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DepressionKölner Anästhesist wendet deutschlandweit einzige Ketamin-Therapie an

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Depression: Viele setzen ihre Hoffnung in den Stoff Ketamin.

Köln – Für Josefine S. hatte sich der Alltag komplett aufgelöst. Die schwere Depression hatte aus der energiegeladenen Sozialpädagogin über Jahre ein mentales Wrack gemacht. Arbeitsunfähig. Keine Therapie, keines der vielen Psychopharmaka half. Am Schluss fehlte ihr der Antrieb, aus dem Bett aufzustehen oder sich zu duschen.

Dass die 30-Jährige heute wieder arbeitet und energiegeladen für ihre Klienten bei der Krankenkasse um Leistungen streitet, verdankt sie einem neuen Wirkstoff gegen Depressionen, der derzeit die Fachwelt intensiv beschäftigt: Ketamin. Seit Jahrzehnten als Narkosemittel und in der Schmerztherapie bewährt und auch illegal als Partydroge in der Partyszene verbreitet – aber erst seit relativ kurzer Zeit als wirksam gegen Depressionen entdeckt. Zunächst in den USA und jetzt auch in Deutschland.

Der Kölner Anästhesist Frank Mathers (58) ist nach eigenen Angaben derzeit der einzige Arzt in Deutschland, der in seiner Praxis in Bayenthal Ketamin-Injektionen unter eng maschiger ärztlicher Aufsicht an depressive Patienten vornimmt, bei denen zuvor alle anderen Behandlungsmethoden versagt haben. Nicht nur aus Deutschland, sondern aus ganz Europa wenden sich Patienten mit großen Hoffnungen an ihn. Menschen, die alle sechs Wochen aus Amsterdam, London oder Paris für eine Injektion angereist kommen, und hohen Aufwand in Kauf nehmen. Die Kosten von 200 Euro pro Behandlung werden derzeit noch nicht von den Kassen übernommen.

Quasi ein Drogenrausch auf Rezept

Wer bei ihm eine Injektion bekommt, muss mehrere Voraussetzungen erfüllen: Er muss vorher mindestens drei verschiedene Anti-Depressiva vergeblich probiert haben. Außerdem muss er konstant begleitend in psychiatrischer Behandlung sein. Die Ketamin-Therapie ist quasi ein kontrollierter Drogenrausch auf Rezept.

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Der antidepressive Effekt von Ketamin tritt laut US-Studien bei zwei Drittel der Patienten auf. Bei manchen innerhalb sehr kurzer Zeit. Bei den Patienten von Mathers berichten laut seiner eigenen Statistik 60 Prozent von einer Besserung der Symptome. Im Unterschied zu anderen Antidepressiva, die auf den Seretonin-Spiegel wirken, zielt das Ketamin auf den Glutamat-Spiegel im Hirn. Das Narkosemittel wird in seiner Schmerzpraxis in einem reizmäßig komplett abgeschotteten Extraraum über einen Injektionsautomaten verabreicht. Während der 40-minütigen Prozedur wird der Patient über einen Monitor außerhalb des Raumes engmaschig überwacht.

Das Narkosemittel versetzt den Patienten in einen rauschhaften Zustand, den Mathers Dissoziation nennt. Eine Art Entkopplung von den eigenen Gedanken und von seinem Umfeld. Ein nicht zu beschreibender, sehr aufwühlender Zustand sei das, in dem man jedes Zeitgefühl verliere und die Sinne hochsensibel seien.

Als würden Puzzleteile neu zusammengesetzt

Es sei, als ob in einem biochemischen Prozess die Puzzleteile des eigenen Ichs in die Luft geworfen werden und neu zusammengesetzt würden. Die Dissoziation werde mal als positiv und mal als verstörend wahrgenommen von den Patienten. Aber sie ist, wie Mather beobachtet hat, grundlegend für die Verbesserung der Depression. Patienten, die keine solche Dissoziation erlebten, gehörten zu denen, bei denen die Ketamin-Behandlung nicht anschlage.

Die Therapie hat aber auch Kritiker, die vor den Risiken wie etwa Abhängigkeit warnen. Oder bei Überdosierung als Langzeitnebenwirkung Blasen- und Harnblasenschäden. Anästhesist Mathers ist sich der Risiken bewusst. Daher sei eine Ketamin-Therapie nur unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle und flankiert durch eine psychiatrische Behandlung eine Option. Nur so könne das Risiko einer Abhängigkeit ausgeschlossen werden. In den Niederlanden, wo Ketamin auch als Nasensprays vertrieben werde, das selbstverantwortlich eingenommen würde, gebe es eben diese Fälle von Geschwüren in der Blasenwand.

Durch Zufall auf Medikament gestoßen

Mathers, gebürtiger US-Amerikaner, ist eher durch Zufall bei dem Besuch eines Kongresses in den USA auf die Wirkweise des Ketamin bei Depression gestoßen, weil dort schon deutlich mehr Mediziner mit der Substanz arbeiten. „Aber die Geschichten von Menschen, die verzweifelt sind und unter Ketamin wieder Energie ausstrahlen, haben mich einfach überzeugt, diesen Therapiebereich immer weiter auszubauen.“  

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