Abo

Angriff auf ObdachlosenFassungslosigkeit und Mitgefühl im Veedel

Lesezeit 3 Minuten
Täter und Opfer sind Kunden bei Fatih Cakmak.

Täter und Opfer sind Kunden bei Fatih Cakmak.

  • Eine Woche nach der brutalen Attacke gegen den Obdachlosen Jean-Pierre gibt es gute Nachrichten aus dem Krankenhaus.
  • Die beiden beschuldigten Jugendlichen haben die Tat inzwischen gestanden.
  • Die Bewohner aus dem Viertel sind entsetzt.

Köln – Rosen, Tulpen, Lilien und Kerzengedecke bedecken den Bürgersteig gegenüber der KVB-Haltestelle Mollwitzstraße in Weidenpesch. „Wir beten für Jean-Pierre“ steht auf einer weißen Schleife. Am Samstag haben sich spontan 40 Anwohner zu einer Mahnwache getroffen.

Am Sonntagnachmittag halten immer wieder Menschen dort, wo der 68-jährige Obdachlose Jean-Pierre am Sonntag vor einer Woche von einem 15-Jährigen mit einem Tritt an den Kopf niedergestreckt wurde. Jean-Pierre fiel infolge des Tritts auf den Hinterkopf. Als er reglos am Boden lag, trat ein Bekannter des Täters auf das Opfer ein.

Am Montag aus dem Koma erwacht

Zweimal musste der Mann, der seit vielen Jahren in Köln auf der Straße lebt, seitdem operiert werden. Er erlitt eine Hirnblutung und wurde nach den Operationen ins künstliche Koma versetzt.

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Sein Zustand war kritisch. Dann das Wunder: Am Montagvormittag ist Jean-Pierre wieder aufgewacht.

Täter treten Flasche weg

Die zwei Jugendlichen haben die Tat gestanden. Nach ihre Vernehmung durften sie nach Hause – sie erwartet eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, sollen fünf Jugendliche den Obdachlosen zunächst angepöbelt haben.

Nach einem Wortgefecht habe einer der Jungs Jean-Pierre seine soeben geöffnete Flasche weggetreten. Als die Schüler danach weggingen und lachten, sei der Obdachlose ihnen hinterhergelaufen und habe geschimpft. Sodann kam es zu der brutalen Attacke, die einer der Jugendlichen mit dem Handy filmte.

Bekannt als friedlich und couragiert

„Jean-Pierre ist in der Szene als friedlich und couragiert bekannt“, sagt der Kölner Richard Brox, der vergangenes Jahr einen Bestseller („Kein Dach über dem Leben“) über sein Leben als Obdachloser schrieb.

Jean-Pierre sei Alkoholiker und als solcher ein „Pegeltrinker“, seit Jahren beim Sozialdienst katholischer Männer und der Überlebensstation Gulliver als „angenehmer Zeitgenosse“ bekannt. Viele Menschen in Weidenpesch bestätigen das.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Jean-Pierre gehörte zu den Leuten, die präsent waren. Er war so etwas wie ein Aufpasser und eine Institution“, sagt Sandra Torres, die mit Mann und Kind am Tatort steht. 

Sie sprechen mit einer alten Dame, die nicht verstehen kann, „warum sich niemand eingemischt hat. Ich hätte die Jungs mit meinem Gehstock verprügelt!“ Geschockt reagiert auch Fatih Cakmak vom Kiosk, der 20 Meter vom Tatort entfernt liegt.

Sowohl Jean-Pierre wie auch die Täter und der Vater des Täters kaufen regelmäßig in dem Kiosk ein. „Jean-Pierre hat am liebsten Doppelkorn oder ein Kölsch genommen. Ich habe ihm vor dem Winter eine Jacke von mir geschenkt“, sagt Cakmak.

„Wie kann man einen alten Mann angreifen, und ihn noch treten, wenn er am Boden liegt?“, fragt Cakmak. Er werde den Jugendlichen „die Ohren lang ziehen, wenn sie das nächste Mal hier sind. Ich hoffe, ich kann mich beherrschen. Ich komme nicht klar mit der Tatsache, dass Jungs aus der Nachbarschaft so etwas getan haben.“

„Hemmschwelle sinkt“

Der 15-Jährige, der den Obdachlosen mit einem Kung-Fu-Tritt niederstreckte, ist dem Vernehmen nach aktiver Kampfsportler. Er ist wie auch sein Freund, der der das am Boden liegende Opfer trat, in Deutschland geboren. Polizeilich in Erscheinung getreten waren sie bislang noch nicht.

„Gewalt gegen Obdachlose gab es immer, auf der Straße herrscht das Faustrecht“, sagt Richard Brox. „Aber die Brutalität hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, die Hemmschwelle ist gesunken. Das liegt an oft niedrigen Strafen, aber auch an Hass und Mobbing, die sich im Internet ausbreiten und auf der Straße immer mehr ausgelebt werden.“

Auch das Video des Angriffs auf Jean-Pierre verbreitete sich in Windeseile in den sogenannten sozialen Medien. Viele Kommentare zu dem brutalen Tritt sind Zeugnisse von verbaler Gewalt und Verrohung.

KStA abonnieren