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Biologe, Autor und BoxerKölner Professor Gerhard Uhlenbruck wird 90 Jahre alt

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Gerhard Uhlenbruck

Gerhard Uhlenbruck

  • Gerhard Uhlenbruck, renommierten Immunologe, wird 90 Jahre alt.
  • Uhlenbruck war Abteilungsleiter am Max-Planck-Institut für Hirnforschung und danach, von 1974 bis seiner Emeritierung 1996, Direktor des Instituts für Immunbiologie an der Kölner Uniklinik.
  • Er erzählt davon, dass Kölsch seine Lieblingssprache ist und, wie er den Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Außerdem erklärt er die Bedeutung von Sport in seinem Leben. Ein Porträt.

Köln – Der Vater reagierte mit einem Wutausbruch, als er las, welchen Berufswunsch der Sohn im Lebenslauf für das Abiturzeugnis angegeben hatte: Journalist. Für Paul Uhlenbruck, Universitätsprofessor für Innere Medizin, stand unverrückbar fest, dass sein Junge, ältestes von acht Kindern, Mediziner werden würde so wie er selber, sein eigener Vater und Großvater. Noch abwegiger erschien es ihm, dass der Sohn auch mit dem Gedanken spielte, Dichter zu werden. „Du wirst zum Sozialfall, bevor dein Leben anfängt“, hielt er ihm vor.

Gerhard Uhlenbruck fügte sich. „Gehorsam ist des Christen Pflicht“, sagt er dazu ironisch. Immerhin sei es ihm gelungen, sich am Arztberuf „vorbeizumogeln“: Zwar studierte er Medizin, konzentrierte sich dann aber auf die Biochemie – und wurde zum renommierten Immunologen. Er war Abteilungsleiter am Max-Planck-Institut für Hirnforschung und danach, von 1974 bis seiner Emeritierung 1996, Direktor des Instituts für Immunbiologie an der Kölner Uniklinik. An diesem Montag wird er 90 Jahre alt.

Mehr als 50 Bücher verfasst

Die Leidenschaft zu schreiben hat Gerhard Uhlenbruck nie aufgegeben. Mehr als 50 Bücher hat er verfasst, überwiegend Bände mit Aphorismen. Zusammen mit seinen wissenschaftlichen Publikationen füllen sie den Bücherschrank, der im Wohnzimmer des Einfamilienhauses in Lindenthal steht, in dem er seit Anfang der 1960er Jahre mit seiner Frau Kathrin lebt.

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Ob es Gedichte waren oder Tagebücher, Sinnsprüche, Glossen oder Übersichten über ein Fachgebiet: „Ich habe immer geschrieben. Ich hatte immer Geschichten und Figuren im Kopf.“ Die Wissenschaft habe ihn „auch als Story interessiert.“

„Humor haben nicht selten Menschen, die eigentlich nichts zu lachen haben“

„Bevor man seine Bedenken äußert, sollte man seine Äußerungen bedenken“, heißt es in „Spitze Spritzen – spritzige Spitzen“, und in „Worthülsenfrüchte“: „Humor haben nicht selten Menschen, die eigentlich nichts zu lachen haben.“ Was reizt Uhlenbruck an der knappen, prägnanten Form? „Ich hatte schon immer einen flotten Spruch drauf“, sagt er. „Es lag mir, kurz und bündig zu formulieren. Einen Roman hätte ich nicht schreiben können.“

Er klappt eine der Kladden auf, in denen er seine Sätze aufschreibt; vorn hat er Zeilen aus Shakespeares „Macbeth“ notiert, die er zu seiner Devise gemacht hat: „Gib Worte deinem Schmerz: / Gram, der nicht spricht, / presst das belad’ne Herz / bis dass es bricht.“

Kölsch als Lieblingssprache

Uhlenbruck formuliert es um: „Loss et erus, sonst määt et dich kapott.“ Kölsch sei seine „Lieblingssprache“, sagt er. Mundart zu sprechen sei in der Familie als „ordinär“ verpönt gewesen; umso lieber habe er es auf der Straße gesprochen. Allerdings hat er seine Aphorismen auf Hochdeutsch veröffentlicht, um ein größeres Publikum zu erreichen. Zu den Büchern, die er mit einem Co-Autor geschrieben hat, gehört „Humor als kölsche Philosophie“.

