Besuch auf der KegelbahnEin wöchentliches Ritual – und das seit 50 Jahren

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Die Kegelbande: v.l. Erich Schulte,  Helmut Zitzen, Dieter Blum,  Willi Krauthäuser, Rolf Manz und Günter Noll. 

Köln – Sieben alte Männer, sieben erste und letzte Ehen, sieben gebügelte Baumwollhemden, 562 Jahre bürgerliches Kölner Leben, die Mehrzahl davon mit einem wöchentlichen Ritual: einem Kegelabend in einer Gaststätte an der Dellbrücker Hauptstraße.

Die Kegelstunden im „Barbarossa“ beginnen mit einem Kölsch an der Theke und ein paar Brocken Spanisch („Cerveza“, „Gracias“) mit der jungen italienischen Kellnerin. Erstes Thema ist dieser Skifahrer, der als erster Deutscher seit 26 Jahren einen Superriesenslalom gewonnen hat, der FC wird in wenigen Sätzen abgehandelt, man ist sich nicht einig, ob Ruthenbeck ein guter ist, Tendenz egal, „der FC ist halt mal wieder der FC“.

„Frisch, fromm, fröhlich, frei“

Willi Krauthäuser war 24, als er in Dellbrück zum ersten Mal auf die Vollen warf, die große Zeit des 1. FC Köln fing da gerade an, jetzt ist er 80, so alt wie der Kegelclub „Us däm Eff-Eff“. 80 Jahre sind im Schnitt auch die sieben Sportfreunde. Die Vier F im Namen stehen für das „frisch, fromm, fröhlich, frei“ der Deutschen Turnerschaft, Dieter Blum (80), der Präsident, Willi Krauthäuser (80), der Vize-Präsident, Erich Schulte (77), Rolf Manz (81), Helmut Zitzen (86), Günter Noll (75) und Klaus Leveling (83) sind mit den Maximen von Turnvater Jahn aufgewachsen.

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Dieter Blum ist der Präsident – einer von nur Dreien in 80 Jahren. 

Die Kegler kennen sich vom Turnverein Dellbrück, aus dem der Kegelclub hervorging, Zitzen und Krauthäuser beispielsweise seit gut 70 Jahren. TV-Mitgliedschaft ist bis heute Pflicht. „Im Handball war der Helmut früher rau und unfair“, sagt Krauthäuser, Helmut gibt den Ball zurück: „Dafür war ich gut, und ich bin durchgekommen. Heute bin ich das älteste Vereinsmitglied.“

70.000 Euro für eine neue Gasleitung

Gut sind die Weggefährten noch heute, im Kegeln, für ihr Alter, als Typen sowieso. Gerade haben die sieben, die den Kern des Förderkreises vom TV Dellbrück bilden, maßgeblich geholfen, die 70.000 Euro für eine neue Gasleitung aufzubringen. Sie waren Ingenieure, Lehrer, Kaufleute, Steuerberater. Ihre Rente ist sicher.

Sport- und Englischlehrer Leveling hat seine Trainerausbildung an der Sporthochschule bei Hennes Weisweiler absolviert, er lernte dort auch Sepp Herberger kennen, Diplomjahr: 1957. Er kommt heute von einem Ehemaligentreffen am Hansa-Gymnasium. „Schön war es, viele waren für meine Begriffe etwas leger gekleidet, aber so ist wohl die Zeit“, sagt er.

Eine Kegelbahn ist kein schniekes Bowlingcenter

Die Männer sitzen an der Kegelbahn, wo sie sich seit mehr als 50 Jahren treffen, es riecht nach Essen und der Geschichte des Raumes. Das Styropor, das das Donnern der Kugeln absorbiert, hat schon manche Ausdünstung aufgenommen, es ist längst nicht mehr unschuldig weiß, die roten Weihnachtssterne sind zerzaust – eine Kegelbahn ist kein schniekes Bowlingcenter. Mehr Charme hat sie allerdings allemal.

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Jedes Spiel wird mit einer Runde Kölsch eingeläutet.

Der Präsident begrüßt den Sportskameraden Leveling standesgemäß mit Glockenbimmeln, einer Runde „frisch gezapftem Kölsch“ und einem dreifachen „Gut Holz!“ Jeder Spieler gibt eine Runde aus, die vom Präsidenten mit pastoralen Worten eingeläutet wird. Wenn man hochrechnet, dass sie sich in 50 Jahren jede zweite Woche getroffen und im Schnitt acht Kölsch getrunken haben, kommen die Herren auf jeweils rund 10.400 Bier. Es dürften freilich ein paar mehr gewesen sein – als Jungspunde haben sie nach der Kegelrunde bis zum frühen Morgen Skat gespielt und weiter getrunken, auf dass die Belastbarkeit der Ehen auf die harte wie letztlich ja auch wichtige Probe gestellt wurde.

„Meistens haben wir aber sehr gesittet getrunken“

„Einmal“, erinnert Willi Krauthäuser, „hat eine Frau ihren Mann mit einer gezückten Bratpfanne empfangen, telefoniert haben die Gattinnen nachts öfter untereinander“. „Meistens haben wir aber sehr gesittet getrunken“, betont Rolf Manz. „Es ging uns um den Sport“, sekundiert Krauthäuser. „Inzwischen trinken wir natürlich ohnehin eher vorsichtig“, sagt Dieter Blum.

