Spurensuche bis nach Abu DhabiWoher kommt das Kölner Fanclubwachstum?

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Viele Menschen assoziieren ihren Verein –  den 1. FC Köln – mit Liebe.

  • FC-Fans finden sich nicht nur im Rheinland, sondern auch in Abu Dhabi oder Singapur.
  • 801 Fanclubs verzeichnet der FC offiziell. Als er 1989 seine Arbeit aufnahm, waren es laut Rainer Mendel, der beim 1. FC Köln Fanbeauftragter ist, nur 70. „Man hat sich weder um Vereinsmitglieder noch um Fanclubs bemüht.“
  • Bis der FC merkte, wie wichtig eine florierende Fanszene für eine Vereinskultur sein kann. Was dann geschah.

Köln – Ziemlich genau 30 Jahre ist es her, da waren beim 1. FC Köln gerade einmal 70 Fanclubs aktiv. Bis heute hat sich die Zahl der sogenannten Vereine im Verein mehr als verzehnfacht. Woher kommt das Kölner Fanclubwachstum? Und was treibt die Ehrenamtlichen in den Fanvereinigungen an? Die Spurensuche führt bis nach Abu Dhabi, doch sie beginnt in Köln, im beschaulichen Innenhof eines Wohnhauses in Niehl.

Im Hintergrund plätschert das Wasser eines Teichs, im Vordergrund weht die FC-Fahne an einem Fahnenmast im Wind, in der Einfahrt steht ein quietschroter Kleintransporter. An einem Tisch sitzt ein Mann mit gelbem FC-Torhütertrikot und etwas abgewetzten Schuhen mit aufgesticktem Vereinslogo im Rollstuhl und betrachtet das sacht wiegende Wasser im Teich.

„Ich bin schon seit 1974 FC-Fan“

Viel spricht Josef Niessen nicht. Das Reden fällt ihm schwer, man muss genau hinhören, um ihn zu verstehen. Doch wenn er mühsam versucht, über seine Leidenschaft für den 1. FC Köln zu erzählen, dann zieht sich ein breites Lächeln über sein Gesicht.

„Ich bin schon seit 1974 FC-Fan“, sagt er. „Damals haben die ja alles gewonnen.“ Noch breiter wird sein Lächeln, wenn er über seinen Fanclub spricht. Beim „Mittendrin FC Köln e.V.“ sind mehr als die Hälfte der Mitglieder sehbehindert, gehörlos oder auf einen Rollstuhl angewiesen.

Die andere Hälfte des Vereins besteht aus Förderern und Angehörigen. Ein Fanclub, der Menschen mit Handicap vernetzen will. Wer hier Mitglied wird, hat oft einen gesundheitlichen Schicksalsschlag hinter sich.

Ihr Niehler Haus sieht aus wie ein FC-Museum

An seinen persönlichen Schicksalsschlag erinnert sich Gottfried Birk, an dessen Gartentisch Josef Niessen gerade sitzt, noch genau. Eigentlich waren er und seine Frau Ruth begeisterte Marathonläufer. Bis 2007 eine Hirnblutung Ruth aus dem Leben riss. Seitdem ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen, Birk kümmert sich um seine Frau. Ein Jahr später traten sie dem 1. FC Köln bei, wenig später auch „Mittendrin“.

Ihr Niehler Haus sieht aus wie ein FC-Museum. Ein ganzer Kleiderschrank ist voll mit Trikots, Wimpeln und Kappen. Auch der rote Transporter mit FC-Aufdruck gehört Birk. Mit ihm ist er mit seiner Frau zu Spielen quer durch die Republik getingelt. Anfang des Jahres starb seine Frau.

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Doch Birk will sein Engagement trotzdem nicht niederlegen, im Gegenteil. Jetzt erst recht. Heute ist er Vorstandsmitglied bei „Mittendrin“, in seinem roten Bus fährt er nun andere Vereinsmitglieder mit Handicap zu wichtigen FC-Spielen. Das Engagement ist auch eine Ablenkung für Birk, dessen Augen feucht werden, wenn er beginnt, von Ruth zu erzählen.

