Architekturprofessor zum Eigenheim-Streit„Spießer gibt es auch im Altbau in Sülz“

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Viele Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese: Neubausiedlung in Widdersdorf.

  • Thorsten Burgmer (44) ist Professor für Entwerfen und energetische Konzepte an der TH Köln und Gesellschafter des Architekturbüros Grosche Burgmer Architekten in Köln.
  • Burgmer hat Architektur und Städtebau in Darmstadt studiert und danach bei Norman Foster in London und bei JSWD Architekten in Köln gearbeitet.

Köln – Warum ist das Einfamilienhaus im Moment so unter Beschuss? Weil es bezogen auf den Verbrauch von Ressourcen die schlechteste Lösung ist. Das ist eine schlichte Feststellung, gar keine Meinung von mir. Das kann man ja messen. Das ist auch keine aktuelle Erkenntnis, sondern wird seit vielen Jahren kritisiert. Wenn wir auf die Ressourcen schauen, also auf das Einsparen von Energie in allen Lebensphasen, aber auch auf die Schonung anderer Ressourcen wie etwa Fläche, dann ist das Einfamilienhaus der Typus, der am meisten Ressourcen verbraucht.

Aber es spielen ja auch andere Aspekte eine Rolle.

Genau. Es müssen eben auch soziale Fragen bedacht werden, es geht um Siedlungs- und um Raumplanung. Aufgabe der Politik ist es dann, all diese Entscheidungskriterien in eine angemessene Reihenfolge zu bringen. Es kann dabei übrigens keine Lösung geben, die allen Aspekten gerecht wird – es wird immer Zielkonflikte geben. Es kann also gar nicht die Aufgabe sein, eine perfekte Lösung zu finden. Dazu muss man eben die genannten Kriterien in eine angemessene und zeitgemäße Reihenfolge bringen.

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Die Leidenschaft für das Einfamilienhaus ist aber gerade in Deutschland sehr groß. Woher kommt das?

Ursprünglich reden wir ja von Häusern, die im Zuge der Industrialisierung von Fabrikbesitzern gebaut wurden, um ihre Arbeiter in den Städten anders unterzubringen als beispielsweise in den gängigen Mietskasernen. Manchmal aus durchaus edlen Motiven, manchmal aber auch unter dem Motto: Man muss den Arbeitern etwas Gutes tun, damit sie uns weiterhin helfen, schöne Gewinne zu erwirtschaften. So entstanden die ersten Arbeitersiedlungen mit kleinen Häuschen und einem Garten als Teil des Versorgungskonzeptes.

Aber das ist doch mehr als 150 Jahre her.

Das stimmt, aber gerade nach dem Zweiten Weltkrieg war das Einfamilienhaus politisch gewollt. Und es ist durch alle möglichen staatlichen Eingriffe massiv gefördert worden. So ist die Infrastruktur so ausgebaut worden, dass die neuen Einfamilienhausgebiete gezielt angebunden worden sind. Dazu kamen Pendlerpauschale, Eigenheimzulage und so weiter. Das läuft bis heute, auch das Baukindergeld ist ja ein Wahnsinns-Konjunkturprogramm. Irgendwann war das in Deutschland eben totale Normalität.

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Eine Zeitlang galt das Einfamilienhaus aber auch als Ausdruck der totalen Spießigkeit.

Äußert sich Spießigkeit denn wirklich nur dadurch, wie ich wohne und wie das aussieht von außen? Oder ist das nicht viel mehr eine Haltung? Leider laufen Ausdruck und Haltung oft parallel. Aber das alles ist ja nicht ans Eigenheim gebunden: Miese und spießige Nachbarn kann man auch im Altbau in Sülz haben.

Nun gibt es ja große Unterschiede zwischen einem schlecht gedämmten Bungalow aus den 1950er Jahren und einem modernen Niedrigenergiehaus.

Ja, die gibt es. Aber man muss genau hingucken, welches von den beiden wirklich weniger weh tut. Und natürlich muss man hier differenzieren, ganz dringend. Es ist schon mal ein riesiger Unterschied, ob etwa die Gemeinde Wiehl für ein Neubaugebiet auf irgendeinem Acker hektarweise Flächen versiegelt und die Menschen, die dort wohnen, jeden Tag mit dem Auto nach Köln zur Arbeit fahren – oder ob man – sagen wir – in Dellbrück auf einem riesigen Grundstück durch eine präzise Nachverdichtung mit einem Typus, den es dort vielleicht schon gibt, neuen Wohnraum schafft. Ich glaube auch nicht, dass jemand das Einfamilienhaus grundsätzlich verbieten will. Aber dafür, dass es keine neuen Einfamilienhausgebiete mehr geben soll, dafür gibt es gute Gründe.

