Kölner ErfindungWarum ein Landwirt einen Riesenstaubsauger entwickelte

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In der Erntemaschine steckt viel technisches Knowhow.

In der Erntemaschine steckt viel technisches Knowhow.

Esch – Landmaschine zu sagen, das klingt eher untertrieben. Sie hat fast etwas von einer Stahlskulptur. Monatelange Tüftelei, handwerkliches Können und jede Menge Kreativität waren nötig, bis sie einsatzbereit war. So mancher Spaziergänger, der im Sommer auf Feldwegen rund um Esch unterwegs war, wunderte sich: Ein Ungetüm von Maschine, bestehend aus Rohren, Trichtern und Saugdüsen, kroch mitten durch ein Blumenfeld. Der Koloss blieb in den freien Ackerrillen, walzte nichts platt. Es handelt sich um einen Samensauger.

Derzeit steht er im Hof von Bauer Courth an der Griesberger Straße, mit mehr als vier Metern Höhe. Marke Eigenbau, ein Unikat, selbst konstruiert. Da die Erntesaison zu Ende ist, ist auch der Sauger in der Winterpause. Seine erste Bewährungsprobe habe er bestanden, sagt Martin Courth (32).

Manche Flächen werden mehrmals täglich abgesaugt

Die Materie, für die der Sauger eingesetzt wird, ist von solch zarter Beschaffenheit, dass das im krassen Gegensatz steht zu seiner klobigen Gestalt: Er fängt Samenfäden ein, sogenannten fliegenden Samen, der sich als Schirmchen von der Blüte löst und fortsegelt, vom Wind getragen.

Am bekanntesten ist der Löwenzahn, der sich auf diese Weise weiterverbreitet. Doch auch andere Wildpflanzen wie der Wiesenpippau pflanzen sich mittels fliegendem Samen fort. „Eine Blumenwiese ist wie ein Teppich, manche Flächen werden mehrmals täglich abgesaugt, die meisten bis zu zehn, zwölf Mal pro Saison“, erklärt Courth.

Der Landwirt entwickelte die Maschine mit seinem Werkstattleiter Georg Schauten. Ein Jahr lang planten sie, die Bauzeit betrug etwa vier Monate, 60.000 Euro verschlang die Konstruktion. Als Basis dient ein Hochradschlepper. Aufmontiert sind ein Gebläse und zwei Zyklonfilter, von denen gehen nach beiden Seiten überdimensionale Schläuche ab. Vorne münden sie in zwei Saugdüsen – die haben dieselbe Form wie bei einem normalen Staubsauger, sind nur deutlich größer.

Ausbreitung zugewanderter Pflanzen stoppen

In großem Stil baut Courth heimische Wildblumen an – um deren Samen zu gewinnen. Den verkauft er in ungereinigtem Zustand weiter an seinen Auftraggeber, die Rieger-Hofmann GmbH mit Sitz in Blaufelden-Raboldshausen im Norden von Baden-Württemberg. Das Unternehmen ist als Samengroßhandel spezialisiert auf Wildpflanzen und Wildgräser aus regional gesicherter Herkunft.

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Um die Ausbreitung zugewanderter Pflanzen (invasive Neophyten) zu stoppen, schreibt das Bundesnaturschutzgesetz seit 2009 vor, dass Samenmischungen für die freie Landschaft aus regionaler Herkunft stammen müssen. Deutschlandweit sind 22 Ursprungsgebiete festgelegt sowie acht Produktionsräume. Das bedeutet, dass ein Samenproduzent wie Courth sich auf heimische Wildpflanzen beschränken muss. Das diene der Artenvielfalt, weil heimische Tierarten damit ihre Lebensgrundlage behielten, sagt Courth und nennt das Beispiel der Wildbiene: „Wir haben in Deutschland ungefähr 350 Wildbienenarten, viele sind gefährdet, weil sie sich nur von einer bestimmten regionalen Wildpflanze ernähren.“

Im Landschafts- und Gartenbau sind Wildpflanzen zudem immer stärker gefragt, etwa wenn nach einer Sanierung Brachgelände rekultiviert wird, ebenso bei der Ansaat von Blühstreifen an Straßen, auf Verkehrsinseln, bei Dachbegrünungen oder zur Umwandlung von Rasenflächen in Blumenwiesen.

25 Wildpflanzenarten auf 23 Hektar

Seit mehr als 60 Jahren sind die Courths in Esch ansässig, im vergangenen Jahr übernahm Martin Courth den Hof von seinem Vater. Es ist ein Betrieb mit 50 Mitarbeitern, mit unterschiedlichen Bereichen, auf gut 200 Hektar wird Ackerbau betrieben, werden Raps, Weizen, Rüben angebaut. Weitere Standbeine sind der Garten- und der Landschaftsbau. Jüngster Geschäftszweig seit 2012 ist die Produktion von Wildpflanzensamen.

Es war ein Zufall, wie es dazu kam, berichtet Martin Courth: „Wir haben im Naturschutzgebiet Pflegemaßnahmen durchgeführt, da war der Betreuer da, Christian Chmela, wissenschaftlicher Leiter der Biologischen Station in Bonn, er fragte, ob wir nicht Blumen anbauen wollen.“

Es traf sich, dass Courth noch im Gartenbaustudium war, er schrieb seine Masterarbeit über das Thema. Es ging los mit der Ackerwitwenblume auf 400 Quadratmetern, die Samen wurden in Handarbeit geerntet, das dauerte vier Wochen. So ließ sich nicht effizient wirtschaften, es musste ein geeigneter Mähdrescher her. Anfangs habe er viel Lehrgeld zahlen müssen, sagt Courth. „Ich muss alles selbst herausfinden, es geht immer etwas schief, das ist aber auch das Spannende dabei, dass man ständig experimentieren muss.“

Mittlerweile baut Courth auf 23 Hektar 25 Wildpflanzenarten an, darunter Mohn, Kornblume, Margerite, Löwenzahn, Schafgarbe, Sauerampfer, wilde Möhre, kleiner Odermennig, Wiesenbärenklau, Wiesenplatterbse und die Vogelwicke. Große Probleme bereitete lange Zeit die Ernte von fliegendem Samen – vier Wildblumenarten aus dem Sortiment pflanzen sich so fort. Doch beim Dreschen flogen die Schirmchen davon oder verstopften die Maschine. Die Lösung ist der Samensauger.

Woher stammen die Ausgangssaaten? „Ich muss selbst hingehen und in der Natur sammeln“, so Courth. Weil aber Wildpflanzen unter Schutz stehen, ist jedesmal eine Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde notwendig. Und was sagen andere Landwirte zu dem Produktionszweig? „Ich höre öfter Kommentare wie: Du baust das an, was wir aus unseren Feldern rausspritzen.“ Ein Nachbar habe angesichts der Saugermaschine den Kopf geschüttelt: „Was ist hier los? Haben wir schon Karneval?“ Da lacht Martin Courth vergnügt.

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