Das alltägliche Leid der KZ-Häftlinge

Lesezeit 3 Minuten

Weiden – Auf der Bühne bilden sie eine leuchtende Einheit. Ganz in Gelb gekleidet sind drei Mitglieder der Theater-AG des Georg-Büchner-Gymnasiums dort unterwegs, in der Rolle einer jüdischen Familie. Vater, Mutter und eine erwachsene Tochter, mit einer Puppe, dem jüngsten Sohn, erzählen von ihrem Alltag im KZ, sachlich, fast lakonisch. Die Emotionen sind längst aufgebraucht, geblieben ist Ernüchterung. Zwangsarbeit bestimmt den Alltag – und der Hunger. „Ich kaue und kaue“, sagt die Mutter. „Ich bin eine Kauende“ Doch zwischen ihren Zähnen gibt es keine Nahrung. „Mein Fleisch verschwindet, mein Körper entschlüpft mir. Noch schlimmer: auch dein Körper mein Kind.“

Die Trostlosigkeit des Lagerlebens ist perfekt in Szene gesetzt, ohne emotionale Übergriffigkeit, ohne dass die Darsteller überhaupt versuchen darzustellen, wie sich der Horror angefühlt hat. Die behutsame Annäherung ist wichtiger Teil des Konzepts der musikalisch-szenischen Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema. 20 Oberstufenschüler und ehemalige Schüler haben sie unter dem Titel „Zeitschaft“ mit Hilfe von Theaterpädagogin Imke Tokzoez zum 75. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz erarbeitet. Das Konzept stammt von Schülersprecher Jakob Valder.

Erlebnisse auf dem Schulhof hatten den 17-Jährigen zu dem Musiktheaterstück inspiriert, zu dem er auch selbst eine Ouvertüre und einen musikalischen Schluss komponiert hat. „Ich habe mit Erschrecken festgestellt, dass antisemitische Begriffe auf dem Schulhof wieder eine Daseinsberechtigung haben“, erzählt er. „Du Jude beispielsweise als Schimpfwort.“ Mit dem Musiktheater möchte er junge Menschen daran erinnern, welche furchtbaren Folgen Antisemitismus und Ausgrenzung bereits hatten.

Tokzoes hatte das Projekt zunächst abgelehnt. Das Thema „Holocaust“ erschien ihr zu groß für ein Schultheater. Doch dann überlegte sie es sich anders und entwickelte mit viel Fingerspitzengefühl ein Regiekonzept, das davon absieht, allzu deutlich zu werden, Dinge wiedergeben zu wollen, die sich dem Verständnis entziehen. „Ich wollte der jüdischen Familie auf keinen Fall einen Judenstern anheften“, erklärt Tokzoes. „Das ist mir zu nah. „Deswegen habe ich sie einfach ganz gelb gekleidet, die Farbe des Frohsinns und der Stigmata, der Minderheiten, der Prostituierten im alten Rom und der Inquisition.“

Zeitzeugenberichte und zeitgenössische Literatur hat sie zu einem vielschichtigen Text verwoben. Die jüdische Familie bleibt abstrakt, nicht mehr als ein Beispiel. Die andere – in grau gekleidete – Schülergruppe begleitet sie, wie ein Chor der griechischen Tragödie, ergänzt ihr Spiel um Zeitzeugenberichte und literarische Text und beschreibt Fotos, die in Holocaustdenkmälern hängen: „Nackte Frauen stehen uniformierten SS-Männern gegenüber, die die Waffen angelegt haben und sie einzeln erschießen, mit Wollust in ihren Gesichtern“, schildert eine Schülerin. „Die Szene ist genauso grauenvoll wie pornografisch. Die nackten Frauenkörper liegen auf einem Haufen, wie erlegte Venusgöttinen, wie vergewaltigte Feen, in ihrer Unschuld verblüffend.“

Mit einem anderen Zitat bringt ein Schüler, die Angst auf den Punkt, die in nachfolgenden Generationen weiterlebt: „Es ist geschehen. Folglich kann es wieder geschehen.“ Bedrohliche Sätze bleiben im Zuschauergedächtnis haften, während das kleine Schülerorchester düstere Melodien spielt. Mal singen auch einzelne Darsteller – Lieder, die die damals Verfolgten schrieben.

Das Miteinander aus starken Texten und nachdenklicher Musik nähert sich aus unterschiedlichen Richtungen behutsam dem Riesenthema, das heute ein Doppeldasein führt, zwischen brutaler Anwesenheit und absolutem vergessen sein. Gerade deshalb finden auch die jungen Schauspieler den Ansatz gut: „Ich habe das Gefühl, die heutige Jugend steht dem Holocaust oft gleichgültig gegenüber“, sagt die 18-jährige Sofa Rahimi. „Mit dem Stück können wir den Zuschauern die Gefühle der Menschen damals vermitteln.“

Die Aufführungen sind Montag, 20.1., Dienstag, 21.1., Donnerstag, 23.1., Freitag, 24.1, jeweils 20 Uhr im Forum des Georg Büchner Gymnasiums, Ostlandstraße 39. Der Eintritt kostet 10, ermäßigt 5 Euro. Karten können mit einer Mail vorbestellt werden.

toksoez@gbg.koeln

Sofa Rahimi, Schülerin

KStA abonnieren