Welche sind das?

Wir betrachten heute fast immer nur die Betriebsenergie eines Hauses. Was brauche ich zum Heizen, was brauche ich für warmes Wasser? Wenn man nur den Betrieb sieht, ist es natürlich extrem sinnvoll, ein Gebäude zu dämmen. Aber wenn sich dann fragt, welche Energie gebraucht wird, um das ganze Dämmmaterial herzustellen, um es instand zu halten und irgendwann auch wieder zu entsorgen, sieht das Ganze schon anders aus. Aber das wird überhaupt nicht bilanziert. Wenn wir uns immer den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes ansehen würden, würde manche Entscheidung ganz anders ausfallen.

Wie denn?

Eine solche Betrachtung würde möglicherweise dazu führen, dass gewisse Gebäude gar nicht abgerissen werden sollten. Oder dass gewisse Dämm-Maßnahmen gar nicht getätigt werden sollten. Das aber könnte dann dazu führen, dass ein Heizungshersteller keine neue Heizung einbaut. Oder dass ein Dämmstoff-Hersteller keinen neuen Dämmstoff verkauft. Oder dass ein Fensterbauer keine neuen Fenster einbaut. Das alles wird von unserem System nicht honoriert.

Im Gegenteil, es wird ja sogar noch gefördert

Genau. Und da darf man durchaus mal die Frage stellen, wer denn die Energiewende eigentlich bezahlt. Wer profitiert denn etwa von diesen Fördermaßnahmen? Das sind ja in erste Linie die Eigentümer. Und die können wiederum einen Teil der Sanierungskosten auch noch auf die Mieter umlegen – und haben dann am Ende eine bessere Immobilie, staatlich gefördert und von den eigenen Mietern subventioniert.

Ganz konkret: Wenn in Köln neue Gebiete bebaut werden – sollte es dort noch Einfamilienhäuser geben?

Man müsste in jedem Fall Forderungen an den Lebenszyklus stellen. Wenn man schon Einfamilienhäuser baut, sollte man nicht nur darauf achten, dass sie im Betrieb hervorragend sind. Sondern die Planer müssten sich jetzt schon Gedanken machen, was passiert, wenn die Häuser irgendwann einmal nicht mehr gebraucht werden. Dann würden gewisse Materialien eben von vornerein ausscheiden. Etwa Dämmstoffverbundsysteme, die sie in Zukunft möglicherweise nur noch als Sondermüll entsorgen können. So könnte man das Unvermeidliche zumindest besser machen.

Wenn Sie jetzt den Auftrag bekommen, ein schönes Einfamilienhaus auf einem leeren Grundstück in Lövenich zu bauen – würden Sie das annehmen?

Wir haben bisher immer nur dort gebaut, wo es schon eine bestehende Infrastruktur gibt, wo Grundstücke oder Siedlungen schon erschlossen sind und wir sie vielleicht besser ausnutzen können. Und dann geht es eben auch darum, was wir bauen sollen. Wenn wir nachhaltige Baustoffe nutzen können, wenn auch für den Bauherrn oder die Bauherrin die Ökobilanz des Projektes eine Rolle spielt, wenn wir also auch den Lebenszyklus des Hauses betrachten – dann würden wir das schon planen.

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Wie sähe das konkret aus?

Eines ist doch klar: Wenn man wirklich ressourcenschonend bauen will, dann darf man gar nicht bauen. Denn alle Materialien, die wir verwenden, müssen ja irgendwo herkommen. Sie verursachen also irgendwo auf diesem Planeten eine Reaktion. Der ressourcenschonendste Kubikmeter, den wir bauen können, ist doch der, den wir nicht bauen. Unsere Aufgabe ist es daher, qualitativ hochwertige Grundrisse zu entwickeln, die auf 80 Quadratmetern das gleiche räumliche Gefühl, die gleiche funktionale Qualität aufweisen wie ein Grundriss mit 120 Quadratmetern. Damit haben wir dann Ressourcen in der Investition, im Betrieb und am Ende des Lebenszyklus gespart.

Geht das denn alles auch zusammen mit den immer aufwendigeren Bauvorschriften in Deutschland?

Ich bin der Auffassung, dass unsere Bauvorschriften teilweise völlig überzogen sind. Manche sind sogar schlicht falsch. Ich bin also stellenweise für deutlich weniger Regeln, auf jeden Fall aber nicht für MEHR Regeln sondern für ANDERE Regeln. Und vor allem wäre ich dafür, viel mehr positiv motivierte Anreize, das Richtige zu tun, zu setzen, statt dieses oder jenes zu verbieten.

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