Code für AnschlagWie es zum Terror-Einsatz in Köln kam und wer die Extremisten sind

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Beamte der Polizei durchsuchen eine Baustelle in Köln.

  • Extremist Wael C. gilt als Gefährder der höchsten Kategorie. In Köln betreibt er eine Baustelle.
  • Auf ihr arbeitet auch der deutsche Konvertit Timo R., der ebenfalls als extrem gefährlich gilt und unter ständiger Beobachtung steht.
  • Die Geschichte zweier Extremisten, eines Telefonats – und der Probleme der Strafverfolger.

Köln – Wael C. stand ganz oben auf der Observationsliste. Als der 30-jährige Islamist mit dem Kampfnamen „Abu Qudama al-Faruq“ dann im Juni aus Berlin nach Düren zieht, werden die Staatsschützer beim Landeskriminalamt NRW hellhörig. Der Extremist gilt als Hochrisikoperson. Gefährder der höchsten Kategorie.

Und nun zog der Hassprediger zu einem jungen deutschen Konvertiten, der aus seinem Faible für die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) keinen Hehl macht. In kurzer Zeit soll sich Timo R., 21, zum anschlagsbereiten Dschihadisten entwickelt haben. Vor einem Jahr hatte ihn die Aachener Polizei ebenfalls in das Gefährder-Register aufgenommen. Die Einschätzung der Staatsschützer verhieß nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nichts Gutes: „Labil, leicht beeinflussbar, gewaltbereit, ein Hang zu Waffen“, lautete die Prognose. Seit Timo R. dem IS im Vorjahr seinen Treueeid geschworen hatte, gehörte er zu jenen Top-25-Gefährdern, die NRW-Sicherheitsbehörden ständig im Blick behalten.

Und so hörte die Terrorabwehr auch mit, als man sich verklausuliert unterhielt. Dabei wurde klar, wer der Anführer war: Wael C. aus Berlin. Er hatte eine Trockenbaufirma aufgemacht, in der Timo R. und weitere Gefährten beschäftigt waren. Gemeinsam arbeitete man auf einer Baustelle an der Hohe Pforte in der Kölner Innenstadt. Als Firmenchef Wael C. plötzlich am Telefon darüber sprach, den Aufstieg in die höchste Stufe des Paradieses anzupeilen, die es als Muslim zu erreichen gelte, reagierten die Ermittler. Aus ihrer Sicht hätte dies der Code für einen Anschlag sein können.

Am Donnerstagmorgen schlugen die Beamten zu. Spezialeinsatzkräfte setzten die beiden Hauptverdächtigen und vier weitere Islamisten aus ihrem Umfeld fest. Ein Sprengstoffhund schlug an einer frisch hochgezogenen Rigipswand an der Baustelle Hohe Pforte an – offenbar ein Fehlalarm, wie sich am Nachmittag herausstellte. Bislang genügen die Beweise nicht, um den Männern eine Straftat vorzuwerfen und einen Haftbefehl zu beantragen. Sie bleiben also vorerst zur Gefahrenabwehr im Gewahrsam.

Unterdessen entschloss sich die Polizei schnell zu maximaler Transparenz. Am Mittag lädt die Behörde zu einer Pressekonferenz ins Präsidium nach Kalk. Polizeipräsident Uwe Jacob hat dafür seinen Urlaub unterbrochen. Ausführlich berichten er und seine Kollegen über den Zugriff am Morgen und die Erkenntnisse über die Verdächtigen. Der Einsatz sei in einer frühen Phase erfolgt, erklärt Jacob, „aber es war richtig, so zu agieren, um die Bevölkerung zu schützen.“ Jacob spricht von „Terrorgefahr“.

Der Fall dokumentiert einmal mehr die Probleme der Strafverfolger im Umgang mit militanten Islamisten seit dem Versagen der Sicherheitsorgane beim Lkw-Attentat in Berlin durch IS-Anhänger Anis Amri. Über ein Jahr lang wurden alle Warnhinweise ignoriert, seitdem gehen die Staatsschützer kein Risiko mehr ein. Vor allem nicht bei Top-Gefährdern.

Wael C. etwa galt seit 2013 als Salafist mit engen Kontakten zu den Größen der Szene wie etwa dem inzwischen getöteten „Gotteskrieger“ Denis Cuspert oder Mohammed Mahmoud, der vor laufender Kamera in Syrien einen Gefangenen erschoss. Mehrfach versuchte auch C. erfolglos, sich den Terrorgruppen in Syrien anzuschließen. Im Jahr 2016 füllte der Hassprediger jene Lücke, die Terrorfahnder gerissen hatten, als sie die gesamte Führungsgarde des radikalen Berliner Moscheevereins „Fussilet 33“ inhaftierten. Die Vorwürfe drehten sich um die Rekrutierung von IS-Kämpfern, die Beschaffung von Sturmgewehren und Handgranaten sowie illegale Geldtransfers in die Kriegsgebiete nach Syrien und die Hetze gegen Andersdenkende.

Spätestens im Sommer 2016 stand der Berliner Extremisten-Hotspot führerlos dar. Und so stieg Wael C. zum Vorsteher und Imam der Moschee auf. Als Prediger der Fussilet-Moschee wetterte er in Videos gegen Juden und Christen. Auf Seminaren warb er im September 2016 laut Verfassungsschützern für den Dschihad.

In jener Phase suchte auch der spätere Attentäter Amri häufig das Fussilet-Gebetshaus auf. Dort scharte der Tunesier einige radikale Mitstreiter um sich. Drei Monate später tötete Amri elf Menschen mit einem Lkw. Dass C. und Amri sich kannten, sei „von den Zeitabläufen her“ gut vorstellbar, sagte ein hochrangiger Ermittler dieser Zeitung. „Wir haben aber bislang keine polizeilichen Erkenntnisse, dass das so ist“, sagt der Chef des Kölner Staatsschutzes, Michal Esser. Im Februar 2017 verbot der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) den Moscheeverein.

Fortan warb Wael C. über soziale Netzwerke und Youtube für einen islamischen Gottesstaat und die Einrichtung der Sharia (islamische Gesetzessammlung). Schon in der Fussilet-Moschee hatten führende Agitatoren über die „100 Stufen des Paradieses, die Allah für seine Kämpfer vorgesehen hat“ gepredigt. „Jene Gläubigen, die zu Hause aussitzen, statt in den Dschihad zu ziehen“, sollten wieder ganz nach unten fallen, so der Tenor. Womöglich wollte Wael C. nach seinem Umzug in Köln die letzte Stufe erklimmen.

Auch suchte er neue Mitstreiter wie Timo R. Der 21-Jährige soll im Aachener Raum eine eigene militante Salafisten-Clique gegründet haben. So empfahl die Gruppe einem der jungen Mitstreiter, doch Chemie zu studieren. Dahinter steckte aus Sicht der Terrorfahnder womöglich der Gedanke, sich mit dem nötigen Wissen zum Bombenbau vertraut zu machen. Timo R. jedenfalls scheiterte kläglich mit seinem Versuch, zum längst zusammengebrochenen IS nach Syrien zu gelangen. Er kam nur bis Düsseldorf – am Flughafen beendeten die Behörden seine Reise in den Dschihad.

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