Der Fall Lea-SofieDas Kölner Mädchen, das die Eltern zugrunde gehen ließen

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Der gewaltsame Tod von Lea-Sofie löste Trauer und Entsetzen in Chorweiler und ganz Köln aus.

Köln – Die kleine Lea-Sofie liegt sterbend im Kinderzimmer und ihre Mutter Franziska M. sitzt nebenan gemütlich auf dem Sofa und schaut Fernsehen. „Schatz, wann möchtest Du essen?“, schreibt sie mit dem Handy ihrem Freund Patrik L., der gerade nicht da ist. Als habe er ihr Kind nicht misshandelt, es mit den Fäusten schwer verprügelt und mit dem Kopf auf den Boden klatschen lassen. Als sei das alles egal, als wäre nichts geschehen. „Ihr Gesicht sah aus, als hätte da einer reingetreten“, wird die junge Frau später bei der Polizei über den Zustand ihrer Tochter sagen. Doch den Notarzt ruft sie nicht. Nach einem schmerzvollen dreitägigen Todeskampf stirbt Lea-Sofie in der Hochhauswohnung in Köln-Chorweiler in ihrem Bettchen. Kläglich und allein. Und auf abartige Weise versuchen die Mutter und deren Freund danach, das Verbrechen zu vertuschen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ rekonstruiert mit neuen bisher unbekannten Details den Kriminalfall aus dem Dezember des Jahres 2012, der so schrecklich, so einzigartig ist und so unfassbar traurig und wütend macht, dass er die Menschen bis heute tief bewegt. 

Die fatale Beziehung von Patrik L. und Franziska M. 

Im Sommer 2012 lernen sich Patrik L. (22) und Franziska M. (20) über Freunde kennen, sie sind sich sofort sympathisch. Die Lebensläufe der beiden ähneln sich stark. Schwere Kindheit mit gewalttätigen Eltern, Förderschulen, Arbeitslosigkeit. Und beide haben ein Kind. Sein Sohn ist gerade ein Jahr alt. Ihre Tochter anderthalb. Lea-Sofie. An deren Schicksal später so viele Menschen Anteil nehmen werden. Patrik L. und Franziska M. werden im Spätsommer ein Paar, als sie frisch getrennt war.

Sofort zieht man zusammen, erst zu seiner Mutter, dann in ihre Wohnung in der Stockholmer Allee, nachdem der Ex-Freund ausgezogen war. Eine Drei-Zimmer-Wohnung im vierten Stock eines Hochhauses. Lea-Sofie hat ihr eigenes Zimmer, die Erwachsenen schlafen auf Matratzen im Wohnzimmer, nachdem im Schlafzimmer der Schrank aufs Bett gekracht war. Wohl nach einem Gewaltausbruch von Patrik L. – dafür war er bekannt, wenn er getrunken hatte. 

Im Kinderzimmer stehen zwei Bettchen, eins für Lea-Sofie, eins für den Sohn von Patrik L. Alle zwei Wochen darf der Vater den Jungen am Wochenende zu sich nehmen. Viel zu selten, findet er. Die Beziehung zu seinem Sohn beschreiben Zeugen als liebevoll, generell sei Patrik L. total kinderlieb. Das denkt auch Franziska M. Sie wünscht sich schnell, dass ihr Freund eine entscheidende Rolle in der Erziehung von Lea-Sofie einnimmt. Doch die Zuneigung, die Patrik L. seinem Sohn, den Kindern seiner Schwester, ja selbst von Freunden entgegenbringt – Lea-Sofie bekommt sie nicht. Denn Patrik L. ist eifersüchtig. Eifersüchtig, dass Franziska L. ihr Kind immer bei sich hat und er um den Umgang mit seinem Sohn kämpfen muss. 

