Christine Westermann im Gespräch„Wenn ich früher ein Schuss war, was bin ich jetzt?“

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Christine Westermann

Christine Westermann

  • Die Kölner Literaturkritikerin und Autorin Christine Westermann hat ein Buch über kleine und große Abschiede im Leben geschrieben.
  • Im Interview spricht sie über das Altern als Frau, zweifelhafte Angebote für Hämorrhoidensalbe-Werbung, aber auch über kölsche Sitten und den Karneval.
  • Über ihre Wahlheimat Köln sagt sie: „Ich halte diese Stadt für nicht regierbar.”
  • Aus unserem Archiv.

Köln – Frau Westermann, in Ihrem neuen Buch geht es um kleine und große Abschiede im Leben. Zum Beispiel den von der jugendlichen Schönheit hin zu einer Existenz mit Plisseeröckchen um den Lippenrand, wie Sie schreiben. Ist es unfair, dass dieser Abschied für Frauen schwererer ist als für Männer?

Unfair ist ein gutes Wort, weil nur bei Frauen die Äußerlichkeiten eine Rolle spielen. Mann mit Doppelkinn und Knautschgesicht jenseits der 60 geht locker als reif durch, eine Frau bekommt schon mal gleich das Etikett alt.

Ist der Abschied von der Schönheit ein großer Abschied oder sind es viele kleine?

Viele kleine, glaube ich. Das macht den Übergang sehr sanft. Es dauert eben eine Weile, bis man merkt: „Oh, kurzärmelig wird im Sommer jetzt schwierig, weil die Oberarme zu Chicken Wings mutiert sind.“ „Mann, warst Du früher ein Schuss“, hat mir neulich ein Freund gesagt, den ich viele Jahre nicht gesehen hatte. Naheliegende Frage von mir: Und was bin ich jetzt? Vor 40 Jahren war ich mir meiner Schönheit nicht bewusst. War sicher gut, vielleicht wäre ich arroganter, fordernder durchs Leben gegangen.

Im Fernsehen alt zu werden, ist oft den Männern vorbehalten. Haben Sie Glück gehabt?

Götz (Alsmann, Anm. der Red.) hat mal sehr schön gesagt: „Christine ist unter dem Altersradar durchgesegelt.“ Das stimmt: Man hat mich vielleicht zu wenig wahrgenommen, um festzustellen: Die ist schon über 60, also als Frau zu alt fürs Fernsehen. Und ich fand es völlig okay, in zweiter Reihe zu stehen, hinter Frank Plasberg, mit dem ich früher die „Aktuelle Stunde“ im WDR moderiert habe, oder hinter Götz Alsmann.

Das ist jetzt aber unnötig bescheiden formuliert.

Aber wahr. Bei „Zimmer frei“ war Götz definitiv der lautere, die Rampensau. Die Leute haben immer gedacht, dass die Westermann die ernste, die tiefgründige ist. Dabei habe ich Witz, aber eben den, der leise daherkommt und der gerne mit Naivität verwechselt wird. Ich gehe auch immer als gutmütige, sanfte Frau durch. Niemand würde glauben, dass ich ziemlich laut werden, brüllen kann. Wenn die wüssten, sagt mein Mann Jochen.

Zur Person und zur Serie

Christine Westermann wurde 1948 in Erfurt geboren und wuchs in Mannheim auf. Sie moderierte 20 Jahre lang – bis 2016 – mit Götz Alsmann zusammen die WDR-Sendung „Zimmer frei“. Seit 2015 ist sie als Buchkritikerin in der ZDF-Sendung „Das Literarische Quartett“ zu sehen. Ihr neues Buch „Manchmal ist es federleicht – Von kleinen und großen Abschieden“ ist jüngst beim Kölner Verlag „Kiepenheuer und Witsch“ erschienen und kostet 19 Euro. Westermann lebt mit ihrem Mann in Sülz.

In der Reihe „Wir müssen reden“ spricht die Redaktion mit Kölnern, die etwas zu sagen haben. Die Interview-Serie erscheint in loser Folge im Lokalteil. (sbs)

Bei Fernsehfrauen werden Optik und Garderobe öffentlich diskutiert. Welche Kommentare haben Sie verletzt?

