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Arbeitsplatz Kölner Dom„Direkt am ersten Tag gab es eine Klopperei”

Lesezeit 11 Minuten
Cay Schloemer, Kevin Frerich und Hans Block (v.l.) sind im Dom unterwegs, um alles im Blick zu haben - auch den Dreikönigenschrein.

Cay Schloemer, Kevin Frerich und Hans Block (v.l.) sind im Dom unterwegs, um alles im Blick zu haben - auch den Dreikönigenschrein.

  • Domschweizer sind fromm und in sich gekehrt? Von wegen. Sie müssen Taschendiebe erkennen und Schlägereien verhindern können.
  • Zum Berufsbild gehört auch, die Besucher darüber aufzuklären, wie man sich in einem Gotteshaus verhält. Denn das wissen viele offenkundig überhaupt nicht.
  • Drei Schweizer im Kölner Dom, einer von ihnen gelernter KFZ-Mechaniker, erzählen von ihrem sehr ungewöhnlichen Alltag im Weltkulturerbe – und der Veränderung ihres Jobs durch die Terrorgefahr.

Köln – Wie kommt man eigentlich auf die Idee, Domschweizer zu werden? Ich hatte die Erwartung, dass mir drei gediegene ältere Herren gegenübersitzen. Aber weit gefehlt.

Hans Block: Ich war mal selbstständiger Weinhändler. Aber als die Ausgaben die Einnahmen überstiegen, war das irgendwann keine Option mehr. Weil ein Bekannter Domschweizer war, bin ich auf die Idee gekommen, dass das auch etwas für mich sein könnte. Angestellter der „Hohen Domkirche zu Köln“ – das ist seriös und sicher. Früher, das heißt vor so sieben, acht Jahren, war das noch eher ein Rentnerjob. Aber angesichts der veränderten Lage, sind es jetzt inzwischen auch viele Junge. So wie ihr beide. . .

Best-Of-Artikel

Dieser Artikel ist im Dezember 2018 im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen. Im Rahmen unserer „Best Of”-Reihe veröffentlichen wir regelmäßig interessante Texte aus unserem Archiv.

Kevin Frerich: Bei mir war es eine irreparable Knieverletzung, die mich vor zwei Jahren zwang, die Ausbildung zum KFZ-Mechaniker aufzugeben. Da mein Bruder auch Domschweizer ist, meine Mutter im Domturm arbeitet und meine Schwägerin im Domladen, lag das irgendwie nahe. Ich bin am 11.11. in Köln geboren. Mehr Köln geht einfach nicht. Für mich ist es eine große Ehre, für den Dom zu arbeiten, da ich eine wirklich emotionale Beziehung zu der Kathedrale habe.

Cay Schloemer: Ich war lange in der Versicherungsbranche im Außendienst tätig. Aber das war nichts, was ich mir bis zum Rentenalter vorstellen konnte. Danach war ich kurz für einen Sicherheitsdienst tätig. Aber das ist wirklich eine spezielle Branche. Da ich auch Messdiener war, kam ich dann irgendwann auf die Idee mit den Domschweizern – zumal ich inzwischen erfahren hatte, dass das kein Ehrenamt mehr ist, sondern mit einer Festanstellung verbunden ist.

Hatten Sie nicht am Anfang Sorge, dass der Job zu fromm und kontemplativ sein könnte?

Block: Ich hatte schon so meine Befürchtungen, weil ich mich mit Überfrömmigkeit schwer tue. Ich hatte aus meiner Jugend das Bild eines alten Domschweizers vor Augen, der den Kindern auf die Finger klopft, wenn sie sich nicht benehmen. Aber dann war alles ganz anders: Es war ein 30-jähriger Domschweizer, der mich anlernte, und direkt am ersten Tag gab es eine Klopperei, aus der sich ein Polizeieinsatz entwickelte und der Domschweizer war unmittelbar beteiligt. Es klingt komisch: Aber das hat mich nicht abgeschreckt, sondern eher beruhigt. Das war wie eine Befreiung. Da war mir klar, das machst du.

Weil Sie das Gefühl hatten, das ist etwas Lebendiges, man kommt mit Menschen in Kontakt?

Block: Genau. Es muss natürlich keine Klopperei sein. Aber es geht um Leben, es geht um Kontakt mit verschiedenen Menschen – und es geht auch um Religion. Ich mag, dass das eine Arbeit an der Schnittstelle zwischen Religion und Welt ist.

War das auch für Sie der Reiz dieser Arbeit?

