AsexualitätEin glückliches Leben ohne Sex – eine Kölnerin erzählt

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asexuelle

Köln – An Sex war sie nie interessiert. Gemacht hat Nicole (Name geändert) es trotzdem. „Weil ich mit 17 Jahren dachte, dass es einfach dazugehört.“ Ihr damaliger Freund hatte häufig davon gesprochen, beide waren damals noch Jungfrau.

Irgendwann gab die heute 26-Jährige dem Erwartungsdruck nach. Sie will ihrem Ex-Freund im Nachhinein keinen Vorwurf machen, aber da war dennoch das Gefühl, benutzt worden zu sein. Fremde Erwartungen erfüllt zu haben, ohne den eigenen Erwartungen entsprochen zu haben. Denn gefallen hat es ihr nicht im geringsten. Und „ich muss es nicht nochmal machen“, ist sie sich heute sicher.

Knapp neun Jahre später weiß Nicole, welchen Stellenwert Sex in ihrem Leben einnehmen soll, nämlich keinen. Sie ist asexuell. Und ihr Weg, sich als Asexuelle zu definieren, lang. „Irgendwann war mir klar, dass ich nicht auf Jungs stehe. Erst dachte ich, ich sei vielleicht lesbisch“, erzählt die junge Kölnerin. Sie erinnert sich: Eine kurze Zeit lang hatte sie eine Beziehung mit einer Frau. Aber bevor es zu nah werden konnte, hat sie sich getrennt.

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Erleichterung bringt das Netz

Irgendwo im Internet findet Nicole vor gut einem halben Jahr zufällig einen Text über Asexualität. Dann beginnt eine umfangreiche Recherche: Sie stöbert in Foren, liest Artikel und – ist erleichtert. „Mir ist schon ein großer Stein vom Herzen gefallen, als ich gemerkt habe, dass es noch andere Menschen gibt, denen es genauso geht. Da hätte ich auch gerne früher drauf stoßen können.“

Mit dieser späten Entdeckung ihrer asexuellen Orientierung ist Nicole ebenfalls nicht allein. So oder so ähnlich ergeht es vielen Asexuellen. Das liegt unter anderem daran, dass das Thema im Alltag kaum stattfindet. Warum aber ist Asexualität in der Gesellschaft so selten Gesprächsthema? Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung an der Universität Merseburg, erklärt dies so: „In der Gesellschaft ist das Thema noch wenig bekannt. Das liegt unter anderem daran, dass alle Selbstorganisationen von Asexuellen noch relativ neu sind. Transgender und Intersexuelle hingegen sind schon deutlich länger aktiv. Asexualität wird dagegen erst seit etwa 15 Jahren stärker thematisiert.“

Familie weiß nicht Bescheid

Für Nicole ist die Erfahrung noch frisch, sie hat bisher nur mit wenigen Menschen darüber gesprochen. „Eine Freundin weiß es, die ist selber bi und kennt sich aus mit sexuellen Orientierungen.“ Ihre Familie weiß offiziell noch nichts von ihrer Asexualität. Zwar kommuniziert sie schon lange, dass sie auf eine Beziehung momentan keine Lust hat. Gleichzeitig macht sich in ihr der Eindruck breit, dass der Großteil ihrer Verwandtschaft sich das nicht vorstellen kann. Schwul, lesbisch, bi – das seien noch bekannte Begriffe. Aber „mit mehr kommen die nicht klar“, ist sie sich sicher. „Wenn mich jemand darauf ansprechen würde, würde ich es natürlich erzählen.“ Aber ohne Anlass will sie das Thema lieber ruhen lassen.

