Bürgersteig, Bus, BahnstationDer alltägliche Kinderwagen-Hindernislauf durch Köln

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Gehweg zugeparkt? Mit Säuglingen bleibt da oft nur der Umweg über die Fahrbahn.

Gehweg zugeparkt? Mit Säuglingen bleibt da oft nur der Umweg über die Fahrbahn.

Köln – Haltestelle Geldernstraße/Parkgürtel. Mitte Februar. Der Wind schlittert durch den U-Bahn-Schacht wie ein scharfer Eiskratzer über zugefrorene Scheiben. Meine kalten Finger krallen sich um die Schiebestange des Kinderwagens, in dem mein Baby friert. Schnell in den Aufzug und nach oben. Ein paar Schritte, dann sind wir im Warmen.

Ohne Aufzug sind Kinderwagennutzer in U-Bahn-Stationen gefangen.

Ohne Aufzug sind Kinderwagennutzer in U-Bahn-Stationen gefangen.

Denke ich. Stimmt aber nicht. Denn als ich auf den Aufzugknopf drücke, tut sich: nichts. Die Kabine hängt einen halben Meter über dem Boden. Ein untrügliches Zeichen: Der Aufzug ist defekt. Und wir sind gefangen. An der Rolltreppe kleben Schilder, die den Gebrauch mit Kinderwagen untersagen. Zu Recht. Ich habe es schon ausprobiert, und seither verbinde ich damit Kindstod-Phantasien. Die Treppe? Ist auch keine Alternative. Sie ist sehr lang und steil. Und der einzige Fahrgast, der mit mir in der Fliesenzelle ausharrt, ist betagt und stützt sich auf einen Rollator. Wir sehen uns stumm an und schwenken dann gleichzeitig unsere Blicke auf die elektronische Anzeigetafel. Die nächste Bahn ist unser einziger Ausweg. Sie kommt in 19 Minuten, weil die wirklich nächste in neun Minuten leider ausfällt, wie zu lesen ist. 19 Minuten auf und ab hüpfen gegen die Kälte. 19 Minuten „Der Kuckuck und der Esel“ singen, weil das den Baby-Sohn beruhigt. 19 Minuten dauern in so einem Fall Stunden.

Rückwärts die Treppe hoch

Wer mit einem Kinderwagen in der Stadt unterwegs ist, rammt gegen Hindernisse, die er vorher nie wahrgenommen hat. Von Autos und Rädern zugeparkte Gehwege, die einen zwingen, auf die Fahrbahn auszuweichen. Mehrstöckige Läden ohne Aufzug, die man unverrichteter Dinge und meist rückwärts wieder verlässt. Treppen auf Spazierwegen wie auf der Kölner Uni-Wiese, die man nur auf steilen, matschigen Rutschspuren umfahren kann, die Fahrräder in die Grasnarbe nebenan genagt haben. Cafés, die keinen Platz für Kinderwagen haben. Die schwer zu bewältigende Kombination aus Treppe und sich anschließender Tür, weil man Treppen nur rückwärts nach oben kommt und man sich deshalb am Ende gebückt und eingeklemmt mit dem Po an der geschlossenen Tür und den Wagenrädern über dem Abgrund schwebend befindet und in dieser Position nur risikoreich noch Türklinken hinter sich betätigen kann.

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Ohne Hilfe wird es gefährlich.

Ohne Hilfe wird es gefährlich.

Und haben Sie schon einmal versucht, mit einem schlafenden Säugling im Kinderwagen eine öffentliche Toilette zu nutzen? Nein? Ich erzähl Ihnen was. Da haben Sie die Wahl zwischen: Den Wagen mit Kind unbeaufsichtigt draußen stehen lassen. Oder mit dem Säugling auf dem Arm in die Kabine, Hose runterziehen, wieder hochziehen, Hände waschen. Ach. Es ist nicht unmöglich, aber doch nichts, was man weiterempfehlen kann.

Einkaufen? Knifflige Sache in Supermärkten, die nur Wagen bereitstellen, aber keine Körbe. Einen Säugling kann man nicht in den Wagen setzen, nur mit Auto-Babyschale auf den Wagen stellen, aber das nur dann, wenn man ein Auto hat. Denn Babyschale samt Kind zum Supermarkt schleppen und auf dem Rückweg noch die Einkäufe tragen – das hätte höchstens Arnold Schwarzenegger zu seinen besten Zeiten geschafft. Einkäufe in den Kinderwagen zum Baby legen? Auch nicht die beste Idee und zudem gar nicht erlaubt. Also geht nur eine Kombi aus Kinderwagen vor sich her schieben, Einkaufswagen hinter sich herziehen.