Eher die inhaltlichen. Wenn Klarheit mit Schlichtheit verwechselt wird. Meine Buchempfehlungen zum Beispiel. Ich empfehle Bücher, schreibe keine Verrisse. Warum soll ich zwei Minuten von einem Buch erzählen, das mir nicht gefallen hat? Lieber zwei Minuten gescheit begründen, warum ich einen Roman unbedingt weiterempfehlen möchte. Und was Kritik an meinem Äußeren betrifft: Manchmal fand ich ja selbst unmöglich, was ich anhatte. Ich hatte nicht wirklich ein gutes Händchen für Klamotten. Mittlerweile habe ich Menschen, die mich beraten.

Ihr steigendes Alter haben Sie auch an dem zweifelhaften Angebot gemerkt, Werbung für Hämorrhoidensalbe zu machen. Da hilft nur noch Humor, oder?

Ja. Ich habe gelacht – und abgesagt. Aber natürlich fragt man sich, wie die jetzt gerade bei mir auf Hämorrhoidensalbe kommen. Auf jeden Fall interessant.

Für welches Produkt würden Sie gerne Werbung machen?

Es dürfte keine Mogelpackung sein. Was mich, glaube ich, ausmacht, ist meine Wahrhaftigkeit. „Nehmen Sie die Creme XY, die hilft gegen wabbelige Oberarme“, wäre nicht mein Ding. Weil ich weiß, dass es gelogen wäre. Werbung für edle, schöne Füller ginge schon eher. Oder für Brillen, weil ich ohne die nicht mehr auskomme. Weil klar ist: Diese Frau lügt nicht. Meine Authentizität ist schließlich das, was mich auszeichnet.

Älterwerden ist nicht nur eine Frage der Optik. Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass Sie bei Dreharbeiten lange hocken sollten – und wie schamvoll es war, dem Regisseur mitzuteilen, dass Sie das nicht mehr können. Warum fiel das so schwer?

In die Hocke gehen oder sich bücken ist nicht das Problem. Wieder hochkommen, das ist manchmal mühsam. Sich das selbst einzugestehen, nicht so zu tun, als sei alles noch in bester Ordnung, war erstmal nicht so einfach. Aber nicht jammern, sondern was ändern. Ich mache Pilates gegen die zunehmende Unbeweglichkeit, obwohl ich früher Bodenturnen immer blöd fand. Alt werden immer nur die anderen, habe ich gedacht, als ich jung war. Definitiv falsch.

Sie haben oft Unsicherheit verspürt, sich als nicht gut genug empfunden. Woher kommt dieses Gefühl?

Das kann ich nur vermuten. Muster und Glaubenssätze beginnen früh im Leben, zeigen sich in den kleinsten Dingen. Zum Beispiel zu denken, die Frau vom Stadt-Anzeiger, die mich gerade interviewt, findet sicher langweilig, was ich gerade erzähle. Dabei kann ich gar nicht wissen, was Sie gerade denken – halte meine Gedanken aber dennoch für die Wirklichkeit. Ich übe mich in Achtsamkeit – und Achtsamkeit bedeutet, wahrzunehmen, wie sich die Gedanken selbstständig machen und in Richtungen abdriften, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben. Die Realität ist: Frau auf Stuhl beantwortet Fragen. Mehr nicht. Meine Gedanken zu hinterfragen, ist für mich heute selbstverständlich. Achtsamkeit heißt freundlich wahrnehmen und ohne jede Wertung feststellen, dass man schon wieder seinen Gedanken geglaubt hat und nicht der Wirklichkeit. Seitdem ich das verstanden habe, löst sich das alte Muster „Ich bin nicht gut genug“ langsam auf.

Geholfen hat Ihnen ein dreijähriges Achtsamkeits-Training. Sie haben sogar ein Diplom darin erworben. Was war die wichtigste Lektion?