Sadistische Erziehungsmethoden 

Patrik L. will keine Verantwortung für Lea-Sofie übernehmen, sich nicht kümmern. Er will sie bestrafen. Patrik L. nennt das „Erziehung“. Franziska L. gehe zu lasch mit ihrer Tochter um, Lea-Sofie klammere sich viel zu sehr an sie. Er verbietet der Mutter, das Kind auf den Arm zu nehmen, es zu trösten. Grundlos wird Lea-Sofie in ihr Kinderzimmer geschickt. Ständig ist sie dort allein. Wenn ihr Essen aus dem Mund fällt, stopft Patrik L. die Reste zurück in Lea-Sofies Mund. Der Ziehvater scheint regelrechten Spaß zu entwickeln, Lea-Sofie zu demütigen. Etwa mit einem bizarren Spiel, das er „Verarsche“ nennt. Das kleine Mädchen muss dabei auf sein Kommando im Flur der Wohnung im Sekundentakt immer wieder aufstehen und sich hinsetzen, darf dabei keinen Mucks von sich geben oder zur Mutter blicken. Wenn das Kind weint, gibt es Ärger.  

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Der Täter Patrik L. beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht.

Im November 2012 beginnt er Lea-Sofie zu schlagen. Patrik L. schlägt dem Kind mit der flachen Hand so heftig auf den Po, dass es Hämatome davonträgt. So mache man das, meint der 22-Jährige, nachdem Franziska M. zuvor nicht fest genug zugeschlagen hatte. Lea-Sofie weint jedes Mal, wenn Patrik L. sie schlägt. „Hör auf“, schreit der Mann das Kind an. „Nach und nach wurde Lea-Sofie sodann immer ruhiger und zeigte kaum noch Reaktionen auf die Misshandlungen“, soll viele Monate später eine Schwurgerichtskammer des Kölner Landgerichts feststellen. Doch es kam der Tag, da will Lea-Sofie nicht mehr schweigen, dem gemeinen Ziehvater gehorchen, sich vor lauter Angst nicht rühren. Sie schreit. Wie am Spieß. Es ist ihr Todesurteil. 

Ziehvater schlägt brutal auf Lea-Sofie ein 

Franziska M. verlässt an jenem 17. Dezember 2012 gegen 11.30 Uhr die Wohnung. Wie üblich hatte sie Lea-Sofie zuvor zum Mittagsschlaf hingelegt, obwohl das Mädchen bis 10 Uhr geschlafen hatte. Nur widerwillig hatte sich Patrik L. bereit erklärt, unter dieser Voraussetzung auf Lea-Sofie aufzupassen, zumal er schon eine Flasche Wodka intus hatte. L. ist frustriert, da er bald eine Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis antreten soll – er hatte eine Geldstrafe nicht bezahlt. Er hat Angst, seinen geliebten Sohn über Weihnachten nicht zu sehen. Seinen Frust lässt er am ungeliebten Ziehkind aus.

Patrik L. liegt in der Badewanne, als er ein lautes Quengeln und Weinen aus dem Kinderzimmer vernimmt. Lea-Sofie ist aufgewacht. Er will das Kind mit einer Trinkflasche beruhigen, nimmt es auf den Arm, so wird er es später schildern. Lea-Sofie sperrt sich, wirft die Trinkflasche auf den Boden und steigert sich in einen Schreikrampf hinein. Bald schlägt die Stimmung von Patrik L. um, von Ungeduld in starke Gereiztheit. „Er verlor schließlich die Nerven“, heißt es später. 

Um Lea-Sofie ruhigzustellen, versetzt Patrik L. dem zierlichen Mädchen mindestens sechs kräftige Faustschläge ins Gesicht und gegen den Kopf. Durch zwei dieser Schläge kracht Lea-Sofie im Kinderzimmer mit dem Gesicht auf den harten Laminat-Boden. An den Haaren reißt Patrik L. das Kind wieder hoch und schlägt weiter zu. Er skalpiert das Kind regelrecht, die Kopfschwarte löst sich vom Schädel. Als kein Mucks mehr von Lea-Sofie zu hören ist, verlässt Patrik L. das Zimmer. Ohne sich weiter um das Kind zu kümmern. Ausgedehnte Unterblutungen des Schädelknochens und der Augen, die Hirnhaut verletzt, die Zähne verschoben. Aber Lea-Sofie lebt. Und sie könnte gerettet werden. Aber niemand wird sie retten. 

