Marcel Schwalb ist asexuell„Ich hatte nie dieses sexuelle Erwachen“

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marcel schwalb

Marcel Schwalb

Zehn Jahre lang lebt Marcel Schwalb in einer Beziehung mit einer Frau. Zehn Jahre lang hat er mit dieser Frau Sex. Gerade in den ersten Jahren der Beziehung sogar regelmäßig. „Das war wohl der Wissenschaftler in mir. Ich fand das am Anfang interessant. Ich war neugierig und wollte wissen, wie es ist, Sex zu haben“, sagt er. Doch nach einer Zeit merkt Schwalb: Wirklich toll findet er den Sex nicht. „Ich habe das dann einfach gemacht und damit war es gut.“ Dass man in einer längeren Beziehung irgendwann das Interesse am Partner verliere sei ja auch nicht unnormal, denkt sich der junge Mann damals. Das passiere ja vielen.

Heute ist Marcel Schwalb 38 Jahre alt. Der Diplom-Mathematiker arbeitet als IT-Berater für große Unternehmen. In seinem Job beschäftigt er sich vor allem mit Computern, Zahlen und Daten. In seiner Freizeit dreht sich alles ums Spielen. „Ich bin ein Nerd“, sagt Schwalb, auf dessen T-Shirt ein Zauberwürfel gedruckt ist. Neben der IT-Beratung programmiert er als Freiberufler Indie-Videogames. In seinem Wohnzimmer stehen alte Konsolen und Schreibmaschinen, Rechner und Spielzeugfiguren. In der Mitte des Raumes: Ein riesiges Bällebad.

„Asexuell, das ist das, was ich schon immer war und bin“

Die Beziehung zu der Frau endet 2010 undramatisch. Seine Ex-Freundin und er trennen sich im Guten. Der Grund: Sie haben sich auseinandergelebt. Erst drei Jahre später stolpert er über den Begriff, der sein Selbstverständnis vollkommen verändert. Während des Christopher Street Days in Karlsruhe liest er in einem Flyer über Asexualität. „Ich habe mich sofort wiedererkannt“, erzählt Schwalb, der bis dahin dachte, er sei heterosexuell. Er liest von Menschen, die sich nicht von anderen Menschen angezogen fühlen – egal ob Mann oder Frau. Von Menschen, die kein Interesse an Sex haben. „Da habe ich gemerkt: Asexuell, das ist das, was ich schon immer war und bin“, sagt Schwalb.

Schon zu Schulzeiten sei er das „Computerkind“ oder der „Nerd“ gewesen. Früh fielen ihm schon Unterschiede zu den Mitschülern auf. „Ich hatte nie dieses sexuelle Erwachen, das die meisten in ihrer Pubertät haben.“ Gespräche über Sex oder Mädchen haben ihn nie besonders angesprochen. Lieber habe er sich mit dem Computer beschäftigt. Während der Schulzeit wird das einfach unter „Spätentwickler“ abgestempelt. Asexualität war vor über 20 Jahren noch kein Thema.

Gleichgesinnte im Internet

Nach dem Christopher Street Day in Karlsruhe verbringt Schwalb viel Zeit im Internet, informiert sich, liest zur Asexualität. Er findet online Menschen, denen es geht wie ihm, kann sich mit ihnen austauschen und von ihnen lernen. „Die Anonymität im Internet war ein Vorteil“, sagt er. So konnte er seine Erfahrungen teilen, ohne sein Gesicht zeigen zu müssen.

Vor zwei Jahren ist der IT-Berater nach Kall in die Nordeifel gezogen. Hier kennt er zwar niemanden, aber ist schnell in der Natur und gleichzeitig an Köln angebunden. Zwei Tage in der Woche fährt er zu seinen Kunden. Die restliche Zeit arbeitet er von Zuhause. Alleine. Er habe schon immer gerne Zeit mit sich selbst verbracht. Gerade in den vergangenen Jahren sei das auch ein wichtiger Teil seines Lebens. „Ich befinde mich immer noch auf meiner persönlichen Reise“, sagt Schwalb, der gut überlegt, bevor er redet: „Ich bin gespannt, wo sie hinführt und mache mir da aber keinen Stress.“

Sein Outing als asexuell sei unspektakulär gewesen. „Für mich war es einfacher, als für andere Menschen. Am härtesten trifft das meistens eher die Partner, die sind ja immer direkt davon betroffen“. Als Schwalb sich outet ist er schon lange nicht mehr mit seiner Ex-Freundin zusammen. In der Familie erntet er vor allem Unverständnis. Besonders schwierig sei es aber, Menschen Asexualität zu erklären, die einem fremd sind und bestimmte Assoziationen mit dem Begriff haben. „Die Reaktionen reichen von «Das ist eine Phase» über «Du bist einfach nur verklemmt» oder «Du hast halt noch nicht die Richtige gefunden» hin zu «Kannst du dich denn selber nackt im Spiegel ansehen?» Oder «Stehst du etwa auf Kinder?«“

Aha-Erlebnisse hervorrufen

Über Vorurteile über Asexualität wolle er aufklären, betont Schwalb immer wieder. Das liege ihm am Herzen. „Mir geht es darum, Asexualität sichtbar zu machen.“ Denn Asexualität ist ein unsichtbares Phänomen. Das Wegbleiben eines sexuellen Verlangens nach anderen Menschen sieht man nicht. Deswegen spricht Schwalb auch über alle Themen, selbst die wirklich privaten. Selbstbefriedigung ist eines davon. „Ja, das mache ich durchaus“, sagt Schwalb: „Aber ich schaue dabei zum Beispiel keine Pornos.“ Sein Verhältnis zur Selbstbefriedigung sei schwierig zu erklären. „Dabei geht es nur um mich, ich stelle mir auch keine anderen Menschen vor oder so.“

In dem Verein AktivistA setzt sich der 38-Jährige für die Sichtbarmachung der Asexualität ein. Regelmäßig steht er deswegen heute selbst auf Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day und verteilt Flyer – hofft so, dass er Aha-Erlebnisse wie damals bei ihm selbst hervorrufen kann. Jedes Jahr im Herbst veranstaltet AktivistA zusätzlich eine Konferenz. “ Da kommen Asexuelle und einfach auch Interessierte zusammen“, erzählt er. Da wird dann zum Beispiel über die Bedürfnisse der asexuellen Community in Deutschland gesprochen. Außerdem sollen sich Asexuelle kennenlernen und vernetzen, eine starke Community werden. Auch außerhalb des Internets.

Ein Einzelgänger sei Schwalb nicht. Er sei zwar gerne alleine und in der Natur, aber regelmäßig trifft er sich auch mit Freunden, veranstaltet Spieleabende. Soziale Kontakte seien ihm wichtig. „Freundschaften sind etwas Schönes, auf das ich nicht verzichten wollen würde“, sagt Schwalb. Romantische Beziehungen seien da schon ein anderes Thema. Auf die zehn Jahre mit seiner Ex-Freundin schaut er gerne zurück, hegt keine schlechten Gefühle gegenüber der Zeit. „Momentan bin ich ganz glücklich mit meiner Situation, also solo. Aber ich will nicht ausschließen, noch mal eine Beziehung einzugehen. Da müsste aber wohl jemand schon sehr offensiv auf mich zukommen.“ Natürlich müsse sein Partner dann auch mit der Asexualität zurecht kommen.  

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