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Desolat, katastrophal, selbstverschuldetNeun Thesen zur krassen Wohnungsnot in Köln

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Hochhäuser in Porz-Finkenberg

  • Köln hat die schlimmsten Ghettos von Deutschland. Das sagt Franz-Xaver Corneth.
  • Der Vorsitzende des Kölner Mietervereins beklagt nicht nur eine zunehmende Ghettoisierung und Gentrifizierung der Stadt, sondern auch Behäbigkeit beim Wohnungsbau.
  • Neun Thesen zur Wohnungsnot – und ein Blick in Städte, die es besser machen.

Köln – Desolat, katastrophal, selbst verschuldet. Mit diesen drastischen Worten beschrieb Franz-Xaver Corneth die Situation auf dem Kölner Wohnungsmarkt. „Köln hat die Wohnungssituation verschlafen“, sagte der Vorsitzende des Kölner Mietervereins am Donnerstag. Corneth kritisierte auch die katholische Kirche, die angesichts ihres Immobilienreichtums zu wenig tue, um die Wohnungsnot zu lindern. Corneths Thesen, seine Kritik und einige Lösungsansätze im Detail.

Kölns Wohnungsnot ist selbst verschuldet – und gravierend

Schon in den 1970er Jahren habe die Stadt über das Neubaugebiet Kreuzfeld nachgedacht – mehr als 40 Jahre später soll endlich gebaut werden. Ähnlich behäbig zeige sich die Verwaltung beim Bauen: Die Stadt brauche im Schnitt 13 Monate, um eine Baugenehmigung zu erteilen, als Richtwert seien sechs Wochen vorgesehen. Nie seien in den vergangenen 20 Jahren in Köln weniger Baugenehmigungen erteilt worden als 2018. „Das ist angesichts von 80 000 Wohnungen, die wir bis 2030 brauchen, eine Katastrophe.“ In der Zweigstelle für Baugenehmigungen seien acht Stellen lange Zeit unbesetzt gewesen – inzwischen seien mehr Stellen genehmigt. Auch das Genehmigungsverfahren selbst ist vereinfacht worden.

Anmerkung der Redaktion

Inzwischen hat sich auch die Stadtverwaltung zur Genehmigungsdauer von Bauverfahren geäußert. Es dauere nicht 13, sondern durchschnittlich „6,5 bis 7,5 Monate bei komplexeren Verfahren“, teilt ein Sprecher mit. Die Aussage von Franz-Xaver Corneth sei falsch. Auch einen Richtwert von sechs Wochen bis zur Genehmigung gebe es so nicht. Der Mieterverein verwies damit konfrontiert auf ein Gespräch von Markus Geitemann mit dem „Deutschlandfunk“: Demnach dauere die Bearbeitung von Bauanträgen  „zwischen drei und 18 Monaten“, sagte Hans Jörg Depel, Geschäftsführer des Kölner Mietervereins.

Das ändere nichts an der Zahl von 5000 Wohnungslosen, die zum Teil in Gebäuden lebten, die vor dem Abriss stünden – und in Rohbauten. „Man kann nicht ausschließen, dass Wohnungslose hin und wieder in Rohbauten schlafen, ein Massenphänomen ist das nicht“, sagt Josef Ludwig, Leiter des Amts für Wohnungswesen. „Mit unseren Obdachlosenunterkünften können wir allen Menschen ein Dach über dem Kopf bieten.“

Es gibt nicht zu wenig Flächen, sondern nur zu wenig Bauland und zu wenig kreative Wohnideen

Laut einer Prognose des Landes NRW könnten in Köln in 20 Jahren 188.000 Menschen mehr leben als heute. „Die Stadt ist in gewisser Weise zu attraktiv“, sagte Hans Jörg Depel, Geschäftsführer des Mietervereins. Genug Platz, um die Menschen unterzubringen, gebe es – München habe 300.000 Einwohner mehr und 25 Prozent weniger Fläche. „Wir sollten nicht ausschließen, auch wieder höher zu bauen“, so Depel. Lebensmittelketten wie Aldi und Lidl planen Filialen in Kombination mit Wohnungen. In Berlin sind die Planungen für 2000 Wohnungen auf Discountern schon weit, auch in Köln gibt es Pläne, „die allerdings weiter sein könnten“, wie Corneth meint. In Köln gebe es nicht zu wenig Flächen, sondern lediglich „zu wenig baureife Grundstücke“. Die Neubaugebiete in Zündorf, Porz-Wahn, Rondorf, Mülheim, Kreuzfeld und Volkhoven/Weiler schafften ein wenig Linderung. „Gut ist, dass dort 30 Prozent geförderter Wohnungsbau gewährleistet werden sollen.“

Köln hat die schlimmsten Ghettos von Deutschland

Es sei „katastrophal“, wenn Menschen hinter Mauern lebten, in Köln geschehe das leider in einigen Gebieten. „Das schlimmste Ghetto ist der Hahnwald“, sagte Corneth. „Die sozialen Schichten müssen zusammenleben, dann muss man auch nicht mehr so viel über Inklusion reden.“ Leider würden nur noch 6,8 Prozent aller Wohnungen öffentlich gefördert – obwohl rund die Hälfte der Bewohner Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein habe. In den 90er Jahren sei in Köln noch jede vierte Wohnung gefördert worden. Auch Luxussanierungen führten dazu, dass immer mehr Menschen aus ihren Vierteln vertrieben würden, die Gentrifizierung und Ghettoisierung auf neue Stadtteile übergreife.

