CoronaWarum ist das Infektionsrisiko bei Menschen mit Migrationshintergrund größer?

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Ärzte und Pfleger untersuchen einen Patienten auf der Covid-19-Intensivstation. (Symbolbild)

  • Das Infektionsrisiko von Menschen mit einem Migrationshintergrund ist einer Studie zufolge doppelt so groß.
  • Warum ist das so? Soziale Ungleichheit und Sprachbarrieren sind Hauptgründe, sagen Forscher. Wir haben uns ein Bild aus den Kölner Intensivstationen gemacht und Experten befragt.

Köln – Die These, dass ein Großteil der auf den Intensivstationen behandelten Corona-Patienten über einen Migrationshintergrund verfügt, taucht in unregelmäßigen Abständen auf. Mit offiziellen Zahlen unterlegen lässt sich diese allerdings nicht, denn die Krankenhäuser führen keine Statistiken dazu, weil sie einen möglichen Migrationshintergrund ihrer Patienten in der Regel nicht erfassen. „Wir sehen auf den Intensivstationen durchaus eine Häufung von Menschen, die Probleme haben, in der deutschen Sprache zu kommunizieren“, sagt Professor Michael Hallek, Chef der Klinik I für Innere Medizin der Uniklinik Köln. Er halte es für wichtig, diese Gruppe besser mit Informationen zu versorgen. „Auch sollten wir fragen, ob es andere Ursachen oder Schutzmöglichkeiten gibt“, sagt Hallek. Eine Pflegerin, die auf einer Kölner Corona-Intensivstation arbeitet, berichtet ebenfalls davon, dass dort auch Menschen in Behandlung seien, die wenig Deutsch sprechen – insgesamt seien die Patienten aber sehr gemischt. Eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kommt zu dem Schluss, dass das Coronavirus zugewanderte Menschen öfter trifft. Das Infektionsrisiko von Menschen mit einem Migrationshintergrund sei demnach mindestens doppelt so hoch wie bei der alteingesessenen Bevölkerung.

Die Studie liefert auch einen Erklärungsansatz dafür. Einwanderer-Familien sind demnach eher einkommensschwach, leben häufiger auf engem Raum und arbeiten oft in Jobs, in denen das Abstandhalten schwieriger ist. Gleichzeitig stünden Zugewanderte im OECD-Raum oft an vorderster Front im Kampf gegen das Coronavirus. So stellten sie einen großen Teil des medizinischen Fachpersonals: Im Durchschnitt stamme ein Viertel der Ärzte aus dem Ausland, in Deutschland etwa ein Fünftel. Bei den Pflegekräften ist es demnach rund ein Sechstel.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat Experten befragt und einen Faktencheck zusammengestellt. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

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Welche Erkenntnisse gibt es zum Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund, die auf Kölner Intensivstationen wegen einer Covid-19-Erkrankung behandelt werden?

„Die mögliche Herkunft (Migrationshintergrund) unserer Patienten erfassen wir nicht“, teilte die Uniklinik Köln auf Anfrage mit. „Für die Therapie-Entscheidungen unserer Ärztinnen und Ärzte ist diese Information vollkommen irrelevant – dementsprechend können wir dazu auch keine Auskunft geben.“

Die städtischen Kliniken antworten ähnlich: „Im Rahmen des Versorgungsauftrags sind die Kliniken Köln für alle Patientinnen und Patienten da, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung oder sozialer Stellung. Dabei ist es völlig unwichtig, ob die erkrankten Personen ihre Wurzeln in Köln, in Deutschland oder im Ausland haben. Daher wird bei den Kliniken Köln nicht erfasst, ob eine Patientin oder ein Patient einen Migrationshintergrund hat.“ Die Stadt Köln erfasst laut eigener Aussage ebenfalls keinen eventuellen Migrationshintergrund bei Covid-19-Erkrankten.

Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts soll gesagt haben, dass auf den Intensivstationen überproportional viele Migranten behandelt werden. Wie ist das zu bewerten?

Die Staatssekretärin für Integration in NRW, Serap Güler (CDU), ist irritiert über die Diskussion, die sie „populistisch“ nennt. Die Debatte sei vor einigen Wochen aufgekommen, nachdem Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts, mit der Aussage zitiert wurde, es gäbe überproportional viele Migranten auf den Intensivstationen. Die Krankenhausgesellschaft NRW habe das auf Gülers Anfrage nicht bestätigen können. „Man weiß nicht, wie Wieler darauf kommt. Es ist wohl eher ein gefühltes Problem“, sagt sie. Die Mehrzahl der Kliniken führe überhaupt keinen Nachweis über die Staatsbürgerschaft.

Welche Rolle spielt der soziale Status für die Wahrscheinlichkeit einer Corona-Infektion?

„Der soziale Status ist entscheidend“, sagt Professor Markus Ottersbach, der an der TH Köln zum Thema Migration forscht. Die Datenlage sei eher dünn, aber Studien deuteten darauf hin, dass Menschen mit niedrigerem sozialen Status stärker von der Pandemie betroffen seien. Menschen mit Migrationshintergrund infizierten sich daher eher mit dem Coronavirus, weil sie sich im Durchschnitt in schlechteren sozialen Lagen befänden. „Wer in einer Fabrik arbeitet, kann Kontakte nicht so gut vermeiden“, sagt Ottersbach.

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„Ich bedauere, dass man die Corona-Pandemie aus ethnischen Gesichtspunkten sieht“, sagt Tayfun Keltek, Vorsitzender des Kölner Integrationsrats. „Das ist nicht in Ordnung, denn die Pandemie ist eine soziale Frage.“ Es gehe nicht um ethnische oder religiöse Aspekte, sondern um eine soziale Benachteiligung. „Die Leute leben unter prekären Umständen, wohnen in beengten Verhältnissen.“ Da sei es nachvollziehbar, wie auch bei unter Armut leidenden deutschen Familien, dass die Ansteckungsgefahr steige.

Wie groß ist der Einfluss von Sprachbarrieren?

„Aus der Versorgungsforschung wissen wir schon länger, dass Menschen mit Migrationshintergrund statistisch häufiger Probleme haben, Angebote des Gesundheitssystems zu nutzen –natürlich spielen Sprachbarrieren hier eine Rolle“, sagt Professor Holger Pfaff, Direktor des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität zu Köln und der Uniklinik Köln. „Wir haben dazu soziologische Untersuchungen unternommen und festgestellt, dass Frauen mit Migrationshintergrund Behandlungen von Herzinsuffizienz weniger oft beanspruchen“, sagt Pfaff. Eine Lösung sei der Einsatz von Sprach-Lotsen. Sprache spiele auch eine Rolle, wenn es um Corona-Regeln und um Impfungen geht. „Wir brauchen eine spezifische politische Ansprache für unterschiedliche Subkulturen“, sagt Pfaff.

Wie gut sind Menschen mit Migrationshintergrund informiert?

Möglicherweise seien einige Menschen mit Migrationshintergrund schlechter über die Pandemie informiert, sagt Migrationsforscher Markus Ottersbach. Ursache könnte sein, dass sie sich – wie im Schnitt viele Menschen aus sozial benachteiligten Schichten – eher aus Boulevardmedien und sozialen Netzwerken informierten. „Es gibt aber keine empirischen Daten dazu“, so Ottersbach. Die Stadt Köln informiert auf ihrer Internetseite in mehreren Sprachen, allerdings sind diese Hinweise zur Corona-Pandemie eher versteckt. Zudem fehlen Auskünfte zu aktuellen Beschränkungen und Regelungen. In den Stadtteilen informieren zudem teilweise verschiedene soziale Träger Kölnerinnen und Kölner, die nicht oder nur wenig deutsch sprechen.

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