Schloemer: Ich habe auch im Außendienst viel mit Menschen zu tun gehabt und bin gerne gereist. Aber im Dom hat sich das potenziert: Man lernt so viele verschiedene Kulturen und Menschen kennen. Und wenn ich auf einer Party sage, dass ich Domschweizer bin, dann werde ich mit Fragen bombardiert, weil alle neugierig sind. Da muss ich erst mal eine Stunde Fragen beantworten.

Sie sprachen eingangs von der „veränderten Lage“, die das Berufsbild des Domschweizers verjüngt und professionalisiert hat. Worauf Sie anspielen, ist die gestiegene Terrorgefahr. Seit 2017 stehen vor dem Dom am Eingang ein Domschweizer und ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes. Wie hat das die Arbeit verändert?

Frerich: Durch die Terrorgefahr hat sich vieles verändert. Wir versuchen schon am Eingang zu sortieren. Das ist zwar vielleicht erst mal befremdlich und gewöhnungsbedürftig, puffert aber sehr viel ab. Einen nicht reinzulassen ist viel angenehmer, als ihn von drinnen rausschicken zu müssen. Rollkoffer sind verboten, ebenso wie Luftballons, die beim Platzen Panik schüren könnten. Menschen, die psychisch auffällig sind oder auch stark alkoholisiert, werden nicht reingelassen. Auch Taschendiebe erkennen wir meistens schon am Verhalten, wie sie sich bewegen und lassen sie nicht rein.

Schloemer: Das ist auch ein Plus an dem Job: Man entwickelt mit der Zeit eine sehr große Intuition. Wir scannen die Menschen mit den Augen. Sie glauben gar nicht, was wir alles erkennen können.

Gewöhnt man sich auch an den Gedanken, bei seiner täglichen Arbeit im Dom potenziell in Gefahr zu sein? Oder ist Ihnen die Terrorangst ständig präsent?

Schloemer: Das mit der Angst vor Terror findet eher latent im Unterbewusstsein statt. Im Bewusstsein blendet man das während der Arbeit in der Kathedrale aus. Wenn man das täglich präsent hätte, könnte man hier nicht mehr arbeiten.

Immer mehr Menschen besuchen den Dom. Er ist das meist besuchte Monument Deutschlands. An einem durchschnittlichen Tag kommen rund 30.000 Menschen. Im Advent sogar 34.000 Menschen. Wie verändern die immer größeren Menschenmassen die Arbeit?

Block: Der Spagat wird immer schwieriger: Zwischen denen, die hier Ruhe finden wollen und beten und denen, die hier eher Bahnhofshallenatmosphäre verbreiten. Die einen wollen eine Kerze für ihren gerade verstorbenen Vater aufstellen und die anderen fallen aus dem Brauhaus und betreten den Dom nur, weil es draußen gerade regnet. Oder sie fotografieren, während gerade jemand weinend und betend neben ihnen in der Bank sitzt. Der Dom ist für alle offen und wir müssen all diese Welten sensibel austarieren. Hinzu kommt die stark wachsende Zahl an Touristen – vor allem aus den USA und China. Inzwischen findet 60 Prozent unserer Kommunikation auf Englisch statt. Das heißt auch, immer mehr Besucher wissen überhaupt nicht, wie man sich in einem christlichen Dom verhalten muss. Die reden laut, fotografieren, telefonieren lautstark mit dem Smartphone. Wenn wir sie dann ansprechen, sind sie völlig verwundert, warum sie nicht telefonieren dürfen. Viele halten den Dom für ein Museum oder fragen uns, ob denn hier auch noch Messen stattfinden.

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Schloemer: Allgemein kann man sagen, dass Respektlosigkeit und Aggressivität zugenommen haben. Männer werden zum Beispiel von uns aufgefordert, ihre Kopfbedeckungen abzunehmen. Zwei von zehn kommen damit rein und wollen oft auch glaube ich provozieren – vor allem mit Baseballkappe. Die haben dann ein Problem damit, die Mütze abzunehmen. Die meisten akzeptieren unsere Ansprache. Aber ein Teil eben nicht. Wenn die auf wiederholte Aufforderung nicht reagieren, müssen wir ihnen Hausverbot erteilen und freundlich und entschlossen dafür sorgen, dass sie den Dom verlassen.

Frerich: Manchmal kommen Menschen rein, denen sieht man sofort an, dass sie nur Stress machen wollen. Natürlich sind wir erstmal sehr freundlich und weisen auf die Regeln hin. Manche lassen sich davon aber nicht beeindrucken.