Distanz zum Naziregime

Auch wenn Uhlenbruck unter der Strenge des Vaters gelitten hat – die Distanz zum Naziregime rechnet er ihm hoch an. Als Konrad Adenauer, mit dem die Familie befreundet war, 1944 verhaftet wurde und daraufhin einen Angina-Pectoris-Vorfall vortäuschte, behielt ihn Paul Uhlenbuck im Elisabeth-Krankenhaus in Hohenlind und schrieb das EKG eines Schwerstkranken auf den geschassten Kölner Oberbürgermeister um.

Zu seiner eigenen Einstellung und derjenigen anderer Jungen, mit denen er in der Hitlerjugend war, sagt Uhlenbruck: „Wir machten mit, waren aber innerlich dagegen.“ Was der Terror anrichtete, wurde ihm spätestens dann klar, als ein jüdischer Mitschüler aus der Klasse verschwand und nicht mehr zurückkehrte. Über einen Sportverein in Ehrenfeld kam Uhlenbruck in Kontakt mit den unangepassten Edelweißpiraten um Jean Jülich, mit dem er bis zu dessen Tod befreundet war. Das Kriegende erlebte er in der Eifel; unvergesslich ist ihm, wie amerikanische Soldaten, die Gewehre im Anschlag, übers Feld kamen.

Kurt Alder als Idol

1949 machte Uhlenbruck am Gymnasium Kreuzgasse Abitur. Nach dem Vorphysikum begegnete er einem Hochschullehrer, der ihn tief geprägt hat ihm zum Freund wurde: Kurt Alder, Professor für Chemie an der Kölner Universität. Schon beim ersten Vorlesungsbesuch war der Student von dem Wissenschaftler, der 1950 den Nobelpreis für Chemie erhalten sollte, gefesselt. „Er war ein Idol für mich, ich habe keinen so verehrt wie ihn.“

Uhlenbruck wechselte zur Biochemie, wurde 1955 mit „summa cum laude“ promoviert und nach einem Jahr Assistent am Physiologisch-Chemischen Institut, an dem er bereits für seine Dissertation gearbeitet hatte. Die Blutgruppenforschung wurde für ihn zum „Wendepunkt, mich ganz der Wissenschaft zu widmen“, sagt er. 1960 ging er nach England, arbeitete am Lister Institute of Preventive Medicine in London und an der Universität Cambridge. In dieser Zeit lernte er seine Frau Kathrin kennen, die auch aus Köln stammt; noch in England heirateten sie.

Leiter am Max-Planck-Institut

1961, zurückgekehrt nach Köln, „stand ich vor dem Nichts“: Die Assistentenstelle war anderweitig besetzt. Allerdings behagte Uhlenbruck das, was er „autoritäres System“ der Universität nennt, ohnehin nicht. Die gewünschte Freiheit als Wissenschaftler fand er am Max-Planck-Institut für Hirnforschung; 1963 übernahm er die Leitung der neu eingerichteten Abteilung Biochemie und Tumorimmunologie, ein Jahr darauf habilitierte er sich, 1968 wurde er ordentlicher Professor.

Fasziniert beschäftigte er sich mit dem Wechselspiel zwischen Gehirn und Immunsystem: „Diese Beziehung habe ich als einer der Ersten hergestellt.“ Inzwischen war er Vater von drei Kindern. Wenn er davon spricht, dass sein Vater 18 Enkel hatte, er selber dagegen keinen einzigen, wird er mit einem Schlag traurig: „Die Rechnung geht nicht auf.“ Es klingt, als wäre die ganze Lebensbilanz in Frage gestellt.

