AusgeliefertWie ein Kölner Lieferando-Fahrer für bessere Arbeitsbedingungen kämpft

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Lieferando Fahrer

Fahrrad, orangene Jacke, würfelförmiger Rucksack –Arbeitskleidung, die mittlerweile zum Kölner Stadtbild gehört, wie der Dom oder die KVB (Archivbild).

  • Wenn das Restaurant zu ist, kommt das Essen eben nach Hause – kaum jemand dürfte von Pandemie und Lockdown so stark profitiert haben, wie Essenszulieferer.
  • Doch hat dieser Erfolg auch positive Auswirkungen auf die Fahrradkurriere, die das Essen bei jedem Wetter ausliefern?
  • Lieferando-Fahrer Nils L. nimmt unseren Autor auf eine seiner Schichten mit und gibt ihm so einen Einblick in die nicht immer leichten Arbeitsbedingungen.

Köln – Fahrrad, orangene Jacke, würfelförmiger Rucksack – an unserem verabredeten Treffpunkt am Sülzgürtel ist Nils L. sofort zu erkennen. Seine Arbeitskleidung gehört mittlerweile zum Kölner Stadtbild wie der Dom oder die KVB. Seit drei Jahren arbeitet Nils als Fahrradkurier für den Essenzulieferer Lieferando. An einem klaren, kalten Januartag nimmt er mich auf eine seiner Schichten mit. Dabei erzählt er mir von der großen Freiheit, die der Job für ihn bedeutet. Aber auch von prekären Bedingungen, von mühsamen Arbeitskämpfen und unverhofften Verbesserungen in einer boomenden Branche.

Seinen Arbeitstag beginnt der 27-Jährige, indem er sich in die firmeninterne App einloggt. Keine zwei Minuten vergehen, schon vibriert sein Handy und zeigt die erste Bestellung an. Während wir unsere Fahrräder besteigen und die Berrenrather Straße hinunterfahren, erzählt er mir, wie er zu dem Job bei Lieferando gekommen ist. Nach seinem Schulabschluss in Bonn begann Nils eine Ausbildung zum Gärtner. „Ein Bürojob“, sagt er, „kam für mich nie infrage.“ Doch der Betrieb kann ihn nicht übernehmen. Nach der Ausbildung jobbt er in einem Baumarkt, aber auch dort wird Nils nicht wirklich glücklich. Da kommt er auf die Idee mit Lieferando: „Ich bin schon immer gerne Fahrrad gefahren. Und ich liebe es, draußen an der frischen Luft zu arbeiten. Also dachte ich mir, komm, das probierst du mal aus!“

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Trinkgeld ist für Lieferando-Fahrer ein wichtiger Faktor.

„Just Eat Takeaway“, so der Name des Mutterkonzerns mit Hauptsitz in Amsterdam, ist seit 2008 in Deutschland tätig. Zehn Jahre später, im Jahr 2018 übernahm Lieferando die Konkurrenten Foodora, Pizza.de und Lieferheld. Seitdem ist das Unternehmen in Deutschland Quasi-Monopolist in Sachen Essenslieferungen. Über die Webseite bestellen seine Kunden Pizza, Sushi oder Burger. Lieferando vermittelt die Bestellung und kassiert eine Provision von den Restaurants. Nils Aufgabe ist es, die Lieferungen vom Restaurant zum Kunden zu transportieren.

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Kaum ein Unternehmen dürfte von der Corona-Pandemie so stark profitiert haben, wie Lieferando. Weil die Restaurants geschlossen waren, kam das Essen in immer mehr Haushalten per Fahrradkurier in die Wohnung. Der Mutterkonzern konnte seinen Umsatz 2020 um 50 Prozent steigern. Doch vom Wachstum spüren die Kurierfahrer nur bedingt etwas.

„Für mich ist es ein Traumjob, aber die Arbeitsbedingungen sind schlecht.“

Eigentlich mag Nils seinen Job. Mittlerweile kennt er jede Abkürzung, die in den Straßen Kölns zu finden ist. Er sagt aber auch: „Für mich ist es ein Traumjob, aber die Arbeitsbedingungen sind schlecht.“ Ein Grund dafür ist die Bezahlung.

Nachdem wir die erste Lieferung bei einem thailändischen Restaurant abholen, radeln wir nur ein paar hundert Meter weiter in eine vornehme Altbaugegend in Lindenthal. Die Bestellung im Wert von 60 Euro bringt er zu einem Kleinunternehmen – Mittagspause. Nils zieht sich seine Maske über und verschwindet in einem Backsteingebäude. Kurze Zeit später ist er wieder da. Trinkgeld gab es keins. In seiner App schaut er nach, ob der Kunde vielleicht Online etwas hinterlassen hat, doch auch dort ist nichts vermerkt.

