Abrechnungszentrum AvP ist pleiteKölner Apotheken nach Insolvenz in Not

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Nach Angaben des Apothekerverbands droht bis zu 15 Kölner Apotheken durch die AvP Insolvenz die dauerhafte Schließung.

  • Das Düsseldorfer Unternehmen AvP, das Rezepte für Apotheken abrechnet, ist insolvent. Der Kölner Apotheker Oliver Heise verliert dadurch eine Viertelmillion Euro.
  • Thomas Preis vom Apothekerverband Nordrhein warnt vor einer Verdopplung des Apothekensterbens.
  • Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat Ermittlungen gegen zwei AvP-Funktionäre eingeleitet.

Köln – Oliver Heise will seine Kunden nicht verschrecken. Deshalb möchte er anonym bleiben, eigentlich heißt er anders. Der 39-Jährige ist seit zehn Jahren selbstständig, ihm gehören zwei Apotheken in Köln. Mitte September sind ihm mehrere hunderttausend Euro abhandengekommen. Grund ist die Insolvenz eines Düsseldorfer Apothekenrechenzentrums, mit der er nichts zu tun hat.

80 Prozent seines Umsatzes besteht aus Geldern der gesetzlichen Krankenversicherungen, die zunächst an den Dienstleister AvP fließen. Dieser bearbeitet die Kundenrezepte und verteilt das Geld an die Apotheken. Die AvP ist stille Schnittstelle zwischen Krankenkasse und Apotheke, die Überweisungen sind reine Formalitäten. Dachten alle. Bis zum 11. September dieses Jahres.

AvP spricht zuerst von Serverproblemen

An jenem Freitag landete eine Mail im Postfach von Oliver Heise. Ein Rundschreiben, es gebe Serverprobleme bei der AvP, das Geld von August komme ein bisschen später. Kurz habe er geglaubt, das stimme. Heute weiß er: „Das war Quatsch.“ Das Rechenzentrum war pleite. Am folgenden Wochenende kamen die ersten Gerüchte auf, doch „bei der AvP war niemand erreichbar“, so Heise.

In einem Rundschreiben versicherte die AvP, dass die Apotheken ihr Geld bekommen – Mitbewerber würden die emotionalen Gerüchte zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Doch in der Woche darauf war es offiziell: „Die AvP Deutschland hat beim Amtsgericht Düsseldorf einen Insolvenzantrag gestellt“, heißt es in einem Kundenanschreiben. Die dort geparkten Gelder? Weg.

„Mein Anwalt sagt, ich bekomme wahrscheinlich nichts“

Die sechsstellige Summe war – wie jeden Monat – fest verplant. Für die Gehälter der Mitarbeiter, die Miete, die Medizin. Apotheker bestellen Medikamente und wissen, dass sie ihr Geld wieder erhalten. „Das Risiko einer Insolvenz hat bislang niemand gesehen“, sagt Heise. Jetzt bleibt er auf den Kosten für August sitzen: Insgesamt fehlt mehr als eine Viertelmillion Euro.

Der Großteil geht normalerweise direkt an den Großhandel. Der will jetzt sein Geld. „Das muss ich mir von einer Bank leihen. Oder von irgendwem. Solche Summen hat man ja nicht in der Hinterhand“, sagt Heise. Wie es weitergeht? „Manche sagen, wir bekommen irgendwann zehn bis 20 Prozent wieder. Mein Anwalt sagt, ich bekomme wahrscheinlich nichts.“

Verdopplung des Apothekensterbens

Im Kölner Raum ist rund die Hälfte der Apotheken von der AvP-Pleite betroffen – insgesamt 150 Filialen. Manchen fehlen wie Heise hunderttausende Euro, einzelnen Apotheken weit über eine Million. Nur sehr wenige bekamen eine Abschlagszahlung von 80 Prozent. Laut Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, droht zehn bis 15 Apotheken in Köln die dauerhafte Schließung.

„Die Apotheken, die in der Pandemie herausragendes geleistet haben, sind völlig unverschuldet in diese Situation geraten“, betont Preis. Viele stehen nun vor einem „persönlichen und geschäftlichen Scherbenhaufen.“ Bundesweit rechnet er damit, dass sich das Apothekensterben in diesem Jahr durch die AvP-Insolvenz verdoppeln wird.

Krankenkassen helfen bei zusätzlichem Engpass aus

Alle betroffenen Apotheken haben in der Zwischenzeit das Rechenzentrum gewechselt. Doch hier drohte der nächste finanzielle Engpass: Die Abschlagszahlungen, die die Apotheken Anfang Oktober von dem neuen Rechnungszentrum bekommen, umfassen normalerweise 80 Prozent der August-Zahlungen. Die Zahlen für August liegen jedoch bei der AvP.

Einige Krankenkassen helfen den Apotheken aus: Die AOK Rheinland/Hamburg sicherte am Montag zu, den Apotheken rund 75 Prozent der August-Umsätze, die über diese Krankenkasse abgerechnet wurden, als Abschlag zu zahlen. „Es ist ein Vorschuss, den die AOK eigentlich nicht zahlen müsste“, so Preis, der dankbar ist für die Hilfe. Ohne sie hätten viele Apotheken noch weitere Kredite aufnehmen müssen. Auch auf Bundesebene habe man mit einigen Krankenkassen Einigungen erzielt, beispielsweise mit der Techniker Krankenkasse.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bankrott

Am 5. September, einige Tage bevor die AvP von Serverproblemen schrieb, hörte die Finanzaufsicht BaFin von den Zahlungsproblemen. Sie schickte kurz darauf einen Sonderbeauftragten in das Unternehmen. Der reichte Mitte September den Insolvenzantrag ein und erstattete bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf Strafanzeige gegen zwei Personen. Der Vorwurf: Bankrott – eine betrügerische Insolvenz, bei der vorher Vermögen beiseitegeschafft wird. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, wie sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigte.

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Für den Kölner Apotheker Oliver Heise liegt die Schuld an seinen Verlusten klar bei der AvP. „So große Summen fließen nicht von heute auf morgen ab“, sagt er. Viel schlimmer als ihm ginge es den jungen Kollegen, die gerade erst eine Apotheke eröffnet haben und älteren Apothekern. „Wenn ich fünf Jahre vor der Rente stehen würde, hätte ich keine Lust mehr“, vermutet er. „Dann würde ich meine Apotheke verkaufen.“

Durch die Corona-Pandemie sei der Umsatz sowieso schon eingebrochen. Doch Heise sagt, er sei ja noch jung – er könne noch 30 Jahre arbeiten und neues Geld verdienen. „Ich denke, es wird gut gehen, aber es wird bitter und teuer.“

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