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Spaziergang durch Köln-ChorweilerTV-Moderator Amiaz Habtu zeigt sein altes Veedel

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Amiaz Habtu ist in Chorweiler groß geworden, sein Vater engagierte sich aktiv im Viertel. Noch heute hat Habtu hier Freunde von früher.

Chorweiler – „Wie klein die Straße jetzt aussieht. Hier habe ich mit fünf oder sechs Jahren Fahrrad fahren gelernt. Damals schien sie mir endlos.“ Amiaz Habtu steht in der Okerstraße am Rande von Chorweiler-Nord, im Rücken die Wohnblocks, in denen seine Familie Anfang der 80er Jahre die erste eigene Wohnung in Köln fand. Links und rechts der Straße erstrecken sich Pferdekoppeln und bunt belaubte Bäume. Habtu ist groß, schlank, sportlich. Dank College-Jacke und Brille hat er etwas von einem amerikanischen Studenten. „ Die Bäume waren damals noch sehr klein. Wir konnten praktisch bis Leverkusen schauen“, erinnert sich Habtu, dessen Familie 1979 vor dem Regime in Eritrea fliehen musste. Sein Vater war dort im Widerstand aktiv. Über den Sudan floh der damals Zweijährige mit den Eltern und zwei älteren Geschwistern nach Deutschland. In Chorweiler bekam er noch eine kleine Schwester.

„Der dritte Balkon dort, da haben wir im Winter immer Schneebälle hochgeworfen, und dahin habe ich mich geflüchtet, als mein großer Bruder und andere Kinder aus dem Haus an einem Silvesterabend auf der Straße Kracher zündeten. Weil es mir zu laut war, habe ich von oben zugesehen“, erinnert sich der heute 41-Jährige, der sich vom Flüchtlingskind zum erfolgreichen Moderator mit Wiedererkennungswert gebracht hat –eine echte Vom Tellerwäscher-zum-Millionär-Story?

Amiaz Habtu, der als Moderator der Vox-Show „Höhle-der Löwen“ regelmäßig angehende Unternehmensgründer und ihre Ideen präsentiert, findet eine andere Metapher passender: „Ich bin mein eigenes Start-up. Ich habe immer an mich geglaubt und in mich investiert. Ich bin mein eigenes Produkt.“ Als seine kleine Schwester von der Grundschule aufs Gymnasium wechselte, da ging er, der Gesamtschüler, einfach mit. „Ich wollte eine neue Herausforderung.“ Im Sekretariat des Gymnasiums Weiler, wie das Heinrich-Mann-Gymnasium am Fühlinger Weg in Volkhoven-Weiler damals hieß, machte man ihm gleich wenig Hoffnungen, als er dort sein Achte-Klasse-Zeugnis präsentierte: „Von diesen Noten kannst du dich schon mal verabschieden.“

Am Ende kam er nicht brillant, aber doch sehr komfortabel durch. Abi 1997 mit einem Noten-Schnitt von 2,6. Sein Entertainer-Talent fiel schon damals auf: „Ich war der Pausenclown, wollte immer alle unterhalten, das habe ich von meinem Vater, der war genauso. “ Zum Beispiel als er die Familie zum Kaffee und Kuchen essen in ein Lokal einlud. „Wir waren die einzigen Schwarzen da, mein Vater machte einen Witz nach dem anderen und mir war das nur peinlich, aber für ihn war es der Weg zur Integration. So wurden wir zu Spaziergängern und Kaffee-und-Kuchen-Fans.“

Habtu erinnert sich an seinen Vater vor allem als an einen Kämpfer. „Er war ein Fighter.“ In Eritrea schon politisch engagiert, setzte er seine Arbeit in Köln fort. Lernte im Eiltempo Deutsch, fand einen Job bei einer Versicherung, trat in die SPD ein, engagierte sich bei der Selbsthilfe Chorweiler. Den Kampf gegen eine schwere Krankheit verlor Habtus Vater jedoch im Juli dieses Jahres im Alter von 76 Jahren. Amiaz sah ihn zuletzt wenige Tage vor seinem Tod auf der Intensivstation. Eine Nachbarin aus alten Tagen lag ebenfalls dort. „Ich glaube nicht an Zufälle, ich bin überzeugt, dass sie ein Engel war und ihn mitgenommen hat.“ Auch die Nachbarin war todkrank und starb am gleichen Tag. Der Vater war für Habtu Ansporn und Korrektiv zugleich. „Ich wollte ihm etwas zurückgeben. Die Flucht aus seiner Heimat sollte nicht umsonst gewesen sein. Darum studierte er ihm zuliebe BWL, finanzierte sich das Studium aber schon mit Moderationsjobs. Als Hallensprecher bei den Basketballern der Köln 99ers fing er an, später landete er als Warm-Upper bei verschiedenen TV-Shows. „Da merkte ich, das will ich machen, aber nicht nur hinter den Kulissen.“ Inzwischen moderiert Amiaz Habtu schon die fünfte Staffel der Erfolgs-Show Höhle der Löwen auf VOX.

Auf dem Platz vor dem City-Center trifft Habtu auf Atakan Atav, einen Freund aus alten Tagen. „Weißt du noch, wie uns der Sepp Auhuber damals immer zum SV Wacker Köln Merkenich gefahren hat?“ Damals gab es noch keinen Fußballverein im Ort, aber den engagierten Exil-Bayern, der die Kids zum Training kutschierte und schon mal neue Schienbeinschoner spendierte. In Choweiler selbst wurde auf dem Bolzplatz an der Elbe-Allee gekickt. „Wir spielten immer Schnickschnackschnuck darum, wer zum Kiosk gehen musste, um dieses Zehn-Cent-Stangen-Wassereis zu holen.“

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Atav und Habtu schwelgen eine Weile in Erinnerungen an eine Kindheit, die weitgehend draußen stattfand. Oder bei Freunden. „Wir hatten ja keine Handys, man traf sich einfach, sprach miteinander, hing noch nicht vor dem Computer“, sagt Atav. Die Kinder heute hätten es durch die Reizüberflutung in Gestalt von Internet und sozialer Medien viel schwerer, sich ihre Ungezwungenheit zu erhalten. „Die denken heute schon nur an ihre Instagram-Accounts und wollen Influencer sein“, glaubt Habtu. „Zu meiner Zeit war Influenza noch eine Krankheit.“

Habtu hat zwar einen Instagram-Account, ist aber nicht jeden Tag online. „Weil ich keine Zeit habe, ständig etwas zu posten. Für mich ist der direkte Kontakt zu den Menschen da draußen wichtig, aber ich muss nicht jeden Moment in meinem Leben teilen.“ Streetcredibility nennt man das wohl heute. Und diese „Straßen-Glaubwürdigkeit“ hat Amiaz Habtu sich sicher verdient – nicht zuletzt dank seiner Kindheit auf den Straßen und Plätzen von Chorweiler-Nord.

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