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Lieferando-Fahrer Nils L. auf dem Barbarossaplatz.

Der Stundenlohn als Kurierfahrer bei Lieferando beträgt seit diesem Jahr elf Euro. Vorher hat Nils ein Euro weniger verdient, es war die erste Gehaltserhöhung für ihn seit drei Jahren, erzählt er. Hinzu kommen Boni, je nachdem, wie viele Bestellungen Nils schafft. Auf Trinkgeld sind die Fahrer bei solchen Gehältern angewiesen, nur drei Euro wird er an diesem Januartag erhalten. Eine ungewöhnlich magere Ausbeute, wie er sagt.

Nachdem Nils die Bestellung auf seiner App als abgeschlossen markiert, blinkt auch schon die nächste Bestellung auf. Die App führt uns ins Universitätsviertel. Wenn Nils durch den hektischen Verkehrsfluss navigiert, merkt man ihm seine Erfahrung an. Als Lieferando-Fahrer in Köln hat man die Wahl, ob man mit einem Rad des Unternehmens losfährt, oder sein eigenes nimmt. Nils wählt lieber sein eigenes Elektrorad.

Durch das Verkehrsgewirr am Barbarossaplatz

„Zu umständlich“ sei es, jedes Mal ins „HUB“ – dem Hauptquartier von Lieferando in Ehrenfeld – zu radeln, das Fahrrad dort abzuholen und wieder abzugeben. Sein eigenes Rad hat er über die Jahre perfekt an seine Bedürfnisse angepasst. Ein neuer Akku lässt ihn auch bei längeren Schichten nicht im Stich. Den klobigen Rucksackwürfel, den Nils mit bunten Stickern und politischen Botschaften verziert hat, verstaut er in einem Plastikkorb auf dem Gepäckträger. „Viel angenehmer“ sei das, als die Lieferung permanent auf dem Rücken zu tragen. Für die Nutzung seines eigenen Rads erhält Nils 14 Cent pro Kilometer extra. Davon muss er dann etwaige Reparaturen bezahlen.

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Über das Kwartier Latäng führen uns die nächsten Bestellungen in Richtung Marienburg. Auch im Gewirr am Barbarossaplatz behält Nils die Ruhe. „Ich stresse mich schon lange nicht mehr“, sagt er immer wieder. Wenn er den Satz ausspricht, hört sich das auch immer ein bisschen so an, als wolle er sich damit eine Gelassenheit einreden, die in seinem Job schwer zu finden ist. Gleich in seiner ersten Schicht hatte Nils einen Unfall – nichts wildes, aber das habe ihn vorsichtig gemacht. Weil am Ende des Monats ein Bonus für die Anzahl der ausgelieferten Bestellungen winkt, neigen viele Fahrer dazu, eine rote Ampel auch mal zu übersehen.

Wie viele Unfälle das verursacht, kann niemand genau sagen. Die Kölner Polizei erhebt keine Statistiken. Als „Fehlanreiz“ bezeichnet Christoph Schink von der Gewerkschaft „Nahrung-Genuss-Gaststätten“ (NGG) das Bonussystem von Lieferando. „An jeder Ampel müssen die Fahrer zwischen Portemonnaie und Sicherheit abwiegen“, sagt er. Statt Boni fordert die Gewerkschaft einen Tarifvertrag und 15 Euro Stundenlohn. 

Wie Corona den Job veränderte

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„Hungy Times are bad times“ steht unter anderem auf dem Rucksack von Nils L.

Bei strahlend blauem Himmel werden wir von Marienburg aus in die Südstadt getrieben. Mittlerweile reden wir nicht mehr viel, die Geräuschkulisse wird vom Lärm des Verkehrs und Nils Handy dominiert. „In der Zone“ nennt Nils diesen Zustand, in den er hingerät, wenn alles läuft. Wenn er angetrieben von seinem Elektrorad durch den Verkehr Kölns und in die Hauseingänge der Kunden fließt. Er liebt diesen Zustand. „Wir haben aber auch Glück mit dem Wetter“, sagt Nils. Bei Regen sei das ein ganz anderer Job.

Pausen gibt es nur, wenn wir auf die nächste Bestellung warten müssen. Als wir in einem Dönerladen in der Nähe der Ringe sitzen, erzählt Nils, dass er schon oft darüber nachgedacht hat, sich einen anderen Job zu suchen. „Nach eineinhalb Jahren war der Punkt erreicht, an dem ich gesagt habe: entweder ändert sich etwas, oder ich höre auf.“ Der Lockdown erschwerte den Job. Es gab mehr zu tun, die „HUB“ in Ehrenfeld durfte nicht mehr für Pausen genutzt werden. In Restaurants durfte er nicht mehr auf die Toilette.