Zwei Dinge. Dass es gut ist, wie ich bin – und das ist ein langer Prozess. Und dass es nicht zählt, was in fünf Jahren ist, ob ich dann von anderen überholt werde, die keinen Rollator haben. Das Hier und Jetzt zählt. Der Moment. Frau auf Stuhl beim Interview.

Haben Sie Angst vor dem Tag, an dem Sie keine Sendung mehr haben?

Gute Frage. Schwer zu beantworten. Wichtig ist mir nicht, dass ich „eine Sendung habe“. Ich bin voller Freude und leiser Leidenschaft Journalistin und ich habe meinen ersten Artikel für den „Mannheimer Morgen“ geschrieben, als ich 16 Jahre alt war. Mit diesem Beruf aufzuhören, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber wie mein Achtsamkeitslehrer Georg immer sagt: Angst ist eine Projektion in die Zukunft. Keine Ahnung, was passiert, wenn es wirklich vorbei ist. Und Bücher kann man auch mit 104 noch empfehlen.

Sie leben und arbeiten schon so lange in Köln, dass man Sie als Kölnerin adoptiert hat. Dabei sind Sie in Mannheim aufgewachsen. Was mögen Sie an Ihrer Wahlheimat, und wofür tadeln Sie Köln?

Ein Taxifahrer in Hamburg hat neulich zu mir gesagt: Ich beneide Sie, dass Sie in Köln leben. Da sind die Menschen so freundlich. Das stimmt einfach. Ich mag auch den rheinischen Dialekt. Die Kehrseite? Biggi Wanninger von der Stunksitzung hat mal schön gesagt: „Aus einem Pisspott kannst du kein Mokkatässchen machen.“ Und Köln ist wahrlich kein Mokkatässchen. Ich kenne Henriette Reker ein bisschen, weil ihr Mann mein Golflehrer ist, und bewundere sie für die Mammutaufgabe, die sie übernommen hat. Ich halte diese Stadt für nicht regierbar.

Woran liegt das?

Vielleicht auch wieder an dieser eigentlich schönen kölschen Art. Es ist noch immer gut gegangen. Es kommt, wie es kommt. Wenn ich in meinem Viertel in Sülz die eine oder andere Straße mit Schlaglöchern runterfahre und habe Himbeeren im Fahrradkorb: Die können Sie abhaken, da kann man nur noch Milchshake draus machen.

Sie sind Dauerkarten-Besitzerin beim FC: Wie schwer fällt Ihnen der krachende Abschied von der Ersten Liga?

Einmal FC-Mitglied, immer FC- Mitglied. In guten und in schlechten Zeiten. Vielleicht ist die Zweite Liga aber auch gar nicht so übel. Da gewinnen wir vermutlich manchmal.

Von welcher kölschen Sitte würden Sie sich gerne verabschieden?

Dass an längst beendeten Baustellen der blöde rot-weiße Kram stehen bleibt und es ewig dauert, bis er weggeräumt wird. Das ist so typisch Köln. Ich weiß nicht, wie es in Viersen ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das in irgendeiner anderen Stadt so dramatisch schlecht läuft.

Sie lieben Karneval. Muss man sich von der ursprünglichen Idee dieser kölschen Tradition verabschieden, jetzt, wo vor allem Exzesse das Bild prägen?

Ich erinnere mich, dass der Karneval früher im Petersberger Hof, in dessen Nähe ich wohne, richtig gut war. Da hat man die Leute aus dem Veedel getroffen. Jetzt kommen nur noch Leute von außerhalb. Gegen die habe ich nichts, aber dass es nur noch darum geht, viel zu trinken, finde ich nicht gut. Karneval ist doch dann faszinierend, wenn man in der Kneipe steht und aus vollem Herzen singt. Keine Stadt hat so viele Lieder über sich selbst wie Köln. Das ist wunderbar. Dieses Gefühl geht gerade komplett verloren. Vielleicht dreht es sich ja wieder nach dem Motto: These, Antithese, Synthese. Ich hoffe nur, dass es nicht zehn Jahre dauert.

Sie lesen jeden Samstag die Todesanzeigen im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Warum?