„Die wird schon wieder“ 

Gegen 15 Uhr kommt Franziska M. von ihrem Ausflug ins City-Center Chorweiler in die Wohnung zurück. Sie geht in die Küche, bereitet das Mittagessen zu. Patrik L. liegt derweil im Wohnzimmer auf dem Sofa. Als das Essen fertig ist, ruft die Mutter nach Lea-Sofie. Und bekommt keine Antwort. Sie betritt das Kinderzimmer. Da liegt ihr Kind. Auf der Wickelablage am Boden. Das linke Auge von Lea-Sofie ist da bereits fast vollständig zugeschwollen. Das rechte Auge ist geöffnet und die Pupille bewegt sich schnell hin und her.

Lea-Sofie hat dunkle Flecken im Gesicht, insbesondere auf der Stirn und den Wangen. Eine ältere Verletzung auf der Stirn blutet wieder, die Lippen sind dick. Auf die panischen Rufe der Mutter reagiert Lea-Sofie nicht. Als Franziska M. sie von der linken Seite auf den Rücken dreht, erbricht das Mädchen aus Mund und Nase. Die Mutter richtet das Kind auf. Lea-Sofie zeigt keinerlei Körperspannung und fällt nach vorne. Wie eine Puppe. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Lea-Sofie bereits in einem komatösen Zustand. Patrik L. kommt hinzu, auch er will Lea-Sofie aufrichten. Immer wieder klappt das Kind in sich zusammen. Schließlich wird sie ins Bett gelegt. 

„Was ist passiert?“, fragt Franziska M. ihren Freund. Der zuckt mit den Schultern und spielt den Ahnungslosen. Keine Ahnung, er habe geschlafen. Obwohl Franziska M. ihm kein Wort glaubt, gibt sie sich mit der Antwort zufrieden. Das Pärchen geht ins Wohnzimmer. Viele Minuten vergehen, bis Franziska M. wieder nach ihrer Tochter schaut. Lea-Sofie ist wieder etwas ansprechbarer, vegetiert aber nur noch vor sich hin. Sie kann nicht Essen, Laufen oder Sitzen. Und muss starke Schmerzen verspüren. Ein Mediziner spricht später von sogenannten Vernichtungskopfschmerzen. Einen Arzt ruft die Mutter nicht. „Die wird schon wieder“, habe Patrik L. gesagt und sie habe das geglaubt. Franziska M. lässt Lea-Sofie allein. Und legt sich am Abend mit ihrem Freund schlafen. Die Flecken in Lea-Sofies Gesicht werden immer dunkler, am nächsten Tag kühlt Franziska M. das Gesicht immer mal wieder mit einem Kühlpack. 

Lea-Sofie stirbt ganz allein 

Lea-Sofies Zustand verschlechtert sich immer weiter. Zwei Tage sind seit der Prügelattacke vergangen, als Patrik L. gegen Mittag des 19. Dezember die Wohnung verlässt. Er geht zu Freunden, isst Pizza und spielt mit den Kindern der Familie. Erst am Abend kehrt er zurück. Franziska M. beschäftigt sich in der Zwischenzeit mit ihrem Handy. Mal schreibt sie Ex-Freunden, dass mit Patrik L. bald Schluss sei, dann schickt sie ihm Liebesschwüre. Für Lea-Sofie interessiert sie sich offenbar nicht mehr.

Gegen 16 Uhr guckt sie noch einmal kurz ins Kinderzimmer. Lea-Sofie lässt sich nicht wecken. Die Mutter schaut weiter Fernsehen. An dem Tag sieht niemand mehr nach dem Kind. In der Nacht zum 20. Dezember, einem Donnerstag, stirbt Lea-Sofie. Ganz allein. An einer massiven Hirnschwellung. Gerichtsmediziner sprechen später von einem zentralen Regulationsversagen. 