Statt aufzugeben, fing er an, sich in der Gewerkschaft zu engagieren. Über Whatsapp-Gruppen tauschte er sich mit anderen Fahrern aus. Gemeinsam stellten sie sich vor Restaurants, um andere Kuriere für die Gewerkschaft zu gewinnen. „Das war gar nicht so einfach“, sagt er.

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Kurierfahrer sind Einzelkämpfer, sie steuern mit ihrem Rad alleine durch die Stadt. Nur selten trifft man auf Kollegen und hat Zeit, über gemeinsame Erfahrungen, geschweige denn eine gemeinsame Gewerkschaft zu sprechen. Viele Fahrer würden den Job nur übergangsweise annehmen und hätten deswegen kein Interesse an Arbeitskämpfen, andere kommen aus dem Ausland und sind über ihre Rechte als Arbeitsnehmer kaum informiert. „Da war viel Aufklärungsarbeit nötig.“ Auf seinem Twitter-Account berichtet er regelmäßig über die prekären Arbeitsverhältnisse in der Branche. Von Lieferando wurde er schon dreimal abgemahnt, erzählt er. Aktuell kämpft er für eine bessere Winterausstattung.

Die Arbeit scheint jedenfalls Früchte zu tragen. Während wir auf die Bestellung warten, scrollt Nils durch seinen Twitter-Feed und entdeckt eine Meldung der Tagesschau. Lieferando, so heißt es dort, bietet seinen Fahrern neben der Gehaltserhöhung künftig auch Diensthandys und Leasingräder an, vorher hatten zwei Fahrer vor dem Arbeitsgericht geklagt. Ein Sprecher von Lieferando wird später in einem Telefonat betonen, wie wichtig dem Unternehmen die Arbeitsbedingungen seiner Fahrer sind. Das 20-teilige Equipment, zu dem auch eine Winterjacke, Handschuhe und eine Mütze gehören, sei auch in kälteren Ländern erprobt. Nils fordert aber auch Thermounterwäsche von Lieferando. Diese sei notwendig, um durch den Winter zu kommen. Notfalls will er dafür auch vor das Arbeitsgericht ziehen.

Konkurrenten drängen auf den Markt

Die arbeiterfreundliche Politik von Lieferando scheint aber noch einen anderen Grund zu haben. Als wir über die Südstadt wieder in Richtung Universität unterwegs sind, werden wir von einem Mann angesprochen, der an einem Job als Kurierfahrer interessiert zu sein scheint. Nils erklärt ihm auf Englisch, wie er sich bewerben kann und gibt ihm seine Nummer. Später sagt er: „Für jeden Fahrer gibt es einen Anwerbebonus von 250 Euro“. Ein stattlicher Zuverdienst, der zeigt: Lieferando sucht händeringend nach neuem Personal.

Denn noch etwas hat sich seit Corona geändert. Mit Unternehmen wie Flink, Gorillas oder Wolt drängen weitere Unternehmen auf den Markt, die Essen ausliefern. Sie alle sind auf Kurierfahrer angewiesen und buhlen mit höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen um die potenziellen Fahrer. „Wenn Gorillas etwas verbessert, muss Lieferando nachziehen und umgekehrt“, fasst Schink von der DGG zusammen.

Verkehrssituation in Köln eine „Katastrophe“

Ein Abstecher von Sülz ins Belgische Viertel führt uns schließlich für unsere letzte Bestellung nach Ehrenfeld. Vor der Moschee an der Venloer Straße sagt Nils: „Lass uns lieber später weiterreden. Auf der Venloer ist das zu gefährlich.“ In der Folge steuert er mit Seitenblick und Finger an den Bremsen zwischen parkenden Autos, Fußgängern und zerstreuten Radfahrern hindurch, während ich mich in seinen Windschatten einniste und versuche, Schritt zu halten. Für die Radwege in Köln hat er, nachdem wir heile am Gürtel angelangt sind, nur ein Wort übrig: „Katastrophe“.

Viereinhalb Stunden, zehn Bestellungen und 30 Kilometer nach unserem Start endet die Schicht wieder auf dem Sülzgürtel in Lindenthal, fast dort, wo sie begonnen hat. Ein seltener Glückfall, wie mir Nils erklärt. Es gebe Schichten, da müsse er von Kalk aus zurück nach Hürth radeln. Dort wohnt Nils in einer WG. Wegen der günstigen Miete kann er sich den Job als Lieferando-Fahrer bisher leisten. Doch seine Vermieterin hat Eigenbedarf angemeldet. Zusammen mit seinem Freund sucht Nils jetzt eine Wohnung in Köln.

Wie er die Mietpreise als Kurierfahrer stemmen soll, weiß er noch nicht. Bis er ausziehen muss, will er erstmal bei Lieferando bleiben und sich weiterhin für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Auch, damit die Wohnungssuche für andere Kurierfahrer künftig vielleicht leichter wird.

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