Klaus Leveling erzählt, dass einige Ehemalige auf Krücken ins Hansa-Gymnasium gekommen seien, das Gespräch driftet munter Richtung Tod. „Wenn ihr meinen Sarg irgendwann tragt, trinkt bitte ein Schnäpschen auf mich“, sagt Leveling. „Du bist so fit, Du wirst eher unseren tragen“, sagt Blum. Ernst mischt sich höchstens unterschwellig in das Gewitzel, die sieben nehmen den Tod sportlich, ist er ihnen doch seit langem vertraut. Fünf von ehemals zwölf Kegelbrüdern sind tot. Wenn sie sich im Freundeskreis umgucken, ist das nicht mal ein schlechter Schnitt.

Zur Hälfte gefüllt mit Todesanzeigen

Das Album der Kegler ist zur Hälfte gefüllt mit Todesanzeigen. Jupp Fuchs, der noch auf einem Bein kegelte, nachdem ihm sein Raucherbein amputiert worden war, 1979 gestorben, Vereinsikone Willi Heinen, einer von nur drei Präsidenten seit 1937, verstorben 1982, Kartoffelhändler Siegfried Tillmann, Schreinermeister Peter Gatz, Kegler der ersten Stunde, lange tot. Jedem haben die Kegler mit einer Anzeige, manchem mit einem Text die letzte Ehre erwiesen. Früher sind sie an Allerheiligen von Keglergrab zu Keglergrab gegangen, heute wären sie viel zu lange unterwegs.

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Willi Krauthäuser hat sich in 40 Jahren kaum verändert. 

Das Album, das den dynamischen, schon haupthaararmen Willi Krauthäuser zeigt, der beim Wurf tief in die Knie geht, den athletischen Klaus Leveling, der 40 Jahre später noch die gleich Frisur und das gleiche Lächeln trägt – ist ein Symbol für die Sportart: Sie ist vom Aussterben bedroht. In Dellbrück gab es einst mindestens sieben Kegelbahnen und zehn Kegelclubs. Zumindest zwei Bahnen sind geblieben.

Kegelbahnen sind oft verwaist

Waren sie einst jeden Abend ausgebucht, so sind sie heute oft verwaist, auch wenn der Wirt Giuseppe Cavallaro sagt, dass sich seine Bahn noch lohne. Fragt man in Worringen nach, in Junkersdorf, Lindenthal oder Nippes, ist es überall ähnlich: Zwar haben viele Kneipen noch eine Kegelbahn, gerade im Winter kommen auch viele Gruppen, der Vereinssport Kegeln ist allerdings kaum mehr gefragt. Und wenn die muffigen Bundeskegelbahnen irgendwann saniert werden müssen, entschließen sich viele Wirte, sie lieber gleich anderweitig zu nutzen.

„Tja, woran liegt das? Wohl auch am Image des Kegelns, viele verbinden das ja mit Saufgelagen“, sagt Rolf Manz. „Die Art von Geselligkeit ist wohl nicht mehr gefragt.“ Der Verband der Kegler hat bundesweit in 30 Jahren die Hälfte seiner Mitglieder verloren. Kegeln gilt als kleinbürgerlich, Symbol für Sesshaftigkeit und deutsche Biederkeit – das Land und sein Image haben sich derweil gewandelt.

Was spricht also gegen eine Renaissance des Kegelns?

„Kegeln ist auf jeden Fall nicht in“, sagt der Präsident. Aber wer wisse schon, was kommt: Eltern nennen ihre Kinder ja auch wieder Emma und Heinrich. Die Zeit ist zwar so, dass alles fließt und der globalisierte Arbeiter am ehesten im Internet zu Hause ist, aber das macht ja auch nicht glücklicher. Schon lange ist die „Landlust“ die erfolgreichste Zeitschrift des Landes, was spricht also gegen eine Renaissance des Kegelns? „Werden wir wohl nicht mehr erleben“, sagt Manz, „aber wer weiß.“

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Klaus Eveling zieht seinen Hut, Helmut Zitzen pustet kurz durch (l.). 

Den sieben Männern ist die Kegelbahn im Barbarossa ein wichtiges Stück Identität. Dellbrück ist mehr als die meisten Kölner Stadtteile eine Einheit geblieben, auf der Hauptstraße haben sich viele Traditionsgeschäfte gehalten, das Viertel ist tiefbürgerlich.

Der Jahresbeste erhält einen Ritter-Pokal

Die Rituale der Kegler sind die gleichen geblieben, für einige seit fast 60 Jahren: Sie spielen fünf bis sechs Spiele, darunter – als Königsspiel – den „Stadt-Anzeiger“ mit sechs verschiedenen Bildern. Jeder zahlt eine Runde. Der Präsident eröffnet mit Glocke und Trinkspruch. Wer eine Partie verliert oder in die Kalle wirft, zahlt einen kleinen Betrag. Jeder Wurf wird aufgeschrieben, der Jahresbeste erhält einen Ritter-Pokal. Jedes Jahr im Oktober gibt es einen dreitägigen Kegelausflug und einen Dreikampf mit Kegeln, Skat und Minigolf. Stress – sei es mit der Frau oder sonst wem – „bleibt bei uns außerhalb der Kegelbahn“, sagt der Präsident.

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Der Jahresbeste erhält einen Ritter-Pokal.

1968 freilich gab es eine Änderung des Dellbrücker Kegelrituals, die revolutionär war: Nur mehr zweimal im Monat bleiben die Männer seitdem unter sich, vierzehntägig kegeln sie mit ihren Frauen. „Et kütt nix“ haben sie den gemischten Club genannt. Die alten Herren sagen: Die Revolution von 1968 hat Ehen gerettet.

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