Autofreie InnenstädteDie Umkehr beim Verkehr und wie sich unsere Mobilität verändert

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Sprechen wir vom Idealzustand, auch wenn das für viele Menschen, die sich heute noch entscheiden, lieber mit dem Auto von Köln nach Berlin, Hamburg oder München zu fahren, bei der Bahn utopisch klingen mag. Köln Hauptbahnhof – Dezember 2030. Zum Fahrplanwechsel garantiert die Bahn einen Halbstunden-Takt ohne Umsteigen und mit einer Fahrzeit von unter vier Stunden in Deutschlands Metropolen. Das Einchecken in den ICE erfolgt per Smartphone, die Reisekette ist bis zum Zielort vorgeplant und wird laufend aktualisiert, falls doch mal etwas schiefgehen sollte. Bei Verspätungen wird das Ticket automatisch billiger, doch die sind sehr selten geworden, weil die Züge sich im Bahnknoten Köln nicht mehr gegenseitig blockieren, die Trassen digital gesteuert werden und der Nah- und Fernverkehr auf getrennten Gleisen fährt. Die Lufthansa hat alle innerdeutschen Flugverbindungen mangels Nachfrage eingestellt – auch zwischen Berlin und München.

Alle Bahnreisenden sind gleichberechtigt, auch wenn sie täglich nur mit der S-Bahn oder dem Rhein-Ruhr-Express aus dem Umland nach Köln pendeln. Ihre Abo-Tickets gelten grundsätzlich für alle Züge. Pro Jahr dürfen sie sich zwei Wochen aussuchen, in denen sie bundesweit kostenlos fahren. Alle Zulaufstrecken aus der Eifel nach Köln sind saniert und elektrifiziert. Zwischen Köln und Düsseldorf gibt es keine überfüllten Züge mehr.

Um diesen Zustand zu erreichen, investieren Bahn und Bund derzeit Rekordsummen auch in den Großraum Köln. Und werden das weiterhin tun. Allein der Ausbau der S-Bahn im Herzen der Stadt wird 2,3 Milliarden Euro kosten.

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Autofreie Innenstädte

Freier Eintritt in alle städtischen Museen, Preisnachlass bei Oper, Schauspiel und Philharmonie oder den Anspruch auf wenigstens ein rabattiertes FC-Heimspiel-Ticket pro Saison, wahlweise für die Haie oder die Lachende Kölnarena. Das alles als Dankeschön für die treuen Kunden, die ein Jahresabo bei den Kölner Verkehrs-Betrieben abgeschlossen haben. Dieses Köln-Abo für eine autofreie Innenstadt, die einfach viel zu schade ist, um sie mit parkendem Blech zu verschandeln, ist wohl wirklich eine Utopie in einer Stadt, deren Verwaltung und Politiker doch so kreativ sein möchten und sich am Ende feiern, dass sie nach vielen Jahren kurz davor stehen, wenigstens die Ehrenstraße in eine Fußgängerzone umzuwandeln. Das Köln-Abo ließe sich prima subventionieren. Über die Parkgebühren – zum Beispiel. Bis alle verstanden haben, wie schön es ist, als Fußgänger einfach mehr Platz zu haben.

Abschied vom Verbrenner

Mindestens 14 Millionen Elektroautos müssen bis zum Jahr 2030 zugelassen sein, wenn Deutschland die Klimaschutzziele des Pariser Abkommens erreichen will. 2020 waren rund 588 944 E-Autos unterwegs, in diesem Jahr soll die Millionengrenze geknackt werden. Das geht aus dem Abschluss Bericht der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) vom Juni 2021 hervor. Die Experten des Gremiums, das im Auftrag der Bundesregierung arbeitet, haben damit deren Zielsetzung deutlich nach oben korrigiert. Die Regierung war bisher von sieben bis zehn Millionen ausgegangen.

Ob das 2030er Ziel zu schaffen ist, wird von gleich zwei Studien in Zweifel gezogen. Das Öko-Institut Freiburg erwartet in einem Gutachten lediglich 5,6 Millionen. Eine Prognos-Studie kommt hingegen auf 7,1 Millionen Neuzulassungen.

„Der Abschied vom Verbrenner ist kein Ziel in ferner Zukunft, sondern die Aufgabe dieses Jahrzehnts“, sagt Ernst-Christoph Stolper, Mitautor des Berichts vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Fahrzeuge der Zukunft müssten sich deutlich wandeln. „Statt großer und schwerer Karossen sollen zukünftig vor allem kleine, ressourcenschonende Fahrzeuge gefördert werden. Wer sozialverträglich auf Elektromobilität umsteigen will, fördert Kleinwagen“, so Stolper. Dies könne zum Beispiel über die Einführung eines Bonus-Malus-Systems und eine Reform der Kfz-Steuer erfolgen.

Der NPM-Abschlussbericht, der am 13. Oktober dem Bundesverkehrsministerium übergeben wurde, betont, dass neben der Elektromobilität auch Wasserstoff künftig im Straßenverkehr mit Pkw und Lkw nötig sein werde, um die im Klimaschutzgesetz fixierte CO2-Minderung annähernd zu erreichen. Autos und Nutzfahrzeuge verursachen etwa 95 Prozent aller CO2-Emissionen im Verkehr. Hier liege das größte Einsparpotenzial – zwischen 26 bis 63 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030.

Der Bericht stößt auf Kritik von Umwelt- und Verkehrsverbänden. Sie werfen den Autoren vor, sich zu einseitig auf technische Lösungen beim Autoverkehr konzentriert zu haben, anstatt den Fokus auf die Vermeidung von Autofahrten und das Umsteigen auf andere Verkehrsmittel zu lenken. Die Kommission habe jedes Verkehrsmittel, „egal, ob klimafreundlich oder nicht, isoliert betrachtet und ordnungsrechtliche Möglichkeiten jenseits der geltenden Beschlusslage ausgeblendet“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. „Mit diesem Schubladendenken ist keine Verkehrswende möglich.“ Das müsse die kommende Regierung ändern.