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Der Fall Lea-Sofie: Mit diesem Foto suchte die Polizei öffentlich nach dem Mädchen.

Gegen 11 Uhr schaut Franziska M. wieder nach ihrer Tochter. 19 Stunden hatte sie das Kinderzimmer nicht betreten. Lea-Sofies toter Körper ist da bereits steif. Die Leiche könne nicht in der Wohnung bleiben, meint Patrik L. nur, schließlich komme am nächsten Tag sein Sohn zu Besuch. Das ist seine größte Sorge. Man müsse daher etwas machen. Diese Nacht. In der Zwischenzeit verlassen Patrik L. und Franziska M. die Wohnung, mit einem toten Kind wollen sie sich dort nicht aufhalten. Sie verabreden sich mit Freunden, man kifft gemeinsam. Patrik L. und Franziska M. verhalten sich bei dem Treffen völlig normal und unauffällig, als sei nichts gewesen. So werden es die Zeugen später aussagen. Gegen Abend kehren sie in ihre Wohnung zurück. Und schmieden einen Plan. 

Vermisstenmeldung bei der Polizei aufgegeben 

Um 1 Uhr nachts klingelt der Wecker. Patrik L. steht auf, zieht sich Lederhandschuhe an und holt einen Müllsack aus der Küche. Im Kinderzimmer packt er Lea-Sofies Leiche und steckt sie in den Plastiksack, den Franziska M. für ihn aufhält. Den Müllsack verstaut L. in einem orangefarbenen Einkaufstrolley. Auf seine Anweisung hin packt Franziska M. noch einige Kleidungsstücke ihrer Tochter in den Trolley.

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Mit diesem Einkaufstrolley brachten die Täter die Leiche von Lea-Sofie weg.

Das Paar verlässt mit der Leiche des Kindes die Wohnung und macht sich zu Fuß auf zum Fühlinger See. Sie überlegen, die tote Lea-Sofie in den See zu werfen, sehen aber davon ab. Weil man würde die Leiche zu schnell entdecken würde, wenn sie an der Oberfläche schwimmt. Stattdessen entkleiden Patrik L. und Franziska M. den toten Körper, packen ihn an Händen und Füßen und werfen ihn in ein abschüssiges Tannengebüsch. Die Leiche von Lea-Sofie verfängt sich in den Ästen. Ihre Kleider verteilen die Mutter und deren Freund auf dem Waldboden. Alles soll so aussehen, als wäre Lea-Sofie entführt worden und einem Sexualmörder zum Opfer gefallen. 

Am nächsten Morgen verwischt Patrik L. noch Spuren in Lea-Sofies Kinderzimmer, blutbefleckte Kleidung und Gegenstände steckt er in einen Plastikbeutel, entsorgt ihn später im Müllraum. Zwischenzeitlich bringt seine Ex-Freundin den gemeinsamen Sohn vorbei. In der Wohnung warten Patrik L. und Franziska M. noch eine Weile, dann gehen sie zur Polizei. Um 13.11 Uhr erscheinen sie auf der Wache Chorweiler. Und erzählen ihre vorbereitete Lügengeschichte. Dass sie Lea-Sofie auf dem Spielplatz im Olof-Palme-Park aus den Augen verloren hätten. Das kleine Mädchen sei verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

„Ich hatte den Eindruck, dass wir emotionaler waren als sie“, wird ein Beamter später vor Gericht über Franziska M. aussagen. Keine Träne habe er gesehen. M.s größte Sorge, so scheint es, ist, dass das Sozialamt erfährt, dass ein Mann bei ihr eingezogen war. Denn dann würden wegen der Bedarfsgemeinschaft die Bezüge gekürzt. „Immer wieder sprach sie davon, dabei war gerade ihr Kind verschwunden“, sagt der Polizist. 