Slalom zwischen Auto, Roller und Poller

Slalom zwischen Auto, Roller und Poller

Man ist dann keine einkaufende Frau mehr, sondern ein Zug mit mehreren Waggons. Was – Sie ahnen es – nicht ideal korrespondiert mit den Gängen in manchen Märkten. Wir jedenfalls haben begonnen, uns weitgehend nur noch von Obst und Gemüse zu ernähren, weil der Zug regelmäßig im Gang mit den Konserven stecken bleibt und bis zu Fleisch, Milch und Eiern nicht mehr durch kommt.

Defekte Aufzüge

Der öffentliche Nahverkehr kam mir bislang immer relativ barrierefrei vor. Aber jetzt? Am Friesenplatz, der Haltestelle, die meiner Wohnung am nächsten liegt, gibt es schon mal keinen Aufzug. Fünf Bahnen kreuzen hier mitten in der Innenstadt. Und trotzdem ist die Haltestelle nur über Treppen oder Rolltreppen zu erreichen – für Kinderwagen also streng genommen nicht nutzbar.

Rolltreppen sind mit Wagen verboten ...

Rolltreppen sind mit Wagen verboten ...

Nächstes Jahr soll auch hier mit dem Bau von Aufzügen begonnen werden, sagt man mir bei den Kölner Verkehrs-Betrieben. Schließlich schreibt das Personenbeförderungsgesetz vor, „bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen“. Theoretisch. Denn praktisch weiß man bei der KVB schon heute, dass dieses Gesetz nicht eingehalten werden kann. Mit der Stadt Köln sowie Behindertenverbänden und Seniorenbeauftragten einigte man sich deshalb laut KVB auf einen „Prioritätenplan“. 14 Haltestellen stehen da schon heute unter der Rubrik „Realisierung nach 2022“. Verzögerungen nicht einberechnet. Weil ich mich darüber nicht informiert hatte, stand ich einige Tage nach der Geburt unter dem Friesenplatz und schob den Wagen auf und ab. Ich tigerte auf und ab.

... Treppen nur schwer zu bewältigen.

... Treppen nur schwer zu bewältigen.

Bis ich meine postnatalen Panikhormone soweit runtergekocht hatte, dass ich mich regelwidrig auf die Rolltreppe wagte. Natürlich hätte ich auch weiterfahren können bis zum Rudolfplatz. Dort hätte mich ein Aufzug samt Kinderwagen an die Oberfläche gezogen – vorausgesetzt er wäre nicht defekt gewesen. Welche Aufzüge kaputt sind, steht auf der KVB-Internetseite. Im Schnitt der vergangenen fünf Tage waren das täglich acht Stück.

Zu breit für den Bus

Ich habe an der Haltestelle Neusser Straße übrigens doch nur fünf Minuten gewartet. Dann habe ich versucht, den Kinderwagen selbst nach oben zu hieven. Anders als Rollstuhlfahrer bin ich dazu ja immerhin theoretisch in der Lage. Praktisch ist es doch einigermaßen halsbrecherisch. Man muss dazu rückwärts die Treppe hochgehen und dabei sehr gebückt knapp zwanzig Kilo hinter sich herziehen. Und gleichzeitig so behutsam die Treppenstufen abfedern, dass das Kind sich nirgends anstößt. Nach 15 Stufen trabte glücklicherweise ein sportlicher Mann die Treppe herunter und packte ungefragt an.

Als zweifache Mutter weiß ich: Es ist vieles besser geworden. Immerhin die Busse mit Treppen, deren Einstiege durch Mittelgeländer in zwei so enge Teile zerschnitten wurden, dass Kinderwagen keinesfalls durchpassten, scheint es im Verbreitungsgebiet „nur noch in Ausnahmefällen“ zu geben, wie man beim Busunternehmen versichert, das den Verkehrsverbund Rhein-Sieg mit gut 300 Fahrzeugen ausstattet. „Weitestgehend fahren wir mit Niederflurbussen, die sich absenken lassen.“ Vor 13 Jahren, als ich mein erstes Kind schob, waren solche Busse längst nicht flächendeckend unterwegs. Ich wohnte in Moitzfeld, Bergisch Gladbach. Dort gab es nicht viel, was eine junge Mutter hätte interessieren können. Außer einem Drogeriemarkt, aber man kann sich auch nicht jeden Tag das Lippenstiftsortiment ansehen. Der Bus nach Köln sollte der Ausweg sein. Der kam zwar, es gab auch willige Mitfahrer, die mit mir den Wagen hochgetragen hätten, allerdings versperrte ein eben beschriebenes Mittelgeländer in beiden Türen den Weg für mich ins Innere. Wir hatten keine Chance. Wir waren einfach zu breit.

Der Fahrer verwies mich auf den nächsten Bus, der behindertengerecht ausgestattet sei. Einziger Haken, der mich fast zum Heulen brachte: Dieser Bus und alle weiteren seiner Bauart fuhren gar nicht nach Köln. Sondern nach Leverkusen.

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