Urlaub in der eigenen StadtLändliches Idyll und ewige Baustelle in Köln-Merkenich

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Blick auf die Merkenicher Hauptstraße

  • Urlaub in der eigenen Stadt ist in diesem Jahr besonders gefragt. Unsere Reporter stellen während der Sommerferien Kölner Veedel vor – solche, die sie besonders gut kennen und solche, die sie schon immer mal besuchen wollten.
  • Wir schildern, was wir schön finden, wo es besonders lecker ist und verraten unsere Lieblingsplätze, natürlich ganz subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
  • Diesmal geht es nach Merkenich, wo es fast so etwas wie ländliche Idylle gibt.

Köln – Bei einer Tour entlang des linken Rheinufers im Kölner Norden wird schnell klar, warum die Stadt im Vergleich zu ihrer Größe doch recht wenige Einwohner hat. Zwischen den Dörfern im Norden Merkenichs fährt man teils kilometerweit durch Felder und Gewerbegebiete – wie an so vielen Orten in Kölns Peripherie.

Die Äcker sind die Lebensgrundlage für Landwirte wie Daniel van Balsfort. Etwa 100 Felder bewirtschaftet er in Köln, viele davon im Niemandsland zwischen Rheinkassel, Langel, Worringen und Fühlingen. Zucker, Raps, Mais, Wintergerste, Hafer und Kartoffeln (Anabelle und Glorietta) pflanzt der freundliche Bauer an. In fünfter Generation, wie er sagt. Während der Mais in eine Biogasanlage kommt, verkauft van Balsfort vieles auch im Hofladen, wie es sie hier reichlich gibt.

Unweit der Rapsfelder ist Kölns nördlichste Rheinquerung. Die Fähre verbindet Langel mit Leverkusens nordwestlichstem Stadtteil Hitdorf. Vier Minuten dauert die Überfahrt – und ist zumindest für Fußgänger und Radfahrer deutlich angenehmer als auf der Dauerbaustelle Leverkusener Rheinbrücke dreieinhalb Kilometer flussaufwärts. Für 1,20 Euro als Fußgänger und 3,20 Euro für Auto samt Insasse ist die Fahrt auch einigermaßen erschwinglich. Die Fähre, die an 362 Tagen von morgens bis abends verkehrt, nimmt auch Lkw und Busse bis 32 Tonnen mit, für die die Brücke gesperrt ist. Und wem die Wartezeit zu lang ist – alle 15 Minuten ist jeweils Abfahrt – kann sich zumindest im Sommer an den Brombeersträuchen am Anleger erfrischen. Oder dem Plätschern des Rheinwassers zuhören.

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Das Ufer hinter dem Langeler Damm ähnelt mit seinen Buchten der Rodenkirchener Riviera oder den Poller Wiesen, aber mit etwas unspektakulärerem Ausblick. Sommerabende können hier trotzdem romantisch sein, wenngleich der Müll im Sand nervt.

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Ja, offiziell zählt das Örtchen Langel ebenso zum Stadtteil Merkenich wie Rheinkassel, Feldkassel und Kasselberg, auch wenn diese landläufig als eigene Veedel wahrgenommen werden. Was diese Orte verbindet, ist ihre Nähe zur Alten Römerstraße, die einst Köln mit Neuss und Xanten verband und heute immer noch so heißt. Nicht ganz so alt, aber trotzdem historisch sind die alten Häuser und Hofanlagen.

Kasselberg: Das kleinste Veedel Kölns

Direkt an der Alten Römerstraße sind aber auch die Vorboten der näheren Zukunft zu sehen. Kleine Tannenbäume, teils gerade mal hüfthoch, wachsen aus dem Boden. Die Edeltannen werden auch per Plakat beworben. Vom Spätherbst an dürften Tausende Kölner kommen, um ihr weihnachtliches Wohnzimmer zu verschönern.

Von der Römerstraße Richtung Rhein liegt der Ortsteil Kasselberg, der genau aus elf Häusern, zwei Bauernhöfen, einem Campingplatz und einer Gaststätte, dem Kasselberger Gretchen, besteht. Damit ist der Mini-Ort Kölns kleinstes Veedel. Der Name ist etwas irreführend, denn Kasselberg liegt nicht wirklich auf einem Berg, sondern direkt am Rhein, der dem Ort zwar etwas Entspanntes gibt, ihm aber immer wieder zusetzt. Ab einer Pegelhöhe von 8,30 Meter wird Kasselberg zur Insel und ist nur noch per Boot oder Hubschrauber zu erreichen. So wie im Januar 2018. Drohnenbilder zeigten damals elf vom Wasser eingeschlossene Häuser.

Ein paar Hundert Meter ins Landesinnere liegen die Ausläufer der Ford-Werke, die sich von Niehl auch hinter die A1 auf Merkenicher Gebiet erstrecken. Unweit der Endhaltestelle der KVB-Linie 12 betreibt der Autobauer einen „Klima-Windkanal“, in dem verschiedene Wetter-Extreme simuliert werden können, denen die Autos testweise ausgesetzt werden. Die Luft in Höhe von 5200 Metern wird hier ebenso simuliert wie extreme Luftfeuchtigkeit und Temperaturen von -44 bis +55 Grad. Ford selbst nennt Merkenich den „zugleich kältesten und heißesten Ort Westeuropas“. Mit ExxonMobil und Wacker haben auch große Chemiekonzerne hier ihre Werke.

Ärgernis Leverkusener Rheinbrücke

Ein sehr lauter Ort wird Merkenich, wenn nach Corona nebenan am Fühlinger See irgendwann wieder das Summerjam-Festival läuft. Aber auch sonst sorgt hier der Verkehr auf der A1 für genug Lärm. Die Anschlussstelle Niehl, an der man wegen der Baustelle irgendwie immer falsch abbiegt, liegt zur Hälfte auf Merkenicher Gebiet. Ebenso die Brücke selbst, die nicht nur für Wirtschaft und Pendler, sondern auch für Anwohner längst zum permanenten Ärgernis geworden ist. So nah wie an der Merkenicher Hauptstraße wohnen nur an wenigen Orten Kölns die Menschen so nah an einer Autobahn und an einer Großbaustelle gleichermaßen. Seit Jahren zerschneidet die Brückenbaustelle den Stadtteil, trennt Merkenich auch baulich von seinen Teilen im Norden ab.

Nahe der Brücke liegt der Kern Merkenichs mit der Pfarrkirche St. Brictius und deren freistehendem romanischen Turm aus dem 12. Jahrhundert. Vielerorts sind alte, dunkelrote Backsteinbauten zu sehen, auch Fachwerk. Naherholung vor der Tür bietet für alle Merkenicher die Rheinaue gegenüber dem Leverkusener Bayerwerk.

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