Patrik L. schiebt die Schuld auf seine Freundin 

Patrik L. holt auf Anweisung der Polizei ein Foto aus der Wohnung, für die Vermisstenmeldung. Es zeigt Lea-Sofie in ihrem Kinderzimmer, verschmitzt lächelnd, mit einem Teddybären in den Händen. Im Hintergrund die Wickelablage, auf der Patrik L. das Kind schwerst verletzt liegen gelassen hatte. Die Polizei veröffentlicht das Bild auf ihrem Presseportal, die Nachricht über das Verschwinden eines Kleinkindes verbreitet sich wie ein Lauffeuer.

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Ein Spürhund soll auf dem Spielplatz in Chorweiler die Fährte von Lea-Sofie aufnehmen.

„Im Kölner Stadtteil Chorweiler wird ein zwei Jahre altes Mädchen vermisst. Wo ist die kleine Lea-Sofie? Eine Hundertschaft der Polizei und Spürhunde sind im Einsatz, auch ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera“, heißt es in ersten Meldungen. „Das blond gelockte Mädchen trägt eine graue Jacke mit weißem Innenfell über einem rosafarbenen Pullover sowie eine graue Hose mit einer roten Blume auf einem Hosenbein. Lea-Sofie hat lila Stiefel mit lilafarbenen Herzen an.“ 

Widersprüche in den Aussagen, das seltsame Verhalten von Mutter und Freund. Schnell hegen die Polizisten Zweifel. Und sagen Patrik L. das auch, sie belehren ihn als Beschuldigten. „Lea-Sofie ist tot“, sagt der junge Mann den Beamten, doch die Schuld daran weist er von sich. Seine Freundin habe ihm erzählt, dass das Kind auf eine Kiste gefallen sei. Geglaubt habe er das nicht, die Verletzungen an Lea-Sofie hätten so ausgesehen, „als ob jemand draufgeschlagen habe.“ Franziska M. habe die Leiche dann in der Nacht weggebracht. Wohin, das wisse er nicht. Die Beamten intensivieren danach die Befragung von Franziska M. Die beschuldigt ihren Freund ausdrücklich nicht, gibt aber zu Protokoll, mit ihm zusammen die Leiche von Lea-Sofie zum Fühlinger See gebracht zu haben. 

Reporter finden blutverschmierte Gegenstände 

Zwischenzeitlich hatten zwei Reporter des Kölner „Express“ den Hausmüll am Tatort durchsucht, nachdem die Polizei das versäumt hatte. Die Journalisten finden den blauen Müllsack, den Patrik L. weggeworfen hatte. Mit einer Wickelunterlage und einem Stoffhasen voller Blut. Und den lilafarbenen Stiefelchen mit den Herzen drauf, die in der Vermisstenanzeige stehen. „Spätestens da wussten wir, dass ein Verbrechen passiert ist“, sagt Polizeireporter Oliver Meyer später im Gericht. Die Polizei durchkämmt das Waldgebiet am Fühlinger See, die Beamten finden Lea-Sofies Leiche im Gebüsch. Patrik L. und Franziska M. werden festgenommen, durch einen Richter ergeht Haftbefehl. 

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Diese Gegenstände fanden Reporter im Müll, darunter ein blutverschmiertes Kuscheltier.

Die Anteilnahme, besonders in Chorweiler, ist groß. Kerzen, Blumen und Plüschtiere prägen das Bild am zentralen Pariser Platz, Anwohner versammeln sich in Trauer, lassen Luftballons in den Himmel steigen. Niemand kann, niemand will fassen, was da in ihrer Nachbarschaft passiert ist. Ganz Köln gedenkt des getöteten Mädchens, in der Mitternachtsmesse im Kölner Dom wird für Lea-Sofie gebetet. Zwei Monate später wird das Kind beerdigt. Eine rosa Urne mit Teddybär, aufgestellt in der Trauerhalle des Bonner Nordfriedhofs. Dazu Kerzen, Blumengestecke. Am Grab weint die Oma, wirft Rosen in die Erde. Mutter Franziska M. darf nicht dabei sein, die Staatsanwaltschaft verbietet das. Ein Grabstein in Form eines Buches ziert heute das Grab, ein Foto mit einer strahlenden Lea-Sofie ist darauf zu sehen. 