801 Fanclubs verzeichnet der FC offiziell, 31.520 Mitglieder zählen die Vereine insgesamt. „Und inoffiziell werden es sicher noch viel mehr sein“, sagt Rainer Mendel, Fanbeauftragter beim 1. FC Köln. Als er 1989 seine Arbeit aufnahm, seien es nur 70 gewesen.

„Damals war der FC noch nicht so nahbar“

„Damals war der FC noch nicht so nahbar. Man hat sich weder um Vereinsmitglieder noch um Fanclubs bemüht.“ Bis der FC merkte, wie wichtig eine florierende Fanszene für eine Vereinskultur sein kann. Fanclubs sind heute innerhalb des Vereins eine Institution, sie werden vom Vorstand gehört, können so auch vereinsinterne Entscheidungen beeinflussen.

„Den meisten geht es aber darum, nah am Verein zu sein, Hintergründe zu verstehen oder das Gemeinschaftsgefühl zu stärken“, sagt Mendel. Der größte Fanclub hat rund 14.000 Mitglieder, der mit 679 Anhängern zweitgrößte, der „Wilde Süden“, hat seine Wurzeln überraschenderweise in der Nähe von Stuttgart.

„Der VfB Stuttgart hatte nur ein Schaumstoffkrokodil“

Es war ein Sommermorgen im Jahr 1983, an dem Robin Loew-Albrecht noch nicht wusste, ob er wirklich in Köln ankommen wird. Er war damals 15 Jahre alt, als er an der Autobahnausfahrt Leonberg bei Stuttgart den Daumen in die Luft hielt. Es war der 11. Juni, am Abend spielt Fortuna Köln im Pokalfinale gegen den 1. FC Köln.

„Damals war es zwar normal zu trampen, aber es waren abenteuerliche Reisen“, erinnert sich Loew-Albrecht, der sich seinerzeit gerade erst hatte vom FC-Fieber packen lassen – ausgerechnet vom lebenden Maskottchen, dem Geißbock Hennes. „Der VfB Stuttgart hatte nur ein Schaumstoffkrokodil, das war dagegen uninteressant“, erzählt er.

Er kam dann am späten Nachmittag im 360 Kilometer entfernten Köln an, erlebte mit, wie der 1. FC Köln in einem knappen Spiel gegen seinen Stadtrivalen gewann. Als er nach dem Spiel über den Parkplatz lief, geriet er ins Grübeln.

Autos mit Stuttgarter, Böblinger, Tübinger oder Reutlinger Kennzeichen parkten hier, Loew-Albrecht war überrascht, wie viele FC-Fans aus dem Süden Deutschlands eigens zu den Spielen nach Köln reisten. Dieses Erlebnis veranlasste ihn, acht Jahre später den Fanclub „Wilder Süden“ zu gründen.

Mit dem Schiff den Rhein entlang zum Kölner Heimspiel

Heute ist Loew-Albrecht Vorsitzender einer Fanunion, die per Internet die Auswärtsfahrten von FC-Anhängern aus München, Mainz oder Nürnberg organisiert, die ganze Busse mietet, um zu FC-Heimspielen zu kommen, die sogar schon mit dem Schiff von Worms den Rhein entlang bis zum Kölner Heimspiel geschippert ist.

Wen es wundert, dass der 1. FC Köln in Deutschlands Süden eine starke Fanclubszene hat, der sollte einen Blick ins Kölner Fanclubregister werfen. Der von Köln am weitesten entfernte Fanclub sitzt in Singapur. 10.300 Kilometer von der Domstadt entfernt huldigen hier die „Singaböcke“ ihren Verein.