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Der Gesetzgeber muss die Modernisierungszulage reduzieren

Normale Mieterhöhungen müssten auf zehn Prozent binnen fünf Jahren beschränkt werden, um den Verdrängungsprozess zu stoppen, sagte Corneth. Die Modernisierungszulage, die Vermieter verlangen dürfen, wenn sie Wohnungen grundlegend sanieren, sei zwar von elf auf acht Prozent reduziert worden, „vier Prozent reichen aber völlig“. Immer wieder müssten Mieter Wohnungen, in denen sie lange Zeit gelebt haben, nach einer Modernisierung und einer drastischen Mieterhöhung verlassen.

Die Stadt muss geltendes Planungsrecht anwenden und von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen – Berlin macht es vor

Wenn Immobilien zum Verkauf stehen, besitzt die Stadt in vielen Fällen ein Vorkaufsrecht. Dies sei ein gutes Mittel, um den Einfluss von Immobilienkonzernen zu reduzieren und die Rechte von Mietern zu schützen. In Berlin-Kreuzberg hat das Bezirksamt im vergangenen Jahr mehrere Wohngebäude gekauft – über 1000 Wohnungen wurden so abgesichert, die Mieter vor Verdrängung geschützt. „Würde in Köln Planungsrecht umgesetzt, bräuchten viele Menschen keine Angst mehr zu haben, umziehen zu müssen“, sagte Corneth. In Berlin argumentiert die Stadt damit, dass der Erwerb der Häuser sicherstellt, dass die Menschen in ihrer Umgebung leben können, fixiert sind diese Ziele in Erhaltungs- und Milieuschutzsatzungen.

Die Stadt Köln muss den Bestand ihrer Viertel besser schützen – zum Beispiel durch Milieuschutzsatzungen

Die Südstadt, Sülz, Lindenthal oder Klettenberg sind längst gentrifiziert – vornehmlich gut verdienende Menschen leben dort. Milieuschutzsatzungen können helfen, die Mischung, so noch vorhanden, zu erhalten, indem Verkäufe an Immobilienhaie verhindert werden. In München gebe es mehr als 20 solcher Satzungen, in Köln nur eine einzige für die Stegerwaldsiedlung in Mülheim, so Corneth. Für einige Veedel wie das Rathenauviertel, die Südstadt oder Sülz sei es vielleicht schon zu spät, „es könnte aber sinnvoll sein, Satzungen für Viertel zu erstellen, die schon bald ähnlich beliebt sein werden“. Als Beispiel nennt Corneth Mülheim, das sich zu einem der beliebtesten Kölner Wohngebiete entwickeln werde – mit Folgen für die Menschen, die sich keine hohen Mieten leisten können.

Die Stadt muss entschiedener gegen die Zweckentfremdung wie durch Airbnb -Vermietungen vorgehen

Airbnb bietet nach eigenen Angaben 7000 Unterkünfte in Köln an. Jüngst hat die Plattform angekündigt, massiv wachsen zu wollen. Die Stadt weiß, dass immer mehr Privatwohnungen in Touristenunterkünfte verwandelt werden. Bislang haben nur zwei Mitarbeiter der Wohnungsaufsicht ermittelt. 1423 zweckentfremdete Wohnungen sind seit Mitte 2014 aktenkundig geworden. „In Hamburg, Amsterdam und Barcelona ermitteln jeweils 35 bis 40 Mitarbeiter“, sagte Corneth. Die Wohnungsaufsicht in Köln wird jetzt um fünf Sachbearbeiter und drei Ermittler aufgestockt. Die Stadt prüft, ob Menschen, die ihren privaten Wohnraum vermieten, von Airbnb und anderen Plattformen gemeldet werden müssen. In München hat ein Gericht so entschieden – wird das Urteil rechtskräftig, könnte es auch der Stadt Köln helfen, illegal vermietete Wohnungen zu finden.

Die katholische Kirche muss sich aufgrund ihres Immobilienreichtums stärker einbringen, um die Wohnungsnot zu lindern

„Die Kirche muss zurück zu ihrem C, sie müsste sich an ihre Wurzeln erinnern“, sagte Corneth. Das Projekt „632 Wohnungen für Köln“, aufgesetzt im vergangenen Jahr, könne „für den großen Grundstücksbesitzer Kirche nur ein Anfang sein“. Thomas Klimmek vom Erzbistum verweist darauf, dass die 632 Wohnungen eine symbolische Zahl bedeuten, die für die Bauzeit des Doms stehe. „Wenn jeder das in seinen Möglichkeiten Stehende tut, kann die gegenwärtige Not gemeinsam gelindert werden. Denn das Evangelium ruft uns Christen auch zum konkreten Anpacken der gesellschaftlichen Probleme auf.“ Dies würde Corneth, Bundesvorstand der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), unterschreiben. Gleichwohl appellierte er an die Kirche und ihre Orden, die über leerstehende Klosteranlagen verfügten: „Stellen Sie preisgünstig Ihre Gebäude auch für geförderten Wohnraum zur Verfügung.“

Es müssen mehr Werkswohnungen gebaut werden

Die Stadtwerke Köln seien der einzige Betrieb in Deutschland, der Werkswohnungen in nennenswerter Zahl (2000) anbiete. Um einen Standort attraktiver zu machen, seien mehr Mitarbeiterwohnungen sinnvoll, findet Corneth. „Ich fordere die Arbeitgeber dazu auf, zum Modell der Werkswohnungen zurückzukehren.“

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