Antisemitismus in Kölner SchulenJudenfeindliche Angriffe nehmen zu

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In Köln sind jüdische Schulkinder zunehmend Anfeindungen ausgesetzt.

Köln – Eigentlich hatte Jonah Friedmann seine Strategie gefunden: „Ich habe immer erst mal bewusst eingeatmet und dann wieder ausgeatmet“, erzählt der Sechstklässler, „um mich zu beruhigen.“ Und dann habe er einfach nichts gesagt, wenn sie ihm hinterherriefen: „Der, die, das Jude.“ Und wenn er vom Friseur kam, dann wurde gehöhnt: „Judenfrisur“.

Hannah Friedmann, Jonahs Mutter aus Ehrenfeld, ist vorsichtig geworden. Deshalb möchte sie weder ihren richtigen Namen noch den ihres Sohnes in der Zeitung lesen, ebenso wenig wie sie die ehemalige Schule ihres Sohnes öffentlich an den Pranger stellen will. „Eigentlich denke ich, es kann doch nicht sein, dass wir uns verstecken müssen.“ Andererseits gebe es immer diese Angst, was das für Folgen haben könnte: „Köln ist klein.“

Gymnasium im Kölner Westen

Dabei hatte sie eigentlich keine Bedenken, ihren Sohn auf dem städtischen Gymnasium im Kölner Westen anzumelden. Aber als Jonah dann irgendwann zu Hause von den antisemitischen Beschimpfungen erzählte, handelte sie sofort. Sie informierte den Klassenlehrer, dass sie Anzeige erstatten wolle. Der beruhigte sie, sagte zu, das Thema mit den Beteiligten zu besprechen. Sie sah von der Anzeige ab. Doch die Wirkung hielt nicht lange an.

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Irgendwann musste Jonah sich anhören, dass man Israel bombardieren solle. Der Anführer der Beschimpfungen zeigte Jonah sein WhatsApp-Profil-Foto: Eine Israel-Karte, auf dem getötete Palästinenserbabys stilisiert dargestellt waren. „Da habe ich die Reißleine gezogen“, sagt die Mutter. Auch Jonah wollte nur noch weg. Mit Unterstützung der jüdischen Synagogen-Gemeinde suchte die Mutter ein anderes Kölner Gymnasium.

Levy: Antisemitismuis ist in  Köln alltäglicher geworden

Bettina Levy, Mitglied der Gemeindevertretung der Kölner Synagogen-Gemeinde, sieht ein wachsendes Problem. Antisemitismus sei auch in Köln offener und alltäglicher geworden. „Ich kann für unsere Gemeindemitglieder sagen, dass das Sicherheitsbedürfnis gewachsen ist. Man ist vorsichtig geworden.“

Was sich nicht nur an erhöhten Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Einrichtungen ablesen lasse. Es gebe auch in Köln Stadtteile, in denen man sich vorsichtshalber nicht – etwa durch das Tragen der Kippa – als Jude zu erkennen gebe. Welche Stadtteile sie meint, möchte sie nicht sagen, um kein Viertel zu stigmatisieren.

Das deckt sich mit einer Befragung von 500 in Deutschland lebenden Juden im Auftrag des Bundestages: Jeder Dritte sagte, er fürchte sich vor körperlichen Übergriffen, jeder Zweite meidet deshalb bestimmte Stadtteile oder Orte. Ein Drittel berichtete von verbalen Beleidigungen in den letzten zwölf Monaten, 62 Prozent von Antisemitismus in versteckter Form.

Verbrannte Israel-Fahne rüttelte Politik auf

Seit im Dezember in Berlin bei einer Demonstration eine israelische Fahne mit dem Davidstern brannte, ist Antisemitismus ein öffentliches Thema. Hinzu kam das auf Facebook gepostete Video, auf dem ein Passant den Wirt eines koscheren Restaurants minutenlang beschimpft, gipfelnd in dem Statement „Niemand schützt euch. Ihr werdet alle in der Gaskammer landen.“

Der Bundestag forderte die Bundesregierung daraufhin mit großer Mehrheit auf, einen Antisemitismusbeauftragten einzusetzen. Ein politisches Signal für ein Problem, das nach Ansicht von Levy vor allem in Schulen wahrnehmbar wird: „Dass Kinder in der Schule mit »Du Jude« diffamiert werden, kommt leider immer öfter vor. Es ist eines der gängigsten Schimpfwörter.“

Hetze mal subtil, mal offen

In der Synagogen-Gemeinde sei das häufig Thema. „Jeder Jude, den ich kenne, hat es entweder erlebt oder kennt andere, die in der Schule Erfahrungen damit haben“, bestätigt die 17-jährige Kölner Gymnasiastin Ma’ayan Bennett. Sie selbst habe das in ihrer Schulzeit auch erlebt. „Wie ist das denn so, Jude zu sein, so in der Art ging es.“ Manches sei subtil gewesen, anderes ganz offen, so wie der Post „Israelis sind Mörder“ im Klassenchat.

Immer wieder werde die Politik des Staates Israel mit dem Judentum gleichgesetzt, Religion und Politik nicht getrennt. „Das stört mich am meisten.“ Ihre Schwester habe sogar mal ein Hakenkreuz auf dem Mäppchen vorgefunden. Ma’ayan hat schließlich die Schule gewechselt. Wobei sie betont, dass Antisemitismus nicht der einzige Grund war.

