Axa-KunstsammlungIn Köln-Kalk lagern Meisterwerke mit Totalschaden

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Totalschaden: Bei dem Helmut-Newton-Foto ist die Oberfläche beschädigt.

  • In einem Lager in Kalk verwahrt eine Versicherung Werke weltbekannter Künstler, die nach Missgeschicken beim Transport wertlos wurden.
  • Viele müssen auf die Müllhalde, einige werden restauriert und versteigert.

Köln – Was würden Sie tun, wenn Sie ein ein mal ein Meter großes Schwarz-Rot-Gold-Bild aus Kunstharzfarbe von Gerhard Richter geschenkt bekämen, das der Künstler einst für den Berliner Reichstag malte? Und das als Totalschaden gilt, weil es einen winzigen Sprung aufweist und der Künstler seine Unterschrift durchgestrichen hat? Die Axa-Art-Versicherung bewahrt solche Bilder in einer unscheinbaren Halle in Kalk auf. In zehn Meter hohen Regalen lagern rund 150 Kunstwerke, die früher Millionen wert waren, um die sich Galeristen und Sammler rissen. Jetzt gelten sie als wertlos – wertlos für den Markt.

Salvage art, „Abwrackkunst“, heißt der Fachbegriff solcher vermeintlicher Totalschäden. Bei einer Gipsfigur aus dem 18. Jahrhundert (Wert: 40.000 Euro) ist der Arm abgebrochen, ein Bild des Malers Jiří Dokoupil, wichtiger Vertreter der Bewegung der „Neuen Wilden“, wurde beschädigt, als ein Gabelstapler die Kiste mit dem Bild touchierte. Einem vergoldeten Trinkgefäß aus dem 18. Jahrhundert (geschätzt auf 400.000 Euro) fehlte der Kopf, als der neue Eigentümer das Objekt in New York auspackte. Auf einem großformatigen Margaret-Thatcher-Foto von Helmut Newton, einst verkauft für 44.563 Dollar, ist die diagnostizierte Bildstörung gar nicht zu sehen, trotzdem wurde ein Totalschaden ausgewiesen. Aber ist das Foto deswegen wertlos?

Hohe Versicherungssummen

„Viele der Werke, die hier lagern, haben nach wie vor einen kunsthistorischen Wert“, sagt Dorothee Hamm-Neumann, Kunsthistorikerin des Versicherers. „Manchmal glauben wir, dass sich eine Restaurierung nicht jetzt, aber zu einem späteren Zeitpunkt lohnen könnte, zum Beispiel, weil ein Objekt im Wert steigt, oder auch, weil der Künstler seine Meinung ändert.“ Beides könnte – so glaubt Hamm-Neumann – eines Tages im Fall des Skarabäus-Bilds „Negro with Crows in Kongo“ von Jan Fabre der Fall sein. Es ist Teil einer Bilderserie, die Werke des wichtigsten zeitgenössischen belgischen Künstlers steigen im Wert. Beim Rücktransport von der weltgrößten Kunstmesse Art Miami aus Florida wurde das Bild von einem Gabelstapler beschädigt – mindestens 100 Käferflügel lösten sich ab, viele Flügelspitzen brachen. Die Galerie ließ sich einen sechsstelligen Betrag ausbezahlen.

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Immerhin denkbar sei es, dass Jan Fabre das Bild irgendwann wieder ausgestellt wissen möchte – die vorherige Lagerung und Restaurierung würde dann in der Provenienz des Werks dokumentiert. „Natürlich sind wir uns nicht immer einig mit dem Eigentümer, ob eine Restaurierung sich lohnt oder nicht“, sagt Hamm-Neumann. Schließlich geht es um hohe Summen. Wenn großformatige Bilder von Gerhard Richter oder Sigmar Polke von Köln oder Berlin für eine Ausstellung nach London transportiert werden, stehen acht- oder neunstellige Versicherungssummen auf dem Spiel – es kommt vor, dass Ausstellungen nicht zustande kommen, weil der Transport und die entsprechende Versicherung zu teuer sind.

