Auf Muschelsuche am Rhein in KölnEin Hauch von Meer dank einer Einwanderin

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Muschelstrand

Muschelstrand in Niehl

Köln – An einigen Stränden in Köln, etwa an der Groov oder im Bereich Niehler Hafen, gibt es regelrechte Spülsäume mit Muschelschalen — fast wie am Meeresstrand. Thorsten Florin-Bisschopinck ist Biologe und kennt sich aus mit den Muscheln, die sich im Sand verstecken — und eigentlich gar nicht dort hin gehören.

Der Mann steht in Gummistiefeln in den sanften Wellen des Rheins am Rodenkirchener Ufer und ruft den beiden Jungs, die mit ihrem Vater auf die kleine Mole klettern, zu: „Was liegt am Strand und redet undeutlich?“ Die antworten prompt: „Die Nuschel.“ Den Witz kennen sie aus einem viel gelesenen Kinderbuch, erklärt der Vater lachend. Und dann schauen sie neugierig zu, was Thorsten Florin-Bisschopinck da im Wasser macht.

Mit einem Kescher, genauer gesagt mit einem schon etwas angerosteten Küchensieb, sucht der Biologe, der bei der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt für den Artenschutz zuständig ist, nach Muscheln, die sich noch lebend und wachsend im Sand verstecken. Im Sieb landet ausschließlich die Feingerippte Körbchenmuschel, die Corbicula fluminalis.

Es ist die bei weitem häufigste Muschelart im Rhein – wie in fast allen mitteleuropäischen Flüssen. Zu erkennen ist sie, wie der Name schon sagt, an den Rippen, an der Körbchenform, aber auch an ihrem manchmal etwas schmuddeligen Aussehen. Die Muschelhälften präsentieren sich von fast schwarz über grünlich bis eierschalenfarben. Und oft sehen sie so aus, als würde Schlamm von ihnen abblättern. „Das ist aber nicht etwa Schmutz, der da abfällt, sondern eine Art Tarnfarbe, die die Muschel selbst entwickelt. Je länger sie tot ist, desto mehr bröselt ab“, sagt Florin-Bisschopinck.

Fundstellen an Groov und Niehler Hafen

An einigen Stränden in Köln, etwa an der Groov oder im Bereich Niehler Hafen, gibt es regelrechte Spülsäume mit Schalen – fast wie am Meeresstrand. Es knirscht unter den Sohlen, wenn man darüber geht, und die Schalen brechen. Da hat man fast ein schlechtes Gewissen, obwohl die Muscheln unendlich nachwachsen.

Kaum jemand kann widerstehen, immer wieder schöne – also möglichst weiße – Exemplare aufzuheben, dabei auf den Rhein zu schauen und darauf zu warten, dass ein Schiff vorbei fährt und Wellen produziert, deren Klang an das Meer und den doch so fernen Urlaub erinnert. Nicht nur Kinder nehmen die bis zu 36 Millimeter großen Fundstücke mit nach Hause.

Meer und Muscheln, das gehört zusammen – aber wie kommen die Muscheln in den Rhein? Zumal die Feingerippte Körbchenmuschel, so deutsch sich das auch anhört, eine invasive, also eingewanderte Art aus Vorderasien ist. Hier also eigentlich gar nicht hingehört.

Noch keine Perle entdeckt

Der Biologe muss etwas ausholen. Ursprünglich waren im Rhein die Kleine Flussmuschel und die Malermuschel stark vertreten. Die sind, da muss man ehrlich sein, schillernder und schöner als die Körbchenmuschel. Sie haben sogar eine Perlmutterschicht, können also theoretisch eine Perle produzieren. „Ich öffne allerdings keine lebenden Muscheln, deshalb habe ich noch nie eine Perle entdeckt."

Doch dann kam die Corbicula – und zwar als Blinder Passagier ganz unromantisch im Ballastwasser von Schiffen aus Vorderasien über Nordamerika in den Rhein. Schiffe müssen für ihre Stabilität und zum Beladungsausgleich Ballastwasser aufnehmen, das in Tanks transportiert wird. Das Wasser fährt mit dem Schiff um die Welt und wird samt der enthaltenden Organismen in fernen Häfen wieder hinausgepumpt. Auf diesem Weg kam übrigens auch die chinesische Wollhandkrabbe nach Köln – sie ist allerdings nur sehr selten zu sehen, weil sie sich vor allem bei Dunkelheit an steinigen Ufern aufhält, die kaum zugänglich sind. Aber sammeln will wie die ja eh niemand.

Als blinder Passagier an den Rhein

2004 wurde das internationale Ballastwasser-Übereinkommen verabschiedet, das das Ablassen weitestgehend verbot. Es trat aber erst 2017 in Kraft. Da war die Körbchenmuschel schon lange da – im Rhein wurde sie ab Mitte der 80er Jahre nachgewiesen.

Flussmuschel und Malermuschel waren da schon länger auf dem Rückzug. Denn sie haben den Nachteil, dass ihre Larven parasitisch in den Kiemen von Fischen reifen – und diese Wirtfische sind immer schwieriger zu finden. Die Larven der Körbchenmuscheln wachsen dagegen im Wasser.

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Und die Körbchenmuschel scheint sich im Rhein einfach wohl zu fühlen. Könnte man sie denn eigentlich als Nahrungsmittel für Menschen hier züchten? „Im Prinzip ja. In Asien wird die Muschelart sehr viel gegessen“, sagt der Biologe. „Aber es scheint sich nicht zu lohnen, sonst hätte es bestimmt schon jemand versucht.“ Vielleicht sei das Verzehren von Muscheln – mal abgesehen von Miesmuscheln – in Deutschland auch einfach kulturell nicht so verbreitet.

Körbchenmuschel beliebt bei den Enten

Deshalb bleibt die Körbchenmuschel auch den Enten vorbehalten, die sie gerne verspeisen. Im Rhein sei die Muschelart „ökologisch unproblematisch“. „Das Gleichgewicht ist hier erreicht. In einem Lebensraum kommen nur so viele Tiere oder Pflanzen vor, wie er tragen kann.“

Und auch, wenn der Perlmutterglanz fehlt und die Feingerippte Körbchenmuschel eher bescheiden daherkommt: Mit der Zeit werden die Schalen immer weißer. Und dann sehen sie wirklich nach Urlaub aus.

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