Weil es erdet. Und ich kurz innehalte. Die Einschläge kommen übrigens näher. Jetzt sind schon die 1930er und 1940er Jahre dran. Ich bin Jahrgang 1948.

Haben Sie Angst vor Ihrem eigenen Abschied?

Ja, aber eine sehr diffuse. Es ist eher ein Bedauern. Ich lebe gerade so gern und möchte das noch lange tun. Wenn ich in der Zeitung lese, dass die neue Leverkusener Brücke vielleicht erst im Jahr 2040 fertig wird, denke ich: Mensch, das wirst du nicht mehr erleben. Dann komme ich ins Grübeln. Zumindest temporär.

Wo wollen Sie beerdigt werden?

Am schönsten fände ich es, wenn meine Urne auf dem Schreibtisch meines Mannes stünde. Oder, wenn ihm das zu nahe wäre: auf dem Bücherregal.

Welches Essen soll auf Ihrer Trauerfeier serviert werden?

Milchreis mit Zucker und Zimt, aber ein richtig guter. Mein Vater hat den Topf immer in ganz viel Papier eingepackt, dann in eine Wolldecke – und dann lag der vier Stunden lang in der Sofaecke. So einer muss es sein. Davor Wurstsalat mit Bratkartoffeln. Dazu Champagner.

Viele schmieden gerade Vorsätze fürs neue Jahr. Sie auch?

Nein. Aber wenn ich beim Friseur ein Jahreshoroskop sehe, lese ich es. Um kurzfristig daran zu glauben, vorausgesetzt, es ist gut. Moment! Einen Vorsatz habe ich doch für 2018. Ich hätte gerne mehr Zeit, möchte weniger machen und planen. Morgens aufwachen, an einem Mittwoch, und da ist nichts, ich bleibe mit Kaffee im Bett, lese den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und gucke mal, was sonst noch so passiert an dem Tag.

2017 war für Sie das erste „Zimmer frei“-freie Jahr für nach 20 Jahren. Was vermissen Sie?

Wenn ich interessante Menschen, Künstler, Schauspieler, Sportler, Politiker sehe, denke ich oft: Mist, mit dem würde ich gern mal eine Sendung machen. Ronald Zehrfeld zum Beispiel, den ich richtig gut finde, als Schauspieler und als Mann. Ich habe kein Beuteschema, aber wenn ich eins hätte, würde er absolut reinpassen. Oder ein Gast wie Ulrich Matthes, Ulrich Tukur. Aber das ist schon wieder ein Blick zurück. Das Jetzt ist so, wie es ist. Und mein Leben ist schön. Das ist das Gute am Älterwerden: Man merkt, was man alles hat.

„Manchmal ist es federleicht“ lautet der Titel Ihres neuen Buchs. Kann ein echter Abschied federleicht sein?

Ja. Aber meistens erst in der Rückschau. Nehmen Sie meinen Abschied von „Zimmer frei“. Drei Jahre vorher habe ich gesagt: Zur letzten Sendung komme ich nicht. Und der WDR-Redakteur war sich lange Zeit nicht sicher, ob ich es nicht wirklich ernst meine. Aber in den drei Jahren hatte sich meine Einstellung zum Abschied verändert. Ich habe verstanden, dass es gut ist, wenn man etwas loslässt. Götz Alsmann hat sehr schön gesagt: Es ist besser wie ein König zu gehen, als wie ein Köter vom Hof gejagt werden. Und für mich war es ein Geschenk zu erleben, dass die letzte Sendung nicht von Wehmut geprägt war, sondern von Stolz und Dankbarkeit, 20 Jahre „Zimmer frei“ gemacht zu haben.

Welcher Abschied war Ihr schwerster?

Ganz sicher der von meinem Vater, weil sein Tod völlig unerwartet kam. Da war ich 13, er ist innerhalb von wenigen Tagen gestorben. Wenn ich an die Zeit denke, fühlt es sich noch immer an wie eine emotionale Dunkelkammer. Erst als ich mein neues Buch geschrieben habe, ist mir klargeworden, wie viele schöne, federleichte Abschiede mein Leben auch hatte.

Das Interview ist am 28.12.2018 im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen.

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