Kunstwerk muss bei Totalschaden vom Markt

Die Kunstversicherer überprüfen den Marktwert eines Werks in der Regel jedes Jahr. Danach richtet sich die Höhe der Versicherungssumme. Wenn ein Kerzenbild von Gerhard Richter Anfang der 1980er Jahre für 15.000 Mark gehandelt wurde und inzwischen 20 Millionen Euro wert ist, explodiert im gleichen Zeitraum die Versicherungssumme. Meist schließt der Eigentümer gleichzeitig eine Hausrat- und Gebäudeversicherung mit ab, um alle Risiken abzusichern. Von den enormen Preissteigerungen auf dem Kunstmarkt in den vergangenen Jahrzehnten profitieren auch die Versicherer.

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Der Figur einer Magd fehlt ein Arm. 

„Das Geschäft ist im Unterschied zum Beispiel zu klassischen Gebäudeversicherungen sehr profitabel – obwohl wir bis auf wenige Ausnahmen alle Gefahren absichern“, sagt Christian Metten, Geschäftsführer der Axa-Art-Versicherung für Deutschland, Dänemark, Österreich und Polen. Die Kölner Kunst-Versicherung ist einer der Weltmarktführer. Sie verkauft nicht nur Policen, sondern berät auch, wenn es um Bewertung und Restaurierung geht. Viele Galeristen, die bei der Art Cologne ausstellen, haben ihre Werke bei der Axa Art versichert. Die Versicherung ist einer der Hauptsponsoren der Messe.

Wenn die Sachverständigen einen Totalschaden festgestellt haben, darf das Kunstwerk nicht mehr auf den Markt. In der Regel entwertet der Künstler seine Schöpfung dann selbst – danach gehört es der Versicherung, die dafür bezahlt hat. Einmal im Jahr versteigert die Axa Art 30 bis 40 Werke bei der sogenannten Herz-zu-Herz-Aktion für einen guten Zweck. Die Käufer müssen unterschreiben, dass sie die Objekte nicht öffentlich ausstellen werden – einst wertvolle Werke werden sogar als Leihgabe versichert, um Versicherungsbetrug vorzubeugen.

Irrwitzige Preise und Renditeaussichten

Die Bewertung der Kunstwerke übernehmen Christian Metten und sein Team. Bei einer Besichtigung vor Ort werden vor allem auch die Sicherungsvorkehrungen gegen Risiken wie Diebstahl überprüft, bevor die Versicherung entscheidet, ob sie ein Angebot abgibt. „Und wenn wir wie jüngst geschehen eine Anfrage für die Versicherung eines einzigen Bildes angeboten bekommen, das eine halbe Milliarde Euro wert sein soll, geben wir in der Regel kein Angebot ab“, sagt Manager Metten. „Schließlich wäre es damit das mit Abstand teuerste Kunstwerk der Welt. Und solch ein Angebot erscheint dann doch eher unseriös.“ Hin und wieder käme es auch vor, dass Bilder angeboten würden, die keiner Echtheitsprüfung standhielten: „Einmal hatten wir es mit zwei vorgeblichen Bildern von Max Beckmann zu tun, die sich als übelste Hobbymalerei entpuppten“, sekundiert Hamm-Neumann.

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Einem Gefäß fehlt der Kopf.

Sie bewegen sich auf einem fiebrigen Markt. Irrwitzige Preise und Renditeaussichten haben Kunst nicht nur zum bevorzugten Anlageobjekt für Superreiche gemacht, sie locken gleichzeitig Betrüger an. Dass auch Kunst, die weggeworfen wird, noch von erheblichem Wert sein kann, zeigt aktuell ein Prozess um Skizzen von Gerhard Richter, die ein Mann vor dem Wohnhaus des Künstlers aus dem Müll fischte. Ein Auktionshaus schätzte den Wert der Skizzen auf 60.000 Euro.

Im Kalker Lager kommt die Kunst nach einer Odyssee auf dem Kunstmarkt sozusagen zu sich: Hier harren die Objekte, kühl, trocken, verpackt und unbeachtet von Sammlern oder Spekulanten, dem Gang der Dinge. Manchmal wartet am Ende die Müllkippe, manchmal eine Restaurierung, öfter ein Platz im Wohnzimmer eines glücklichen Menschen, der das lädierte Werk ersteigert hat. 

Was aus dem einstigen Kunstwerk wird, hängt – Totalschaden und offizieller Wertlosigkeit zum Trotz – entscheidend von der Bedeutung des Künstlers ab. Das Deutschland-Bild von Gerhard Richter hängt inzwischen in der Vorstandsetage der Versicherung.

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