Wie sich unsere Mobilität verändert

Lautlose Flugtaxis

Dieses Projekt ist sehr ambitioniert. Spätestens ab 2025 sollen elektrisch betriebene Flugtaxis von den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn starten und alle Regionen in NRW innerhalb von 30 Minuten anfliegen.

Das Technologie-Unternehmen Lilium aus dem bayrischen Weßling, 2015 von Ingenieuren und Doktoranden der Technischen Universität München gegründet, hat bereits ein Flugzeug mit Elektromotoren und drehbaren Flügeln entwickelt, das Platz für vier Passagiere und einen Piloten bietet.

Damit das alles nicht nur hochfliegende Pläne bleiben, hat das Unternehmen mit den Flughafenchefs von Düsseldorf und Köln im September 2020 eine Absichtserklärung für eine Zusammenarbeit unterzeichnet. „Wir wollen die Flughäfen als Mobilitätshubs nutzen und eine neue Form der Mobilität schaffen“, sagte Betriebsleiter Remo Gerber bei der Unterzeichnung.

„Wir bekennen uns zum ersten Mal zu einer Region. Wir haben hier Partner, die es ernst meinen.“ Die Voraussetzungen für einen Flugtaxi-Betrieb nach festem Flugplan seien in einem Ballungsraum mit 18 Millionen Menschen ideal. Im gleichen Monat ging am Flugplatz Merzbrück bei Aachen eine verlängerte Start- und Landebahn in Betrieb, um geräuscharmes elektrisches Fliegen erproben zu können. Vier Millionen Euro hat das Land dafür ausgegeben. Seit November gibt es eine Forschungskooperation von Lilium mit dem Lehrstuhl für Elektromobilproduktion der RWTH Aachen – für die Serienfertigung der Flugtaxis.

Im Dezember kündigte Lilium ein Trainingsprogramm mit der Lufthansa zur Ausbildung von Piloten an. Ein Massenverkehrsmittel wird das Flugtaxi nicht werden. Profitieren könnten Unternehmen in kleineren Städte und der ländliche Raum, weil sie schneller erreichbar wären. Ein Flug von Düsseldorf nach Paderborn würde zehn Euro kosten – plus Luftverkehrssteuer, Start- und Landegebühren und die Kosten des Piloten.

Fahrerlose E-Busse

Kleine elektrisch betriebene Linienbusse, die fahrerlos in Innenstädten Passagiere aufnehmen und zum nächsten Umsteigepunkt bringen, die so häufig fahren, dass kein Fahrplan mehr zu Rate gezogen werden muss, sind einer der Schlüssel zur Lösung der Verkehrsprobleme und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur autofreien City. In Monheim am Rhein ist ein solches System seit Februar 2020 im Einsatz.

Der Bus fährt auf einem 2,7 Kilometer langen Rundkurs durch die Innenstadt, gesteuert durch GPS-Signale, die ihn millimetergenau auf der Straße halten und jedes Hindernis erkennen. Aus Sicherheitsgründen ist noch ein Kontrolleur an Bord. Der Bus verlässt die vorgegebene Route nie. Die Technologie für völlig autonomes Fahren gibt es schon. Dann könnte jeder mit einem fahrerlosen Bus von einem beliebigen Startpunkt zu seinem Zielpunkt gelangen.

Schnellwege für Radfahrer

Diese Zahlen sind das beste Plädoyer für den Bau von Radschnellwegen. Rund 4,5 Millionen Menschen in NRW müssen täglich zur Arbeit pendeln, bei der Hälfte von ihnen ist der Arbeitsweg kürzer als zehn Kilometer. Dennoch setzen sich nur rund zehn Prozent dafür aufs Fahrrad.

Doch das Umdenken hat längst eingesetzt. Zu verdanken ist das auch der Corona-Pandemie. Sie hat der Fahrrad-Industrie 2020 einen Boom beschert. Eine Million Räder mehr verkauft im Vergleich zu 2019, das ist eine Steigerung von 35 Prozent und ein Trend, der sich 2021 fortsetzen wird und vor allem den E-Bikes geschuldet ist. „Wir wollen Deutschland zum Fahrrad-Land machen“, sagte der noch amtierende Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), als er im April den „Radverkehrsplan 3.0“ vorstellte. Danach will der Bund bis 2023 rund 1,46 Milliarden Euro in den Radverkehr investieren.

Das neue Fahrradgesetz für NRW, dessen Verabschiedung noch in diesem Jahr erfolgen soll, enthält auch ein Radvorrangnetz mit landesweiten Verbindungen, das mit Priorität geplant und gebaut werden soll. Wie beim Autobahnbau soll danach für den Bau von Radschnellwegen ein Bedarfsplan für NRW erstellt und die Planungen verkürzt werden. Im Verkehrsministerium will man das Fahrrad zum Bestandteil vernetzter Wegeketten machen. Was so kompliziert klingt, heißt konkret, dass es neben den acht geplanten und in Bau befindlichen Radschnellwegen auch mehr Radstationen, Fahrrad-Garagen und Mobilstationen geben wird, die das Umsteigen vom Rad auf Bus und Bahn erleichtern sollen.

Der bekannteste Schnellweg wird nach seiner Fertigstellung über 116 Kilometer von Moers bis Hamm quer durchs Ruhrgebiet führen. Insgesamt sind landesweit rund 266 Kilometer geplant. Klingt viel, ist im Vergleich zu 2270 Kilometer Autobahnen aber nicht mehr als ein Flickenteppich.

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