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Bewegendes Krebstagebuch eines KölnersUnerwünschte Nebenwirkung: Tod

Lesezeit 6 Minuten
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Am Tag, als die Haare fielen

  • Als Edgar Franzmann sich im Herbst 2018 als Autor für die 1. Kölner Literaturnacht am 4. Mai anmeldete, wusste er nicht, ob er dann noch am Leben sein würde.
  • Wenige Tage zuvor hatte er eine die erschütternde Diagnose bekommen: myeloische Leukämie.
  • In seinem Krebstagebuch hält Franzmann das Leben mit seiner Krankheit fest – ein Dokument voller Hoffnung und Trauer.

Köln – Im Herbst 2018 erhält Edgar Franzmann (70) die Diagnose: akute myeloische Leukämie (AML). Die Krankheit verläuft oft tödlich, seine Heilungschancen sind zunächst nicht absehbar.

Franzmann, der früher für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Express“ schrieb, reagiert ruhig: „Ich habe es akzeptiert. Ich war zufrieden, wie mein Leben verlaufen ist. Natürlich würde ich gern länger leben, aber wenn es jetzt zu Ende wäre, wäre ich damit einverstanden“, sagt er seiner Frau.

Anmeldung für die Literaturnacht 

Nach der Untersuchung sitzen sie in seinem Klinikzimmer, sie gibt ihm seine Ukulele, er spielt zwei Lieder, sie macht ein Handyvideo davon – so könnte die Enkelin später ihren Opa kennenlernen. 

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Einige Tage später meldet sich Franzmann für die 1. Kölner Literaturnacht am 4. Mai 2019 an. Er will ein Krebstagebuch schreiben und daraus lesen – sofern er dann noch lebt. Die Chemotherapie schlägt an.

Am Samstag, 4. Mai, liest der Autor, der fünf Krimis bei Emons veröffentlicht hat, ab 17 Uhr im Bettensaal der Uniklinik Köln, Hörsaal 5, aus seinem Büchlein „Krebsstation Köln – 15 Storys aus dem 15. Stock“. Wir veröffentlichen Auszüge daraus.

Ärzte mit Messer und Gabel

Es war um die Mittagszeit, als ich in die Uniklinik eingeliefert wurde. Zwei Ärztinnen und ein Arzt standen – so kam es mir vor – mit Messer und Gabel bereit, um mir den Rücken aufzumeißeln. „Wir müssen eine Knochenmarkpunktion vornehmen“, sagte eine der Ärztinnen, „um bestimmen zu können, ob und welche Form der Leukämie Sie haben und welche Therapie möglich ist.“

Ich wurde über Risiken aufgeklärt, musste ein Papier unterschreiben, wurde darauf hingewiesen, dass es trotz örtlicher Betäubung schmerzhaft werde, und schon ging es los. „Bitte legen Sie sich auf den Bauch.“

Das Ansaugen des Knochenmarks fand mit Hilfe einer Hohlnadel am hinteren Beckenkamm statt, außerdem sollte ein zwei Zentimeter langes Knochenstück ausgestanzt werden, was zweimal misslang. Ich musste an meine erste Impfung in der Grundschule denken. Der jungen Krankenschwester brach die Nadel in meinem Oberarm ab: Ihr war es peinlich, mir bescherte es Pein. Würde es diesmal genau so schmerzhaft werden? Es wurde schmerzhafter.

Hohes Todesrisiko

Wenn die Heilungs-Chance 60 Prozent war, so war die Nicht-Heilungs-Chance: 40 Prozent. So viel Kopfrechnen ging noch. „Leukämie ist prinzipiell eine Krankheit mit hohem Todesrisiko“, fuhr die Ärztin fort, „aber es gibt erfolgversprechende Therapien. Wir hier an der Uniklinik Köln gehören zu den führenden Krebskliniken."

40 Prozent Nicht-Heilungs-Wahrscheinlichkeit. Ich musste jetzt stark sein. Und ich musste alles tun, um am Leben zu bleiben. „Wann wollen Sie mit der Therapie beginnen?“, fragte ich. "Sofort." "Wie lange wird die Behandlung dauern?" "Gehen Sie erst einmal von sechs Monaten aus. Stationär. Mit vielleicht ein paar Kurzurlauben zu Hause."

Ich schaute meine Frau an. Sie wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Sie wollte mir Mut machen. Ich wollte ihr Mut machen. Sie hatte die Krebsstation der Uniklinik Köln gegoogelt. Sie hatte gelesen, welches Renommee sie besaß.