Boxen als Hobby

In dieser Bilanz nimmt der Sport großen Raum ein. Schon als Gymnasiast kam Uhlenbruck mit dem Boxen in Berührung. Er solle „sich nicht das Gehirn rausboxen lassen“, warnte der Vater. Der Sohn ließ sich nicht davon abbringen, trug später öffentliche Kämpfe aus, ging meistens als Sieger hervor; einmal stand er mit Peter „die Aap“ Müller im Ring. „Vorher war ich das schwächliche kleine Würstchen. Als eine Zeitung schrieb, dass ich jemanden k. o. geschlagen hatte, hatte ich endlich Respekt.“

War das Boxen wichtig für das Selbstbewusstsein, so diente das Laufen der körperlichen Gesundheit. Ein Arzt, der bei Uhlenbruck eine Lungenkrankheit diagnostiziert hatte, riet ihm: „Wenn Sie überleben wollen, müssen Sie laufen.“ Und das tat er unermüdlich, im Sanatorium, an der Themse oder am Decksteiner Weiher. Mehr als 30 Marathonläufe hat er, zu dessen Auszeichnungen der Titel „Deutscher Marathonmeister der Ärzte“ zählt, absolviert.

Prävention durch Sport

Als Gastdozent an der Deutschen Sporthochschule und an der Fußball-Trainerakademie in Köln machte er sich für die Prävention durch Sport und die Lauftherapie stark. Als Mitiniator von „Sport in der Krebsnachsorge“ hat er 1995 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse bekommen.

Zur Bilanz gehört die jahrzehntelange Freundschaft mit dem Ostberliner Rechtsmediziner Otto Prokop. Der nahm 1960 Kontakt zu Uhlenbruck auf, weil beide in dieselbe Richtung forschten. Daraus erwuchs eine Zusammenarbeit, die ihren Niederschlag etwa im gemeinsam verfassten „Lehrbuch der menschlichen Blut- und Serumgruppen“ fand. 

Häufig war Uhlenbruck zu Gast in Ostberlin; 1987 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR. Es kam vor, dass die Grenzer aus Respekt vor ihm salutierten, „da bekam ich ein Gänsehautgefühl“. Nicht nur wegen seiner Kontakte in Ostdeutschland stand Uhlenbruck im Ruf, „Kommunist“ zu sein. Die „soziale Frage“ habe ihn früh interessiert, sagt er, von Marx und Engels habe er viel gelesen, und bis heute halte er, der bis zur Kölner Spendenaffäre Mitglied der SPD war, daran fest, das Eigentum müsse „gerecht verteilt“ sein. „Das ist eine Schwärmerei, die vergeht“, habe er als Jugendlicher von den Eltern wegen seiner politischen Ideen zu hören bekommen; mit einem Anflug von Trotz ergänzt er: „Die Schwärmerei ist aber nicht vergangen.“

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„Meine Mitmenschen haben mich so oft zum Narren gehalten, dass ich mich inzwischen selber für einen Narren halte: Vielleicht habe ich mit Rücksicht auf andere zu vorsichtig gelebt“, schreibt er im 2018 herausgekommenen Band „Gedanken-Spiele“, in denen er in Form von Aphorismen „Betrachtungen eines abgelaufenen Lebens“ anstellt. Ist damit die lange Liste seiner Publikationen abgeschlossen? „Nein“, sagt er, „das ist nicht das letzte Buch.“

Zum 90. Geburtstag von Gerhard Uhlenbruck findet am Samstag, 22. Juni, im Kino Odeon, Severinstraße 81, eine öffentliche Veranstaltung mit Lesungen, Musik und Gesprächen statt. Erwartet werden Gäste aus der Wissenschaft, der Literatur, dem Sport und der Stadtpolitik. Beginn ist um 12 Uhr, der Eintritt ist frei.

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