Rizin in ChorweilerPlante Sief Allah H. aus Frust einen Anschlag in Deutschland?

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Ein BKA-Beamter im Schutzanzug auf einem Balkon des Hauses in Chorweiler, in dem Rizin gefunden wurde.

Ein BKA-Beamter im Schutzanzug auf einem Balkon des Hauses in Chorweiler, in dem Rizin gefunden wurde.

Köln – Fotografen und Kameraleute harren am Freitag vor den Flatterbändern aus. Anwohner und Schaulustige umkreisen das Haus an der Osloer Straße. Auf einigen Balkonen wehen Deutschlandfahnen, auf einigen stehen Menschen und gucken bei der Durchsuchungsaktion zu.

Im Gegensatz zu dem Riesenauftrieb der Einsatzkräfte drei Tage zuvor verläuft die Maßnahme eher geschäftsmäßig: Beamte des Bundeskriminalamts (BKA), begleitet von Gift- und Kampfstoffexperten der Analytischen Taskforce der Feuerwehr und des Robert-Koch-Instituts, steuern das Wohnsilo in Chorweiler an.

Bei der Festnahme des Terrorverdächtigen Sief Allah H. am Dienstag fand sich ein Schlüssel, der außer zu  seinen beiden Wohnungen zu acht weiteren leerstehenden Objekten passt. Dort suchen die Ermittler nach  Spuren. Ob sie diese gefunden haben, war bis zum Freitagabend nicht klar.

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Reul: „Neue Qualität der Gefährdung durch islamistische Extremisten“

Wie es scheint, steht der 29-jährige Tunesier für eine neue, erschreckende Stufe islamistisch motivierter Attacken: Tag um Tag erhärten sich Anhaltspunkte, dass der radikale Muslim einen Anschlag mit einer Art Biobombe plante, die im Kern das hochtoxische Gift Rizin freisetzen sollte.

Nur ein paar eingeatmete Partikel reichen aus, um den qualvollen Tod eines Menschen herbeizuführen. Bereits bei der ersten Razzia fanden sich Grundmittel wie Rizinsamen zur Giftproduktion von bis zu tausend toxischen Dosen. Auch entdeckte das BKA eine Paste mit Rizin.

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Am Dienstagabend gab es in Köln-Chorweiler einen Großeinsatz der Polizei.

Auch deshalb spricht NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) von einer „neuen Qualität der Gefährdung durch islamistische Extremisten“. Wie bei einem Puzzle suchen die Staatsschützer nach den entscheidenden Bausteinen, die einen dringenden Tatverdacht wegen der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat belegen.

Seit 2016 im Blickfeld des Verfassungsschutz

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ geriet der Verdächtige bereits ein halbes Jahr nach seiner Einreise im November 2016 ins Blickfeld des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Grund waren seine vergeblichen Ausreiseversuche nach Syrien oder dem Irak zur Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS).

Inzwischen gehen die Strafverfolger davon aus, dass Sief Allah H. sich aus Frust über sein gescheitertes Vorhaben zu einem Anschlag in Deutschland entschloss. Justizkreise stufen den Endzwanziger bereits intern als operative Kraft des IS ein.

Schon in seiner Heimat war er den Behörden als militanter Muslim aufgefallen. Über Facebook hatte er die 16 Jahre ältere deutsche Konvertitin Yasmin kennengelernt. H. siedelte nach Köln über, die beiden heirateten nach islamischem Recht. Die Frau brachte vier Kinder aus mehreren Beziehungen in die Ehe mit.

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In diesem Hochhaus in Köln-Chorweiler wurde am Dienstagabend ein Mann festgenommen.

In der Folgezeit soll H. unter anderem durch dschihadistische Kommentare via Facebook aufgefallen sein. Ob er Kontakte zu hiesigen radikalen Zirkeln unterhielt, ist nicht bekannt. Fakt ist, dass die NRW-Stellen den Mann nicht kannten, da sie nicht in die BfV-Operation eingebunden waren. H. tauchte weder in der landesweiten Gefährderdatei auf, noch registrierte man ihn als sogenannte „Relevante Person“ – die zweite, etwas niedrigere  Einstufung für Islamisten.

Leitfaden des IS zur Giftherstellung

Zeitgleich aber observierten die Verfassungsschützer des Bundes die Zielperson. Mitte Mai 2018 schließlich begann H. alle Utensilien zur Herstellung von Rizin einzukaufen: Über einen Onlinehändler orderte er 1000 Rizinussamen, und schaffte es in den vergangenen Wochen, den Giftstoff herzustellen. Bei der Fertigung folgte er einem Leitfaden des IS. Auch sollen Substanzen zum Bombenbau gefunden worden sein.

Der Fall beweist einmal mehr, wie einfach und billig es ist, sich übers Internet mit allen möglichen Stoffen für Terrorakte einzudecken. Fünf Körner Rizinus kosten 1,59 Euro. Vor dem Erwerb der Samen aus dem sogenannten Wunderbaum warnt im Netz ein kleiner Hinweis: „Vorsicht! Die hübsch gezeichneten, käferartigen Samenkörner sind sehr giftig.“ Eine leicht verharmlosende Darstellung der Folgen. Gehört doch das Produkt aus den Samen, Rizin, zu den gefährlichsten Giften in der Welt.

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Mitarbeiter der Analytischen Task-Force (ATF) auf dem Weg zum Tatort.

Seit Jahren bemängelt die hiesige Terrorabwehr die laxen Kontrollen von Online-Anbietern wie Amazon beim Verkauf von risikoreichen Substanzen: Wie leicht selbst Jugendliche sich die Mittel zum Bombenbau verschaffen können, dokumentiert der Anschlag von drei jugendlichen Islamisten auf den Essener Sikh-Tempel, bei dem drei Menschen verletzt wurden. Einer der Attentäter, Tolga I., damals 17, prahlte gegenüber einem V-Mann des LKA NRW sogar, wie einfach es sei, eine Bombe zu bauen. Alle Zutaten hatte er sich problemlos im Internet oder im Baumarkt beschafft. 

Wunderkerze als Zündschnur

Meist reicht ein Klick, um sich die neuesten Anleitungen für Terrorakte herunterzuladen: So erkundigte sich  der Berliner Attentäter Anis Amri in einem arabischen Blog  über einfachste Verfahren zur Herstellung von Sprengstoff. Zudem informierte er sich im Netz über den Bau einer Rohrbombe.

Kürzlich erst schilderte ein 14-jähriger IS-Anhänger aus Ludwigshafen in einem Terror-Prozess, wie er lernte, eine Bombe zu bauen. „Ich habe mich schon mit neun Jahren damit beschäftigt.“ Als er Jahre später dann versuchte,  auf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen eine Nagelbombe zu zünden, funktionierte das nicht. Die Zündschnur fehlte. „Wurde mir nicht verkauft“, sagte der Schüler. „Hatte keinen Ausweis. Deswegen hab ich Wunderkerzen genommen.“ Die aber brannten nicht vollständig ab.

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