Schloemer: Da muss man als Domschweizer auch körperlich entschieden mit breiter Brust auftreten. Die Körpersprache ist zentral.

Block: Sie müssen sich hier als Domschweizer wirklich ein dickes Fell zulegen. Wenn Sie sich hier rumschubsen lassen, nehmen Sie Schaden an Ihrer Seele.

Werden Sie denn auch angegangen?

Schloemer und Block: Da gibt es alles: von Anpöbeln, Anspucken, bis mit Cola überschütten oder Beschimpfungen als Kinderschänder.

Frerich: Tätliche Angriffe gibt es leider auch. Ich bin jetzt seit zwei Jahren hier und war dreimal ambulant im Krankenhaus.

Das hört sich offen gestanden nicht nach einer besonders reizvollen Tätigkeit an. Sie haben doch eben erzählt, dass Ihnen der Job so viel Spaß macht.

Schloemer: Diese Negativbeispiele sollen auch auf keinen Fall das Bild dieses tollen Jobs verzerren. Es ist wirklich gemessen an der großen Menge der Besucher nur ein sehr kleiner Teil. Wir haben ja auch sehr viele nette Gespräche mit Besuchern und eindrucksvolle Begegnungen. Wir sind sogar – was viele nicht wissen – halbe Seelsorger. Oft wird man aus dem Gespräch heraus plötzlich für einige Minuten zum Vertrauten eines Menschen. Da werden einem Krankheitsgeschichten anvertraut oder Lebenskrisen. Manche bitten einen, ihn ins Gebet einzuschließen. Hier muss ich dazu sagen, dass uns viele – vor allem Touristen – wegen unseres Talars für Priester halten. Da ist man für die Leute plötzlich ein geistlicher Ansprechpartner.

Frerich: Manche dieser Begegnungen sind unheimlich bewegend. Da fällt mir sofort der kleine Junge im Rollstuhl ein, der mit seiner Mutter und seinem Bruder im Dom war. Sie kamen auf mich zu. Der kleine Junge war sehr offen und hat erzählt, dass er sehr krank ist und dass das vielleicht seine letzte Reise sein wird. Er wollte unbedingt noch den Dreikönigenschrein sehen. Der war ja abgesperrt. Aber ich habe ihm aufgemacht, so dass er nah ran konnte. Das wollte ich ihm auf keinen Fall verweigern. Mit dieser Reise in den Dom verband er die letzte Hoffnung auf Heilung. Er hat geweint und versucht, sich zu bekreuzigen. Das ging motorisch nicht mehr. Da habe ich ihm geholfen. Diese Begegnung – sie dauerte eine halbe Stunde - werde ich nie vergessen. So etwas passiert nur hier.

Cay: Ich habe das aus der Ferne beobachtet und auch mir kamen da die Tränen.

Block: Oder die Geschichte mit der Frau, die wir Leila nennen. Sie war Stammbesucherin und ist uns immer beim Kerzendienst zur Hand gegangen – also beim Entfernen der Wachsreste. Nach und nach fanden wir heraus, dass sie eine Geflüchtete aus dem Iran ist und schalteten einen befreundeten Büdchenbesitzer als Übersetzer ein. Durch Vermittlung hat sie inzwischen eine Wohnung gefunden. Und kommt immer noch. Zu vielen Stammbesuchern haben wir ein fast freundschaftliches Verhältnis und kommen regelmäßig ins Gespräch. Es gibt Kölner, die fast jeden Tag kommen und uns sogar schon mal Schokolade mitbringen. Auch für viele Obdachlose oder psychisch Kranke sind wir eine Art Ankerpunkt.

Frerich: Dass Menschen traurig sind, weinen und beten – das sehen wir jeden Tag. Da muss man dann immer nach Intuition entscheiden, auf wen man zugeht.

Block: Aber man darf nicht vergessen, dass wir auch Domführer sind. Es gibt Kollegen, die wissen alles über den Dom und alles über Liturgie. Die wissen vielleicht mehr als mancher offizielle Touristenführer.

Schloemer: Das Tolle ist einfach die riesige Menschenkenntnis, die man hier im Laufe der Zeit gewinnt. Ich hab ja vor, irgendwann mal ein Buch zu schreiben. Anfangs dachte ich, oh mein Gott, ob du überhaupt ein Buch voll bekommst. Aber jetzt könnte ich einen ganzen Brockhaus-Band schreiben, was man alles so erlebt.