Kontakt zu anderen Asexuellen hat sie bisher ausschließlich übers Netz, getroffen hat sie sich mit keinem aus der Community. Zumindest bislang noch nicht. „Ich stelle mir das gut vor, weil man da entspannter sein kann, Erfahrungen austauschen würde und generell ein tieferes Verständnis füreinander hätte.“

Eine Beziehung wäre schön

In der Bahn hat sie neulich ein Mann angesprochen. Wenn ihr jemand Avancen macht, ist Nicole direkt. „Wenn jemand offen was von mir will, möchte ich ehrlich sein.“ Die Antwort auf die Zurückweisung? „Er sagte, ich sei zu schön dafür. Und ob ich damit geboren worden sei, wollte er noch wissen.“ Sie lacht. „Ja, vermutlich bin ich damit geboren worden.“ Eine Beziehung kann sie sich vorstellen. Eine emotionale Bindung, ein Seelenverwandter müsste es sein. Das Geschlecht wäre dann auch egal. Ein musikalischer Partner wäre schön, ein fröhlicher Mensch, jemand, der reiselustig ist, ein Abenteurer vielleicht. „Sogar zusammen wohnen würde gehen, vielleicht eher so ein WG-Leben mit getrennten Schlafzimmern, oder zumindest getrennten Betten.“ Fürs Körperliche kennt sie ihre Grenzen: „Kuscheln und küssen sind okay. Aber schon ein Zungenkuss hat mich nie angemacht. Das ist nur Körperflüssigkeiten austauschen. Das hat für mich absolut keinen Reiz.“

Mit ihrem Wunsch nach einer Beziehung ohne Sex ist Nicole keine Ausnahme. In einer Umfrage des Asexualitäts-Portals „asexuell.info“ gaben 66 Prozent der Befragten an, dass sie gerne eine Partnerschaft hätten. Aber eben eine Partnerschaft mit klar abgesteckten Grenzen.  

Kontaktmöglichkeiten für Asexuelle im Netz

Wer Kontakt zu Gleichgesinnten sucht, wird im Internet in der Regel schnell fündig. Meist tauchen bei gängigen Suchmaschinen zunächst relevante Facebook-Einträge auf. Für Asexuelle allerdings gibt es kaum öffentliche Facebook-Gruppen. Stattdessen finden sich mehrere Portale, auf denen man sich austauschen und Kontakte knüpfen kann. Etwa die Homepage des Vereins AktivistA, der sich das Sichtbarmachen von Asexualität auf die Fahne geschrieben hat. Hier gibt es zahlreiche Informationen zum Thema, einen Blog sowie ein Forum für Mitglieder.

Ähnlich ist die Internetplattform AVEN (Asexual Visibility and Education Network) aufgebaut. Aven.info ist das deutsche Pendant zu der englischen Internetgemeinschaft asexuality.org, die seit 2001 mit internationalen Vernetzungs-Projekten auf sich aufmerksam machen. Alle genannten Seiten liefern mehr Hintergründe zu Asexualität sowie Kontaktmöglichkeiten.

Vanessa ist erleichtert

Es „hat mir schon geholfen, zu verstehen, dass ich keine Krankheit habe“, sagt Vanessa heute. Ihr war schon früh klar, dass Sex für sie keine Rolle spielt. Die 17-Jährige hat relativ viel Kontakt zu anderen Asexuellen. Sie nutzt Foren im Netz, engagiert sich beim Christopher Street Day (CSD), will nächstes Mal mit einer Gruppe dabei sein. Deshalb ist sie Mitglied in entsprechenden Whatsapp-Gruppen und beim CSD-Blog.

Mit ihrer Orientierung geht sie offen um. Und hat oft die Erfahrung gemacht, dass anderen Menschen Asexualität gar kein Begriff ist: „Viele haben das völlig missverstanden, dachten, man hat einfach Angst. Ich werde auch oft gefragt, was ist denn das? Selbst in der AG Queer, die sich mit queeren Themen befassen, haben mich das schon Leute gefragt.“ (Die AG Queer ist eine Organisation in der Partei Die Linke, Anm. d. Red.)

Darüber hinaus stellt das Portal asexuell.info Informationen für Asexuelle zur Verfügung – zu Asexualität im Allgemeinen sowie zum Leben mit mehr Toleranz, Aufrichtigkeit und Wertschätzung. Die Seite wird von der Dating-Plattform Gleichklang.de betrieben. Dort oder auf der Singlebörse von Aven können die Nutzer gefiltert nach ihrer sexuellen Orientierung auf Partnersuche gehen.  

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