Autofreier SonntagBürger erobern die Stadt zurück

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Der Kölner Sozialwissenschaftler Davide Brocchi.

Der Kölner Sozialwissenschaftler Davide Brocchi.

Köln – Auf der Inneren Kanalstraße wird gepicknickt, über den Ehrenfeldgürtel rollen Skater und Rollschuhfahrer, auf der Venloer Straße stellen sich Vereine und Verbände vor. Wenn Wirklichkeit wird, was der Kölner Sozialwissenschaftler Davide Brocchi in einem preisdekorierten Konzept beschrieben hat und gerade mit Unterstützern ausarbeitet, könnte der 23. September 2013 in Köln ungefähr so ablaufen. Keine Autos, nirgendwo. Zumindest nicht in der Umweltzone. Die Bürger feiern die Rückeroberung der Stadt.

Davide Brocchi möchte einen autofreien Sonntag in Köln etablieren; seine Idee hat er „Kölner Sonntag der Nachhaltigkeit – Tag des guten Lebens“ genannt. Brocchis Visionen für das Köln von morgen sind beim Ideenwettbewerb „Dialog Kölner Klimawandel“ im vergangenen Jahr mit einem Preis und 2000 Euro ausgezeichnet worden. Rund 50 Initiativen, Verbände und Unternehmen unterstützen den gebürtigen Italiener und sein Team – darunter die Kölner Verkehrs-Betriebe.

Brocchi denkt an eine ökologische und soziale Revolution des Kölner Stadtlebens. „Der Einfluss von Regierungen ist in Zeiten der Globalisierung gesunken, auch verschuldete Städte wie Köln sind unbeweglicher geworden angesichts epochaler ökologischer und sozialer Herausforderungen“, sagt der 43-Jährige. Seine Folgerung: „Wir Bürger müssen mehr Verantwortung übernehmen und unsere Zukunft selbst gestalten. Nur wenn wir uns ändern, ändert sich die Welt.“

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Eine City-Maut in Höhe von 6,10 Euro pro Fahrt in die Innenstadt hat jüngst der grüne Verkehrsminister aus Baden-Württemberg, Winfried Hermann, vorgeschlagen. Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Michael Groschek sagte, es dürfe „keine Denkverbote“ bei diesem Thema geben, es brauche „neue Instrumente der Finanzierung“, um nicht eines Tages Brücken sperren zu müssen.

Große Kommunen und Städte lehnen eine City-Maut bislang ab. So befürchtet der Deutsche Städtetag, Vertreter der großen Kommunen, „einen Verdrängungswettbewerb hinaus auf die grüne Wiese“.

Dass sich eine solche Abgabe negativ auf die Wirtschaft auswirken könnte, befürchtet der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Die hohen Parkgebühren in den Innenstädten bedeuteten schon heute nichts anderes als eine Maut, argumentieren die Städtevertreter. Seit Einführung der Umweltzone sei außerdem bekannt, dass sich ein guter Teil des Verkehrs in die äußeren Stadtteile verlagere: Und dort ärgerten sich die Leute über den Verkehrsinfarkt.

Auf die Idee eines autofreien Sonntags reagiert das Amt für Straßen und Verkehrstechnik reserviert. Wenn die Politik einen solchen Tag beschließe, sei das umsetzbar, sagt Kai Lachmann, die Frage sei nur „wie viel man den Menschen zumuten sollte. Immerhin gibt es schon den Marathon, Karneval und andere Tage mit Straßensperrungen.“ Zudem, sagt Lachmann, „ist es mit Kosten verbunden, Teile der Stadt komplett zu sperren.“ Eine City-Maut „würde gewiss zu einer Verkehrsentlastung führen, aber auch das ist Sache der Politik“. (uk)

Der Revolutionär trägt Lederschuhe und Jeans, das Karohemd steckt sauber in der Hose. Brocchi begreift sich nicht als Idealist, sondern als Wissenschaftler, der sein Geld als Dozent, Journalist und Kulturmanager verdient. Seine Ideen hat er der Bezirksvertretung Innenstadt vorgestellt, den Leitern des Umweltamts und verschiedenen Medien, „nun muss ich noch beim Karneval vorstellig werden, denn ohne die Karnevalisten läuft in Köln ja nichts“, sagt er.

Brocchis Ideen reichen weit – und stellen der Deutschen liebstes Kind infrage: das Auto. Er schlägt die Einführung einer City-Maut vor und eine ÖPNV-Steuer – dafür könnten alle Kölner Busse und Bahnen kostenlos nutzen. Parken sollte deutlich teurer werden, das Teilen von Autos (Car-Sharing) und anderen Konsumgütern günstiger. Der Sozialwissenschaftler hat sich für sein 70-seitiges Konzept mit einem Arsenal von Fakten bewaffnet. So schreibt er, dass jeder Kölner pro Jahr im Schnitt zwölf Tonnen Kohlendioxid verursache – ein Fünftel mehr als der Durchschnittsbürger in Deutschland. Das Kölner Straßennetz sei in den vergangenen zehn Jahren um zehn Prozent auf 2578 Kilometer gewachsen, für den Nahverkehr wurden 2010 rund 285 Millionen Euro ausgegeben, für Wissenschaft und Kultur 160 Millionen, für den Umweltschutz aber nur zehn Millionen. In puncto Klimaschutz hinke Köln im Vergleich mit anderen Städten hinterher.

Den autofreien Sonntag wünscht er sich als „Taktgeber für die Veränderungen, die allen Städten bevorstehen“. Schon 2050, glaubt Davide Brocchi, werde es „nur noch einen Bruchteil des heutigen Straßenverkehrs geben. Die Erdölverknappung wird Autofahren zu teuer machen“. Der hohe Benzinpreis scheint Brocchi Recht zu geben. Vieles von dem, was er schreibt und sagt, wird indes schon seit Jahren geschrieben und gesagt. Wie will er aber das kollektive Bewusstsein verändern? „Wir sind so veranlagt, dass wir an unseren Gewohnheiten hängen“, sagt er. Dazu zähle das Auto genauso wie das Einkaufen von Konsumgütern, die wir nicht unbedingt brauchen.

Der Anfang soll zunächst in Ehrenfeld ausprobiert werden. Weil es logistisch schwer möglich wäre, die ganze Stadt für den Autoverkehr zu sperren, wollen Brocchi und sein Team den autofreien Sonntag nächstes Jahr rund um die Venloer Straße ausprobieren – Bezirksbürgermeister Josef Wirges hat sich angetan gezeigt von der Idee. An einem Sonntag in zwei Jahren sollen dann in der ganzen Kölner Umweltzone keine Autos fahren. In einigen Jahren seien mehrere autofreie Tage im Jahr denkbar, sagt Brocchi. „Wir werden uns langsam wandeln, aber wir müssen uns wandeln.“

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