„Du bist hier in den besten Händen“, sagte sie. Ich sagte: ☺„Einverstanden.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich darüber aufgeklärt, was mit mir geschehen sollte. Die Ärztin hatte handschriftlich drei Punkte bei den möglichen Folgen hinzugefügt: Verhütung während der Therapie,  Unfruchtbarkeit, Tod. Ich erschrak, als ich das las. Unerwünschte Nebenwirkung: Tod.  „Sie müssen das unterschreiben“, sagte die Ärztin.

„Rattengift“ bringt Immunsystem auf Null

Ein Problem der traditionellen Krebsbehandlung ist, dass nicht nur Krebszellen attackiert werden, sondern auch alle gesunden Zellen. Eine Freundin von mir, gelernte Krankenschwester, sprach deshalb nie von „Chemotherapie“, sondern von „Rattengift“. Im Laufe der Behandlung wird das Immunsystem des Patienten mehr oder weniger auf Null gebracht, diesen gefährlichen Zustand mit hoher Ansteckungsgefahr nennen die Ärzte „Aplasie“.

In den letzten Jahren wurden große Fortschritte in der Krebsforschung erzielt. Einer meiner Zimmernachbarn, der einen Gehirntumor hatte, wurde mit einem Medikament behandelt, was gezielt nur diesen Tumor angreift – mit Erfolg. Auch für meine Form der akuten myeloischen Leukämie gibt es inzwischen ein Mittel, das nur die Krebszellen direkt attackieren soll.

Der Markenname ist „Rydapt“, der Wirkstoff Midostaurin blockiert die Wirkung einiger Enzyme (Kinasen) in den abnormalen Zellen und stoppt deren Teilung und Wachstum. Zu Beginn der Behandlung bei AML wird Rydapt immer zusammen mit einer Chemotherapie angewendet.

Das Medikament ist erst seit letztem Jahr zugelassen. Meine „Rattengift“-Freundin sprach mir Mut zu: „Wenn die Ärzte dir das neue Medikament geben wollen, ist das ein gutes Zeichen, dass sich deine Heilungsprognose verbessert hat. Solche ganz neuen Medikamente sind nämlich unglaublich teuer.“

Ich recherchierte im Internet: Ein Jahresration „Rydapt“ kostete im Herbst 2018 eine halbe Million Euro, die für mich ausgesuchte Ration würde immer noch 250.000 Euro pro Jahr kosten. „Ziemlich viel Geld“, sagte ich, als ich das Medikament zum ersten Mal bekam. „Keine Sorge“, sagte der Stationsarzt, „geht aufs Haus.“

Euch wird ein Kind geboren

Wenn deine Kinder und Schwiegerkinder über 40 sind, hörst du auf, von Enkeln zu träumen. Wir hatten unsere Nachwuchserwartungen längst auf Xoloitzcuintles ausgerichtet, mexikanische Nackthunde, wie sie die Ex-Stieftochter meiner Frau in Tijuana hält, als uns an Weihnachten überraschend eine frohe Botschaft verkündet wurde: Euch wird ein Kind geboren.

Die Geschichte verlief nicht ganz wie das biblische Vorbild, die Geburt fand im Juli statt, Geburtsort war Bonn und nicht Bethlehem, es war ein Mädchen und – da bin ich so objektiv, wie ein Opa nur sein kann – sie war und ist das schönste Mädchen, das in den letzten 2019 Jahren geboren wurde. An ihrem Geburtstag fuhr ich sofort in die Klinik und konnte es kaum erwarten, die Kleine in den Armen zu halten.

Dann bekam ich die Krebsdiagnose – und durfte meine Enkelin nicht mehr anfassen. Für Babys galt ein absolutes Besuchsverbot auf der Krebsstation im 15. Stock.

Krebskranke werden vor Babys geschützt

Ich nahm erst an, die Neugeborenen müssten geschützt werden, erfuhr dann aber, dass es umgekehrt ist: Tatsächlich müssen die Krebskranken vor den Babys geschützt werden. Kleinkinder trainieren in den ersten drei Jahren ihr Immunsystem, jede Kinderkrankheit macht sie stärker – und Erwachsene ohne Immunsystem schwächer.

Meinen 70. Geburtstag feierte ich in der Cafeteria der Uniklinik. Die Ärzte waren einverstanden, dass die Kleine mitkommen durfte, aber ich musste mehr als zwei Meter Abstand halten.

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Meine Frau richtete eine WhatsApp-Gruppe ein, in der Familienbilder und Videos eingestellt wurden. Es gab regelmäßige Video-Anrufe mit Live-Übertragungen ins Kölner Krankenhaus. Es dauerte noch bis Mitte Februar, ehe ich meine Enkelin ein zweites Mal in den Arm nehmen konnte. Sie war siebeneinhalb Monate alt und strahlte mich aus ihren großen dunklen Augen an.

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