„Sie hat mich so vorwurfsvoll angeschaut“ 

Die Ermittlungen offenbaren das ganze Grauen. Den dreitägigen Todeskampf, den Patrik L. und Franziska M. zunächst verschwiegen hatten. Die Kölner Staatsanwaltschaft klagt Patrik L. wegen Mordes an, damit droht eine lebenslängliche Gefängnisstrafe. Franziska M. wird Totschlag durch Unterlassen vorgeworfen. Am 16. April 2013 beginnt der Strafprozess vor dem Kölner Landgericht. Über seinen Verteidiger Sebastian Schölzel gesteht Patrik L. das Verbrechen, doch immer noch versucht er, seine Schuld kleinzureden. Zweimal habe er Lea-Sofie geschlagen, das Mädchen hochgerissen. Und von ihr abgelassen, als er die Kopfhaut des Kleinkindes in der Hand gehabt habe. Lea-Sofie habe ihn dabei „so vorwurfsvoll angeschaut“.

Erst, als im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ein Gerichtsmediziner von mindestens zehn heftigen Einwirkungen auf den Kopf von Lea-Sofie spricht, rückt Patrik L. mit der ganzen Wahrheit raus. Dass er das Mädchen im Frust immer wieder malträtiert hat. Und den Tod des Mädchens damit billigend in Kauf genommen hat. „Er hat Lea-Sofie aus egoistischer Selbstsucht getötet. Sie war ein Störfaktor, an dem er seinen Frust ausließ", sagt Staatsanwältin Simone Laumen in ihrem Plädoyer über Patrik L. Sie fordert eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mordes. Laumen spricht von einer „mitleidlosen Gesinnung“ des Angeklagten, dessen Tat an Brutalität kaum zu überbieten sei.

„Sie hat zugelassen, dass ihre Tochter zugrunde geht“, äußert die Staatsanwältin über Franziska M. „Wie Abfall“ sei die Leiche des Kindes weggeworfen worden. Siebeneinhalb Jahre Haft fordert die Anklägerin für die Mutter. Laut Staatsanwältin wiegt die Tat besonders schwer, weil Lea-Sofie hätte gerettet werden können. Die Chancen standen bei 80 Prozent, so ein Gutachter im Prozess, dass Lea-Sofie die Schläge sogar ohne Folgen hätte überleben können. Denn die letztlich zum Tode geführte Hirnschwellung hätte durch eine rechtzeitige ärztliche Versorgung mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden können. 

Anwalt nennt Tod des Mädchens „eine Katastrophe“ 

„Es tut mir leid, was ich gemacht habe“, sagt Patrik L. am vorletzten Prozesstag zur Richterin. Er würde die Zeit gerne zurückdrehen. Und: „Ich werde dafür geradestehen, was ich gemacht habe.“ Verteidiger Schölzel nennt den Tod von Lea-Sofie in seinem Plädoyer „eine Katastrophe“. Aber Patrik L. sei nicht das Monster, das die Öffentlichkeit in ihm sehen wolle. Patrik L. sei am Tattag völlig überfordert gewesen, nachdem Lea-Sofie immer weiter geschrien habe. „Bildungsbürgertum-Eltern wissen, dass sie einfach mal kurz aus dem Zimmer gehen und durchatmen müssen, wenn die Nerven blank liegen", sagt Schölzel. Das sei aber kein Allgemeinwissen.

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Patrik L. im Landgericht neben seinem Verteidiger Sebastian Schölzel.

