Corona-Folgen bei Studierenden"Die große Welle kommt mit Verzögerung"

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Studi Symbolbild

Eine Studentin mit einem 2G-Armband in der Universität Hannover. Die  Präsenzlehre wird aber durch die Infektionslage wieder infrage gestellt.

  • Seit diesem Semester kehren die Studierenden wieder in die Präsenzlehre zurück. Doch die Situation bleibt durch die verschärfte Infektionslage angespannt.
  • Annika Demming ist stellvertretende Abteilungsleiterin des psychologischen Beratungsstelle beim Kölner Studierendenwerk.
  • Im Interview spricht sie über Konflikte zwischen geimpften Studenten und ungeimpften Eltern, warum Studierende so stark von den Folgen der Pandemie betroffen sind und mit welchen Langzeitfolgen sie rechnet.

Köln – Frau Demming, Studierende leiden besonders stark unter den Folgen der Corona-Pandemie. Einer AOK-Studie zufolge gaben 56 Prozent der Befragten an, dass sie die Pandemie als große psychische Belastungen wahrnehmen. Nur bei Arbeitslosen ist die Quote höher. Warum ist das so? Demming: Studierende befinden sich in einem Lebensabschnitt, in dem viele Entwicklungsschritte anstehen: Sie versuchen sich vom Elternhaus zu lösen und suchen einen selbstbestimmten Weg in die Welt. Viele dieser wichtigen Entwicklungsschritte werden aber durch die Pandemie blockiert. Dass gerade Studierende gefährdet sind, die sich in einer solchen Phase voller Unklarheiten befinden und die oft auch finanziell nicht abgesichert sind, finde ich sehr nachvollziehbar.

Mit welchen Problemen kommen Studierende in die psychologische Beratungsstelle?

Die beherrschenden Themen sind depressive Verstimmungen, Ängste und mangelndes Selbstwertgefühl. Auch vor Corona waren diese Themen schon präsent. Aber seit der Pandemie haben sie sich deutlich verstärkt: Während sie 2019 noch ungefähr 25 Prozent ausgemacht haben, sind es jetzt 43 Prozent. Also: die Probleme sind die gleichen, sie haben sich aber deutlich verschärft.

Haben die Anfragen bei Ihnen zugenommen?

Ja, absolut. Wir sind, was die Anfragen angeht, voll am Limit, eigentlich schon darüber. Teilweise mussten wir Studierende vertrösten und sie bitten, in zwei oder drei Wochen nochmal anzurufen, weil wir mit unseren Kapazitäten an Grenzen gekommen sind. Bei akuten Fällen versuchen wir natürlich spontan Termine möglich zu machen, aber oft genug mussten die Studierenden warten oder wir haben sie an andere Stellen weitervermittelt.

Welche Probleme sind seit der Pandemie dazugekommen?

Am Anfang der Pandemie waren das vor allem finanzielle Probleme, etwa weil Studierende ihre Nebenjobs verloren haben. Das hat sich aber mittlerweile ein wenig entspannt, weil sich auch der Arbeitsmarkt verändert hat. Neu hinzugekommen sind dann vor allem die soziale Isolation durch den Hüttenkoller im Lockdown und Zukunftsängste. Dadurch, dass viele Studierende während der Pandemie zurück in ihr Elternhaus gezogen sind, kommt es außerdem vermehrt zu familiären Konflikten. Auch weil es dort oft unterschiedliche Ansichten zum Thema Corona gibt.

Sie meinen Konflikte zwischen Geimpften und Ungeimpften?

Genau. Wir hatten zum Beispiel einen Studenten bei uns in der Beratung, dessen Vater Impfgegner und dessen Mutter Coronaleugnerin ist. Das führt zu wahnsinnig belastenden Konflikten. Auch innerhalb von WGs kommt es zu solchen Auseinandersetzungen.

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Die stellvertretende Abteilungsleiterin der psychologischen Beratungsstelle des Kölner Studierendenwerks, Annika Demming.

