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Kölner Corona-ProtokolleRapper Goldroger: „Ich bin pessimistisch geworden“

Lesezeit 4 Minuten
CP-Goldroger

Rapper Goldroger

  • „Die Krise macht etwas mit uns“ heißt es oft. Was das ist, erfahren wir am besten, wenn wir Menschen begleiten.
  • In der Serie „Kölner Corona-Protokolle“ erzählen ab sofort regelmäßig fünf Menschen, was die Pandemie mit ihnen macht: Sie gefährdet ihre Gesundheit, ihre Freiheit, ihren Beruf und ihre Träume.
  • In dieser Folge erzählt Rapper Goldroger offen von seinen Gefühlen und Sorgen in der Corona-Krise.

Köln – Manchmal denke ich, ich hätte mich einfach mit dem Jahr vertan. 2019 habe ich komplett drinnen verbracht, Texte geschrieben, Tracks für meine neue Platte Diskman Antishock eingespielt. Ich war fast die ganze Zeit isoliert, weil ich so besser arbeiten kann. Nach dem Jahr Einschluss und Mucke machen war ich total platt, so ausgezehrt, als sei ich mit letzter Kraft über die Ziellinie eines Marathons gelaufen. Im Januar, Februar dachte ich: Ab jetzt kann es nur besser werden! Jetzt geht es raus! Als ich im Ziel war, warteten da aber keine leckeren Getränke, nichts zu essen, kein Applaus, nichts, was den Akku wieder auflädt. All das wären die Konzerte, Festivals, Partys und Urlaube gewesen, die nach der Zeit zu Hause und im Studio geplant waren. Nach der Ziellinie hieß stattdessen: wieder Einschluss – dieses Mal jedoch nicht freiwillig.

Wie lange, konnte keiner sagen. Experten wie Drosten oder Lauterbach sagten „ziemlich lange, wir stehen erst am Anfang“, aber das wollte ich nicht wahr haben. Die Gigs im Dezember 2019 waren alle ausverkauft, die Vorverkäufe für die Folge-Tour 2020 liefen ziemlich gut, viele Locations schienen plötzlich zu klein, der nächste große Schritt stand an.

„Ich bin pessimistisch geworden“

Dass das alles vom Tisch war, war ernüchternd. Stressmäßig war ich komplett durch. Ich bin dann stoisch jeden Tag ins Tonstudio gegangen, um zu singen, war viel joggen, brauchte Routine und Struktur, um mit der Situation irgendwie klarzukommen.

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Wenn man ein Album released hat, kommen danach die Shows, die Festivals. Das macht den Spaß am Musikersein aus, und einen nicht zu unterschätzenden finanziellen Teil der Einnahmen eines Musikers. Wenn das wegfällt – bei mir wären das 40 oder 50 Shows gewesen – kann das nicht ersetzt werden. Der Tourstart ist in der Folge vorerst auf April 2021 verschoben worden. Im Moment wird überlegt, was realistisch ist, Herbst, Winter – im schlimmsten Fall Frühjahr 2022. Ich bin pessimistisch geworden, die Infektionszahlen sind hoch, der Schock sitzt tief. Zwar habe ich Rücklagen aber ich habe trotzdem auf eine gewisse Art Existenzängste. Weil man früher halt immer wusste: Nächste Woche spiele ich zwei Shows, da kommt was rein. Und man heute nicht weiß, wann das überhaupt je wieder geht.

Kürzlich habe ich mit meiner Freundin einen Film gesehen, in dem die Leute vor einer Bühne standen und ohne Masken feiern. Und dachte: Wie realitätsfern ist das denn? Ich würde mir wünschen, dass diese ganze Traurigkeit der Isolation und Distanz sich irgendwann auflöst, wir die angestaute Einsamkeit zusammen wegfeiern und die Lebensfreude explodiert – kann mir das für dieses Jahr aber leider nicht vorstellen. Kehren wir bald zurück zum Handshake, zum Umarmen der Freunde und Verwandten? Zum dicht gedrängten, verschwitzten Feiern? Hoffentlich. Aber irgendwie sehe ich das noch nicht. Es scheint so weit weg.

Druck in der Krise

Meine Oma ist 74 und hat eine chronische Lungenkrankheit, wir sind sehr eng, und konnten uns monatelang nicht sehen. Wenn ich an das Leid in der Pandemie denke, denke ich oft an sie. Zum Glück hat sie einen Partner, mit dem sie Zeit verbringen kann, und ist nicht wie so viele ganz allein. Viele meiner Texte drehen sich um enttäuschte Liebe, Isolation und Depression, das ist ja zeitlos, ich hätte dafür kein Virus gebraucht.

In der Pandemie hatte ich lange überhaupt keinen Bock kreativ tätig zu werden, ich fand das nicht inspirierend, ich wollte nur raus, um Konzerte zu spielen. Ein bisschen ging es mir auch wie vielen Künstlern, mit denen ich sprach: Die Krise erzeugte Druck, kreativ zu werden, da „was draus zu machen“. AnnenMayKantereit haben das mit einem schnell eingespielten Album sehr schön hingekriegt. Mir war das nicht gegeben.

Dabei geht es mir verhältnismäßig okay, anders als bei meinem Tontechniker, meinen Produzenten, so vielen, die keine Einnahmen und Rücklagen haben. Viele der ohnehin schon wenigen Hilfen für die Kreativen haben nicht geholfen. Ich hätte mir gewünscht, dass es zum Beispiel Steuererleichterungen für alle gibt, statt dieser Novemberhilfen, bei denen der November-Umsatz des Vorjahres zugrunde gelegt werden sollte – und was mache ich, wenn ich vergangenen November im Studio saß? Ein weiterer Punkt ist, dass die Unterhaltungsbranche für die Politik nicht so wichtig zu sein scheint und es an einflussreichen Lobbyisten fehlt. Musiker haben zwar eine riesige Reichweite, in der Öffentlichkeit waren sie mit Ausnahme von Till Brönner und ein paar anderen leider bislang erschreckend still. Ich möchte sobald wie möglich wieder laut sein. Mit Euch allen da draußen, die im Moment allein sind, zusammen.

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