Schölzel fordert für seinen Mandanten nicht mehr als acht Jahre Haft wegen Totschlags. Über seine Mandantin Franziska M. sagt Verteidiger Lukas Pieplow, dass diese „lebensgeschichtlich schwer beschädigt“ sei. Die Mutter schwer alkoholabhängig, vom Vater missbraucht und geschlagen. „Ich bereue, was passiert ist“, sagt Franziska M. im sogenannten letzten Wort. Anwalt Pieplow hält eine Jugendstrafe von nicht mehr als fünf Jahren für angemessen. Im Gefängnis könnte Franziska M. eine Ausbildung machen, etwa als Friseurin.

Tumult nach dem Urteil: „Die Volksseele kocht“

Die Vorsitzende Richterin Ulrike Grave-Herkenrath spricht zehn Tage später in ihrer Urteilsbegründung von Totschlag und nicht von Mord. Lediglich für zwölf Jahre muss Patrik L. ins Gefängnis, Franziska M. wegen Totschlags durch Unterlassen für sieben Jahre. In Saal 210 des Kölner Landgerichts kommt es zum Tumult. Ein Zuschauer springt über die Absperrung, kommt Patrik L. gefährlich nahe und wird von Wachtmeistern gestoppt. „Dich kriege ich noch, du Hurensohn“, ruft der Mann. Es ist ein früherer Lebensgefährte von Franziska M. und einstiger Ziehvater von Lea-Sofie. „Ich wollte ihm das Genick brechen“, sagt er in TV-Kameras über den Angeklagten, nachdem er des Gebäudes verwiesen worden war. „Das ist der Ausdruck der Volksseele, die kocht“, kommentiert Richterin Grave-Herkenrath den Vorfall.

Die Richterin stellt klar: „Im Gesetz steht nun mal nicht: Wer ein kleines Kind tötet, ist automatisch ein Mörder.“ Das Gericht habe kein Mordmerkmal gesehen, keinen niederen Beweggrund, den die Staatsanwaltschaft angenommen habe. Patrik L. habe „das Kind nicht aus Freude am Quälen misshandelt." Die Situation sei eskaliert, der Täter habe die Nerven verloren. Dass Patrik L. dem kleinen Mädchen nicht half, könne nicht strafschärfend bewertet werden, so die Richterin. Denn mit dem zugegebenen Totschlag, der brutalen Attacke, sei juristisch betrachtet die Tathandlung bereits abgeschlossen. Nicht so bei Lea-Sofies Mutter Franziska M. Sie wird für ihr Nichtstun bestraft. Dafür, dass sie ihr Kind so elendig hat sterben lassen.

Verteidiger: Das emotionalste Verfahren

Es sei das emotionalste Verfahren gewesen, an dem er als Strafverteidiger beteiligt gewesen sei, sagt Rechtsanwalt Sebastian Schölzel heute, „allein wegen des Alters des Kindes und den Umständen, wie es zu Tode gekommen ist.“ Wie kann man so jemanden wie Patrik L. verteidigen? Diese Frage musste Schölzel schon oft beantworten. „Hinter einer solchen Tat steht auch immer ein Mensch, mit seinen Motiven, Ängsten und der persönlichen Schuld, mit der er zurechtkommen muss“, sagt Schölzel. Und jeder Mensch habe den Anspruch auf ein faires Verfahren. „Wir leben in einem Rechtsstaat und der Täter darf nicht rechtlos gestellt werden, sonst würden hier Verhältnisse herrschen, die keiner haben will.“ Als Verteidiger sehe er sich auch als Gegenpol zu einer aufbegehrenden Öffentlichkeit.

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Viele Anwohner beteiligten sich an einer Gedenkfeier für Lea-Sofie.

Eine Öffentlichkeit, die bis heute großen Anteil am Schicksal des kleinen Mädchens aus Chorweiler nimmt. Eine Gedenkseite im Internet, die bisher fast zwei Millionen Mal besucht wurde, weist immer noch fast täglich neue Einträge auf. Der Fall Lea-Sofie: Er wird als einer grausamsten, traurigsten und sinnlosesten Verbrechen in die Kölner Kriminalgeschichte eingehen.

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