Wie würde denn das erste Kapitel heißen?

Schloemer: Lieblingsfragen.

Was ist denn eine typische Frage?

Alle drei synchron wie aus der Pistole geschossen: Wo ist der Turm?

Frerich: Wir waren letztlich an einem Samstag zu vier Schweizern im Dom. Da hatte ich in der Turmhalle eine Schlange vor mir wie am Kiosk zu Karneval. Ich habe an dem Tag 1500 Mal dasselbe gesagt: vorne raus und zwei Mal links, Treppe runter. Wahlweise auch als Pantomime.

Block: Oder gerne auch auf Kölsch: Eruss, eröm, erunger, eropp. Das verstehen manchmal sogar die Asiaten, die kein Englisch können.

Schloemer: Ich nenne das Buch: „Vorne raus, zweimal links die Treppe runter“.

Frerich: Meine Lieblingsfrage bis heute ist „Wo sind denn die heiligen vier goldenen Köpfe?“.

Block: Ich mag auch folgenden Dialog: „Wo ist denn hier das Chagall-Fenster?“ – „Das gibt es hier nicht.“ – „Natürlich gibt es das hier. Dass Sie das nicht wissen.“ Da sage ich dann: „Viel Spaß bei der Suche.“

Behält der Dom auch seine Faszination und Aura, wenn man jeden Tag hierherkommt?

Schloemer: Auf jeden Fall. Die Kathedrale zieht mich in ihren Bann. Auch wenn ich jeden Tag hier bin. Wenn ich zum Beispiel hier morgens zur Frühschicht komme und den Dom sehe, fällt mir manchmal immer noch die Kinnlade runter. Ich mag ganz besonders die erste Viertelstunde im Frühdienst, wenn man um 5.30 Uhr mit diesem riesigen Schlüssel den Dom aufschließt und ihn für zehn Minuten ganz allein hat, ehe wir um 5.40 Uhr für die Besucher öffnen. 

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Der jüngste Domschweizer ist 20 Jahre alt

Die Domschweizer sind so etwas wie die „Hausmeister beim lieben Gott“. Sie passen auf, dass im Dom alles mit rechten Dingen zugeht, sind Türhüter und Aufseher zugleich. Ihre Aufgabe ist es, bei der Liturgie und im Kirchengebäude für Ordnung und Ruhe zu sorgen. Außerdem achten sie im meist frequentierten Monument Deutschlands darauf, dass die Besucher des Gotteshauses angemessen gekleidet sind, also nicht mit Kopfbedeckung, in kurzen Shorts, bauch- oder schulterfrei oder im Sommer gar mit Bikini in die Kirche marschieren. In der Advents- und Weihnachtszeit erlebt der Dom vor allem im Zuge der vielen Weihnachtsmarktbesucher seine Hochsaison. Dann kommen täglich bis zu 34.000 Menschen.

Im Kölner Dom gibt es derzeit 28 Domschweizer im Alter von 20 bis 69 Jahren. Das aktuelle Durchschnittsalter ist derzeit 48 Jahre. Bewerbungsvoraussetzung ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion. Man muss nicht katholisch sein, sollte der katholischen Kirche aber offen gegenüber eingestellt sein. Zum Tätigkeitsprofil gehören außerdem eine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung, eine gute Portion Geduld, ein dickes Fell und Menschenkenntnis. Diese Eigenschaften seien entscheidende Kriterien für das Tätigkeitsprofil „Domschweizer“, heißt es auf der Homepage des Erzbistums Köln.

Gibt keine weiblichen Domschweizer in Köln

War es früher ein Ehrenamt, das vor allem von Rentnern ausgefüllt wurde, sind die Domschweizer heute hauptamtlich bei der Hohen Domkirche angestellt. Weibliche Domschweizer in Köln gibt es noch nicht, obwohl die Ausschreibungen der Hohen Domkirche immer geschlechtsneutral formuliert sind.

Der Begriff Kirchenschweizer hat tatsächlich mit dem Land Schweiz zu tun, denn im 17. und 18. Jahrhundert waren es oft ehemalige Soldaten aus der Schweiz, die ins Ausland gingen und sich beim Militär als Soldaten oder eben als Wachpersonal ein Zubrot verdienten. Ein sogenannter Türhüter oder Hausmeister eines reichen Privathauses wurde zu dieser Zeit auf Französisch „Suisse“ (Schweizer) genannt.

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