Wie können Sie als Beratungsstelle da helfen?

Wir haben trotz Lockdown immer versucht, soziale Interaktion so gut es geht möglich zu machen. In unserer Lernberatung können wir gezielt etwa Strukturierungs- und Motivationsprobleme angehen. Wir haben Lerngruppen, in denen Leute sich miteinander vernetzen und digital zusammen in den Tag starten. Vielen hilft es aber auch schon, dass es eine Anlaufstelle gibt und einen Außenstehenden, der ihnen zuhört. So auch dem Studenten aus meinem Beispiel. Für gewisse Probleme gibt es auch gerade in der Pandemie keine schnelle Lösung. Das zu akzeptieren, kann schon sehr entlastend sein.

Seit diesem Semester wird wieder Präsenzunterricht angeboten. Hat sich die Situation seitdem gebessert?

Für viele ist der Präsenzunterricht eine totale Befreiung, für andere bedeutet er Druck. Studierende, die 1,5 Jahre nur zuhause gelernt haben, sind im Hörsaal plötzlich mit ganz vielen anderen Studierenden konfrontiert, mit denen sie sich dann vergleichen. Gerade bei Studierenden, die sozial nicht gefestigt sind, kann das Ängste auslösen.

Haben die Studierenden in der Pandemie verlernt, sozial zu interagieren?

Ja, das kann man teilweise so sagen. Der Ansatz jeder Verhaltenstherapie ist ja, dass man den Patienten mit seiner Angst konfrontiert. Wenn jemand sowieso mit sozialen Ängsten zu kämpfen hatte und seine sozialen Fähigkeiten dann 1,5 Jahre nicht herausgefordert werden, verschärft sich das Problem.

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Gleichzeitig klagen viele Studierende darüber, dass es kaum Präsenzlehre gebe. In einer Petition betonten Studierende die psychologischen Belastungen der Online-Lehre. Welche sind das?

Die soziale Interaktion mit den Kommilitonen und Dozenten – ob in der Mensa oder im Hörsaal – ist ein wahnsinnig wichtiger Bestandteil des Studentenlebens. Durch den Austausch mit anderen gewinnt man viel Sicherheit in einer Lebensphase, die durch viele Unsicherheiten geprägt ist. Deswegen kann ich die Petition sehr gut verstehen und würde mir wünschen, wenn bald mehr Präsenzunterricht möglich wäre.

Aktuell verschärft sich die Infektionslage wieder. Die Hochschulen und die Politik betonen, dass der Präsenzunterricht aufrechterhalten wird. Trotzdem bleibt die Lage angespannt. Wie geht es den Studierenden in einer solchen Lage?

Ich hatte selten eine Situation, in der ich so sehr das Gefühl hatte, mit den Studierenden in einem Boot zu sitzen. Auch uns treibt die Unsicherheit ja um, genauso wie die Studierenden. Nicht zu wissen, ob die Lehre morgen in Präsenz möglich ist oder doch nur online, das ist eine wahnsinnige Herausforderung.

Kann man die Langzeitfolgen für Studierende schon abschätzen?

Ich glaube, das wird uns mindestens noch zwei bis drei Jahre verfolgen. Bei uns in der Beratungsstelle kam die Welle der Studierenden erst mit einem guten Jahr Verzögerung an. Vor allem die schwerwiegenden Fälle, da wo es auch um Depressionen und Suizidgedanken geht, melden sich erst jetzt. Deswegen würde ich sagen, dass gerade jetzt und für die Zukunft Hilfe aus der Politik benötigt wird. Nur so können wir da hinterherkommen.

Wie könnten diese Hilfen aussehen?

Es hilft sicher, Beratungsangebote für Studierende aufzustocken. Zur Entspannung der Lage könnte außerdem so etwas wie ein Nachteilausgleich beitragen: mehr Zeit für Prüfungen und für das Studium. Und längere Fristen für finanzielle Hilfen wie das Bafög. 

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