glaube, ich werde in diesem Haus wahnsinnig! Wenn es nur um mich ginge, würde ich gern vor Hunger sterben, aber ich habe meinen kleinen Schatz Christiane, für sie muss ich leben (...)“ Marinette überlebte die Inhaftierung, doch die Erinnerungen an die Gestapohaft waren so schmerzhaft, dass sie darüber nie sprechen wollte  – auch nicht mit ihrer Tochter.

Das 40-jährige Bestehen des NS-Dokumentationszentrums  wird am  15. 12. mit einem Tag der Offenen Tür im EL-DE-Haus, Appellhofplatz 23-25, gefeiert. Von 11 bis 17 Uhr gibt es Führungen, Sonderausstellungen und Einblicke in die Arbeit. 

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