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Affenpocken und der CSD in Köln„Wir sprechen reale medizinische Gefahren nicht aus“

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affenpocken

Affenpockenviren unter dem Mikroskop

  • In Köln nimmt die Zahl der Affenpocken-Infektionen rasch zu.
  • Der Kölner Arzt Gerd Fätkenheuer und andere Mediziner haben den Eindruck, dass aus Sorge vor Stigmatisierung nicht richtig vor den Gefahren gewarnt wird.
  • Dabei seien es gerade die Aufklärung und richtigen Informationen, die vor einer Stigmatisierung schützen können.

Köln – Immer mehr Personen stecken sich in Köln mit dem Affenpocken-Virus an. Wie das Gesundheitsamt auf Anfrage mitteilte, wurden Stand Donnerstag insgesamt 68 Infektionen erfasst, 49 Personen sind akut infiziert und erkrankt. Sechs Tage zuvor lag die Gesamtzahl der Fälle noch bei 37. Experten äußern sich mit Blick auf die kommenden Monate besorgt – denn bis im Herbst flächendeckende Impfungen zur Verfügung stehen werden, kann sich das Virus weitestgehend ungestört verbreiten.

„Wir beobachten eine rasche Ausbreitung der Affenpocken“, sagt der Kölner Mediziner Gerd Fätkenheuer. Er leitet die Infektiologie an der Kölner Uniklinik. Den Verlauf der Affenpocken-Erkrankung beschreibt er als individuell unterschiedlich. „Das Spektrum ist groß: Von schweren Schmerzen bis nur leichten Hautveränderungen.“ Mit den inzwischen ausgerotteten Pocken, einer „hochansteckenden, tödlichen Erkrankung“, seien die Affenpocken nicht zu vergleichen. „Aber sie sind auch keineswegs zu trivialisieren.“

Affenpocken in Köln: „Wir müssen jetzt als Community Verantwortung übernehmen“

Fätkenheuer hat den Eindruck, es fehle in der Öffentlichkeit an der klaren Benennung von Risikosituationen – aus Sorge vor möglichen Stigmatisierungen. „Es handelt sich um eine Krankheit, die bisher praktisch ausschließlich bei Männern auftritt, die multiple Sexualpartner haben“, so der Mediziner. „Wichtig ist eine offene und klare Kommunikation, das vermisse ich teilweise.“

Alles zum Thema Christopher Street Day

Ähnlich geht es Kai Kupferschmidt. Der Wissenschaftsjournalist schreibt seit Jahren in Fachmagazinen über Infektionskrankheiten, seine Arbeiten sind mehrfach preisgekrönt. Kupferschmidt ist selbst HIV-positiv, er beschreibt sich als Mitglied der schwulen Community. „Wir müssen jetzt als Community Verantwortung übernehmen – für uns und andere. Das setzt voraus, dass die Menschen breit informiert sind“, sagt Kupferschmidt.

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„Das Risiko für Männer, die Sex mit unterschiedlichen Männern haben, steigt jeden Tag an. Und es wird auch an den Rand der sexuellen Netzwerke wandern“, so der Autor. Die Angst, zu stigmatisieren, führe auch zu einer Art Stigmatisierung: „Wir sprechen reale medizinische Gefahren nicht aus.“ Kupferschmidt steht selbst in Kontakt mit Affenpocken-Patienten. Ein Patient hätte ihm berichtet, er könne sich wegen Läsionen nicht mehr setzen. „Einer sagte mir, er habe vorher noch nie so starke Schmerzen empfunden.“ Auch das eigene Körpergefühl sei grundlegend beeinträchtigt.

CSD in Köln: Parade aus Expertensicht unbedenklich

Auch mit Blick auf den bevorstehenden Christopher Street Day (CSD) in Köln sei es wichtig, auf das Virus hinweisen. „Ich sehe kaum ein Risiko dabei, bei der CSD-Parade mitzulaufen. Die sexuellen Events am Abend sind das Risiko – das sollte jedem bewusst sein“, so Kupferschmidt.

Entscheidend sei im ersten Schritt eine ernsthafte Sensibilisierung für die Erkrankung, betont Gerd Fätkenheuer. „Wichtig ist, dass Menschen mit ersten Symptomen – Unwohlsein etwa, Fieber oder unklaren Hautveränderungen – sich so verhalten, als seien sie infiziert. Ich appelliere an die Betroffenen, sich dann schnell testen zu lassen und auch Sexualpartner zu informieren, die gefährdet sein könnten“, so der Mediziner. Bei möglichen Verhaltensänderungen gehe es „nicht um schwarz und weiß. Jede Entscheidung kann die Dynamik verändern“, sagt er. „Wer seinen Lebensstil von heute auf morgen nicht vollkommen verändert, reduziert vielleicht dennoch die Zahl seiner Sexualpartner für einen gewissen Zeitraum.“

Kai Kupferschmidt: Robert-Koch-Institut kommuniziert nicht klar genug

Kupferschmidt verweist auf ein Informationspapier aus dem US-amerikanischen Gesundheitsministerium, in dem explizit beschrieben wird, wie sexuelle Kontakte ohne Infektionsrisiko möglich seien – Masturbation in einem Abstand von anderthalb Metern wird dort etwa als unproblematisch eingestuft. Die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), auf die auch die Stadt Köln verweist, sind dagegen eher vage. „Bei den Isolationsbeschreibungen werden unsere Behörden sehr konkret, bis zur richtigen Desinfektion des eigenen Handys. Bei den Empfehlungen, wie ich mich schütze, sehen wir das Gegenteil: Wie kann ich mein Risiko ganz konkret vermindern, wenn ich zum Beispiel nicht auf Sex verzichten will?“, fragt er.

Kondome, so das RKI, schützen nicht vor einer Affenpocken-Infektion. Fätkenheuer will eine gewisse Schutzwirkung nicht vollständig ausschließen. „Kondome bieten einen breiten Schutz vor sehr vielen Infektionen“, so der Mediziner. „Bei dieser speziellen Erkrankung ist bislang unklar, wie gut der Schutz ist. Da die Erkrankung über alle betroffenen Hautpartien übertragen werden kann, schützen Kondome allerdings nicht sicher vor Affenpocken.“

Es müsse darum gehen, die Virus-Dynamik in den sexuellen Netzwerken, die es gibt, in den kommenden Monaten einzuschränken, so Kupferschmidt. „Die Fälle, die wir jetzt etwa in Deutschland sehen, zeigen im Vergleich zu den afrikanischen Daten wichtige Unterschiede. Es gibt sehr viele Unsicherheiten. Deswegen ist es richtig, vorsichtig zu sein.“ Insgesamt werde unterschätzt, was ein neues Virus langfristig für den Gesundheitszustand einer Gesellschaft bedeute. „Noch können wir versuchen, alle Wege für dieses Virus abzuschneiden.“

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