Angst seinen jüdischen Glauben offen zu zeigen

Hannah Friedmann ist selbst Lehrerin an der jüdischen Grundschule in Ehrenfeld, und sie merkt, wie sich das veränderte Klima auswirkt. Von den Eltern ihrer Viertklässler, die im Sommer aus dem Schutzraum der jüdischen Grundschule aufs Gymnasium gewechselt seien, hätten einige aus Angst vor Antisemitismus ihren Kindern verboten, irgendjemandem an der neuen Schule zu sagen, dass sie Juden sind. Menschen fingen schleichend an, ihren Glauben zu verstecken.

Erfolg der AfD senkt Schamgrenze

Dabei speist sich der wachsende Antisemitismus aus mehreren Quellen: Bettina Levy sieht eine allgemein sinkende Hemmschwelle. Internet und soziale Medien seien zu Verbreitungsinstrumenten antisemitischer Hetze geworden. Rechts sei salonfähig geworden. Nicht zuletzt dank der AfD. „Die Schamgrenze ist gesunken. Auch ich werde auf Abendeinladungen in bürgerlichen Kreisen in Köln mit antisemitischen Andeutungen konfrontiert.“

Manche Leute würden jetzt laut sagen, was sie früher nur gedacht hätten. Hinzu kommt das vom Expertenkreis Antisemitismus des Bundestages konstatierte wachsende Problem des islamisch motivierten Antisemitismus. Bestimmte Formen würden in manchen muslimisch geprägten Milieus als Normalität erachtet, sagte der Islamwissenschaftler Michael Kiefer in der „Zeit“.

Judenfeindlichkeit unter muslimischen Migranten

Bei manchen Migranten spiegele sich, was im Heimatland gängige Propaganda sei. Auch im Fall von Jonah und Ma’ayan waren es muslimische Mitschüler, die sie diffamierten.

Muslimischer Lehrer wirbt für Aufklärung

Aziz Fooladvand, Lehrer für Islamkunde an einer Realschule im Bonner Norden mit 80 Prozent Migrantenanteil, kennt das Problem, das sich aus Elternhaus, Youtube oder islamistischen Imamen verstärkt werde. Der muslimische Soziologe und Islamwissenschaftler sieht die Ursache in religiösem Analphabetismus und einem Mangel an demokratischer Erziehung.

In seinem Unterricht klärt er die Schüler über die Gemeinsamkeiten von Islam und Judentum auf; erläutert, dass der Koran auf dem Alten Testament, also der Thora aufbaue. Ebenso behandelt er das Osmanische Reich im Hinblick auf die Entstehung Israels. „Darauf lassen sich die allermeisten Schüler ein“, sagt er.

Ein Drittel der Deutschen zeigt antisemitische Tendenzen

Laut einer im April 2017 vom Expertenkreis Antisemitismus des Bundestages beauftragten Erhebung zeigten ein Drittel der Menschen in Deutschland antisemitische Tendenzen. Zehn Prozent stimmten der Aussage zu „Auch heute ist der Einfluss der Juden zu groß“.

In einer vom Bundestag beauftragten Befragung von mehr als 500 in Deutschland lebenden Juden, gab jeder Dritte an, er fürchte sich vor körperlichen Übergriffen. Sieben von zehn gaben an, aus Angst keine sichtbaren jüdischen Symbole wie Kippa oder Davidstern zu tragen. Jeder Dritte war bereits Zeuge von antisemitischen Beleidigungen geworden. Auch objektiv ist die Zahl der antisemitischen Straftaten gestiegen: 681 wurden im ersten Halbjahr 2017 angezeigt. Vier Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2016.

Die Zahlen des Verfassungsschutzes bilden nur ab, was tatsächlich angezeigt wird. Umfragen unter Juden kamen zu dem Ergebnis, dass weniger als ein Drittel derjenigen, die Opfer von Straftaten wurden, diese auch der Polizei melden. Sie vermuteten, dass eine Anzeige ohnehin folgenlos bleibe. Andere sagten, sie erlebten so häufig Beleidigungen, dass sie nicht jedes Mal zur Polizei gehen wollten.

In der Bundesrepublik leben heute etwa 100.000 Juden als deutsche Staatsbürger. Hinzu kommen 13.000 Israelis, die dauerhaft in Deutschland leben. Laut Zentralrat der Juden gibt es in Deutschland mindestens 100 jüdische Gemeinden. In Köln gibt es einen jüdischen Kindergarten und eine jüdische Grundschule. In Düsseldorf gibt es seit 2016 ein jüdisches Gymnasium. Die Kölner Synagogen-Gemeinde kämpft seit Jahren dafür, dass ein solches Gymnasium auch in Köln entsteht. (ksta) 

Vor allem wirbt er für eine Differenzierung zwischen Politik und Religion, weil Juden immer wieder in Haftung genommen würden für die Politik des Staates Israel. „Am Anfang sagen die Schüler: »Die Juden bombardieren die Palästinenser«. Nach der Unterrichtsreihe sagen sie »Israel bombardiert den Gazastreifen«.“

In solchen Geschichten wie denen von Jonah sieht Fooladvand eine vertane Chance: „Schule muss Antisemitismus viel stärker zum Thema machen, statt ihm das Feld zu überlassen – gerade, wenn er in der Klasse aufkommt. Sie muss Widerstand leisten und angesichts von Unwissenheit und Vorurteilen vor allem aufklären.“ Gerade die klare Reaktion des Umfelds sei sehr wichtig, sagte Levy auf die Frage, was man denn tun könne: „Selber mutig sein und die eigenen Kinder stärken, dasselbe zu tun.“

Antisemitische Beschimpfungen seien schlimm. Doch wenn weggeschaut werde, entstehe das Gefühl, nicht beschützt und im Unrecht zu sein. Und das sei fast noch schlimmer.

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