Immerhin noch ganze 5.000 Kilometer entfernt sitzen die „Wüstenböcke“ in Abu Dhabi. Arnd Herrmann, braungebrannt, Schnurrbart, nach hinten gegelte Haare, ist der Vorsitzende des einzigen Fanclubs in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Fanclubs des 1. FC Köln – weltweit

801 Fanclubs sind beim 1. FC Köln registriert. Zusammen haben sie 31.520 Mitglieder.

Allein 14.000 Anhänger sind im größten eingetragenen Fanclub organisiert, dem Fan-Projekt, der als eine Art Dachverband für die FC-Fans fungiert.

Die weiteste Anreise nach Müngersdorf haben die Mitglieder der „Singaböcke“. Vom Sitz des Fanclubs in Singapur sind es rund 10.300 Kilometer bis zum Stadion.

Die kürzeste Anfahrt haben naturgemäß die 384 in Köln registrierten Fanclubs.

Herrmann, der in Köln-Mülheim aufgewachsen ist, war schon an vielen Orten auf der Welt zu Hause – und gründete fast überall einen FC-Fanclub. Heute trifft er sich oft mit Fanclubs anderer deutscher Fußballvereine in einem Hotel in Dubai, um die Bundesligakonferenz zu schauen.

Der Heimat trotzdem nahe sein

„Für mich ist das eine Möglichkeit, trotzdem der Heimat nahe zu sein“, sagt er. In Abu Dhabi lebt er aus beruflichen Gründen, bei fast allen Mitgliedern der „Wüstenböcke“ ist es ähnlich. „Viele kehren nach einigen Jahren wieder in die Heimat zurück. Ich muss für unseren Club viel mehr die Werbetrommel rühren als andere“, erzählt er.

Bei Youtube findet man ein Video eines Gründungsmitglieds der „Wüstenböcke“. Im Zeitraffer ist zu sehen, wie Männer den Grund eines Swimmingpools auf einem Grundstück am Rande der Wüste mit einem 1. FC Köln-Mosaik versehen. Inzwischen gibt es den Pool allerdings nicht mehr, auch dieser Freund von Arnd Herrmann ist umgezogen.

Wann er selbst wieder nach Köln zurückkehren wird? Herrmann weiß es noch nicht. „Aber wenn mir der FC eine interessante Stelle anbieten würde, würde ich wahrscheinlich mehr als nur darüber nachdenken“, sagt er.

„Wir wollen unsere Mitglieder vom Alltag ablenken“

Der quietschrote Bus von Gottfried Birk fährt vor dem Müngersdorfer Stadion vor. Heute geht es nur zu einem kleinen Treffen ins Stadion, der FC spielt nicht. Birk hat unterwegs noch einen zweiten Rollstuhlfahrer eingesammelt, auf dem Parkplatz steht bereits eine Frau, die einen weiteren Rollstuhl zusammenbaut.

Marie-Luise Siems ist Vorsitzende von „Mittendrin“ und Behindertenbeauftragte beim 1. FC Köln. Ihr Handy klingelt im Minutentakt, jedes Telefonat nimmt sie an.

Als das Stadion neu gebaut wurde, war sie dafür zuständig, dass es möglichst barrierefrei werden sollte, heute setzt sie sich dafür ein, dass möglichst alle FC-Fans mit Handicap, ihre „Schützlinge“, an ein Ticket für die FC-Spiele kommen.

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„Wir wollen unsere Mitglieder vom Alltag ablenken“, sagt sie. Und wer jetzt, im Müngersdorfer Stadion, in die Gesichter der Männer im Rollstuhl sieht, der merkt, dass das auch ganz gut funktioniert.

Mit strahlenden Lächeln schauen sie in Richtung Rasen – obwohl auf dem Platz heute kein einziger FC-Spieler steht. „Wir sind schon anders als andere Fanclubs, aber FC-verrückt sind wir alle“, sagt Gottfried Birk dann. Und Siems läuft eine Träne über die Wange. 

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