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Clueso-Konzert in KölnZweieinhalb Stunden im Flugmodus

Lesezeit 4 Minuten
Clueso Imago 240922

Clueso auf der Bühne.

Köln – In den vergangenen Jahren keimte der Verdacht, die Musik von Thomas Hübner alias Clueso habe sich abgenützt. Einige der neueren Songs hören sich auf Streamingplattformen so an, als sei der 42-Jährige nach vielen Jahren des Erfolgs und Bekanntseins zu einer Kopie seiner selbst geworden – nach wie vor schön anzuhören, aber lange nicht mehr unverwechselbar. Ein bisschen beliebig. Zu viel Pathos und Schielen auf Charts, zu wenig Anarchie und Witz, für die der charismatische Sänger aus Erfurt mal bekannt geworden war.

Neues Album auf Hochglanz getrimmt

Clueso hatte in den vergangenen Jahren vor allem mit Features auf sich aufmerksam gemacht, 2018 zur Fußball-Weltmeisterschaft in Russland rappte er mit den Fantastischen Vier den netten Ohrwurm „Zusammen“, auf seinem 2021er Album (mit dem Titel „Album“) tat er sich mit Andreas Bourani für eine schwülstige Corona-Rückkehr-Hymne zusammen. Die Produktion war auf Hochglanz getrimmt, die Kollaborationen mit anderen Künstlern auf multiple Verwertbarkeit ausgelegt.

Und dann steht Clueso am Freitagabend auf der Bühne der Kölner Lanxess-Arena und zeigt knapp 8000 Menschen  zweieinhalb Stunden lang, dass der böse Verdacht nur ein Missverständnis war. Dass die Unterstellung ihm auch nicht gerecht wird. Weil Clueso zwar vor 20 Jahren mit seiner Mischung aus Rap und Singer-Songwriter-Nummern ein etwas freakiger Pionier war und das heute nicht mehr ist – er aber auch nie angetreten war um wie Dirk von Lowtzow („Tocotronic“) intellektuell den Zweifel zu besingen oder die Seelenlosigkeit der Postmoderne.

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Es geht im um Musik, mehr nicht

Am Freitagabend um kurz vor 23 Uhr ist klar, dass es Clueso - Udo Lindenberg und Sing-Dein-Song-Shows hier, auf der Straße jammen und improvisieren da – weder um Mainstream geht noch um große Kunst - sondern ums Musik machen und Menschen unterhalten und Leben feiern.

Und dass er das so exzellent kann, dass mehrheitlich nicht mehr ganz so junge Menschen die Tribüne bedenklich zum Wackeln bringen und (vor allem Frauen) nach dem Konzert tanzend und singend vor den Toiletten feiern.

Clueso erinnert an musikalische Anfänge in Köln

„Es fühlt sich geil an, hier zu sein, mein geliebtes Köln“, sagt Clueso, als er um 20.30 Uhr in Blumenhemd und Schlabberhose die Bühne betritt. Nach dem Lied „Heimatstadt“ erzählt er von seinen musikalischen Anfängen in Köln, Leben auf der Severinstraße, Auftritten im Studio 672 des Stadtgartens. Bisschen lokale Instinkte stimulieren, einen lieben Gruß an seinen Kumpel Wolfgang Niedecken, mit dem er auch mal einen Song gemacht hat.

Clueso strahlt, hüpft und tänzelt - tanzen kann er halt auch verdammt gut -  und prophezeit: „Es wird ein sehr geiler Abend heute, ich spüre das.“ Er klatscht, die Menge klatscht, er winkt, die Menge winkt, doch dann, die erste Hook des Ohrwurms „Flugmodus“ läuft, ist er plötzlich aus dem Konzept, bricht ab, auf seinem Ohrstöpsel hört er eine Stimme, die da nicht hingehört.

Sie ist von seinem Buddy Teddy Teclebrhan, Comedian, der mit seiner Mischung aus Schwäbisch und Kiezdeutsch Bekanntheit erlangte und wenig später auf der Bühne erscheint.

Nicht alles perfekt durch choreografiert

Der Gastauftritt ist vielleicht nicht ganz so spontan wie Clueso es erzählt, aber auch nicht durch choreografiert. Wie der ganze Auftritt zwar gestylt und mit fast allen großen Hits gespickt ist, aber auch viel Platz lässt für Cluesos Freigeistigkeit: Er beatboxt und freestylt, imitiert seinen Kumpel Udo Lindenberg und erzählt Udo-Anekdoten, spielt Balladen auf der Akustikgitarre und mit der Singer-Songwriterin Lotte, die ihn auf der Tour als Support begleitet, das Lied „Wenn Du liebst“.

Er feixt, fordert das Publikum auf, allen Frust der Woche rauszuschreien, schreit selbst, zeigt auf seine Unterarme, er habe Gänsehaut, schüttelt den Kopf, streckt seine Arme über den Bühnengraben zu den Fans aus, sucht Nähe, lacht. Und lacht.

Fanastische Band, wunderbare Soli

Manchmal weiß er nicht, welches Lied als nächstes geplant ist, ab Mitte des Konzerts wird seine Stimme bedenklich heiser, dann nimmt er sich eine Pause, stellt Gitarrist und Gitarristin vor, die mit ihrem Baby mit auf Tour sind, und gibt seiner Band Zeit für Soli: Posaune, Trompete und Saxophon sind überragend, Schlagzeuger Tim Neuhaus auch – dessen Mutter kommen auf der Tribüne tänzelnd die Tränen. „So gut habe ich die Jungs noch nie erlebt“, sagt sie.

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Clueso bräuchte gar nicht ständig zu sagen, wie überwältigt er sei, wie dankbar und glücklich – man sieht und hört es fast zweieinhalb Stunden lang.

Freude und Leichtigkeit

Songs wie „Tanzen“, „Leider Berlin“ „37 Grad im Paradies“ oder „Freidrehen“, der beseelte Frontman und die ganze Band strahlen Leichtigkeit, Freude, Dankbarkeit und einen Willen zur Gegenwärtigkeit aus, die in Zeiten von Krieg, Klimawandel und einer Inflation der Sorgen zu verschwinden drohen. Von Sinnschwere und Melancholie will Clueso an diesem Abend  nichts wissen. Er will im Flugmodus bleiben, frei, schwerelos, ohne permanenten Jetlag, und die Leute sollen das auch. Es gelingt. Was will man mehr?

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