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Deutscher Rock ’n’ RollKölner Musiker hat ein erstaunliches Album produziert

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Till Kersting bei einem Konzert im Juli

Köln – „Ich habe kein Rock-Album gemacht, sondern eine richtige Rock’n’Roll-Platte mit deutschen Songs. So etwas machen hierzulande nur Udo Lindenberg, Peter Maffay und Westernhagen sowie mit kölschen Titeln allenfalls noch Wolfgang Niedecken“, sagt Till Kersting (43). „Aber die sind alle schon über 70. Aus meiner Generation macht keiner mehr die Musik in der Tradition der Rolling Stones. Da bin ich der Einzige.“

Der Kölner Gitarrist, der zur Fernseh-Showkapelle von Carolin Kebekus, zur Band von Tommy Engel und zu der auch international recht erfolgreichen Rockabilly-Formation The Baseballs zählt, hat nach drei englischsprachigen Studioalben, die sich „ganz gut verkauft haben“, die Corona-Beschränkungen der vergangenen Monate genutzt und seine erste deutsche Platte fertiggestellt.

Kölner Künstler Till Kersting: „Da bin ich ganz stolz drauf“

Die heißt „Circuskind“ und wurde jetzt von dem größten Rock’n’Roll-Label Deutschlands, „Bear Family Records“, das ansonsten auf Veröffentlichungen aus dem Nachlass von Legenden wie Elvis Presley, Chuck Berry und Little Richard spezialisiert ist, auf den Markt gebracht. „Als echt aufwendig gestaltete Vinyl-Scheibe. Da bin ich ganz stolz drauf“, sagt Kersting. Denn zu der schwarzen Langspielplatte – vier Songs auf jeder Seite – gehört für 24,95 Euro noch ein 16-seitiges Booklet im Großformat mit Fotos, eine von Südstadt-Künstler Tim Talent gezeichnete Comic-Geschichte zum Lied „Lass uns ans Meer fahren“, eine Autogrammkarte und ein Plektrum – und als kostenlose Zugabe auch noch eine CD mit allen Songs.

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„Aber das ist wohl ein aussterbendes Medium“, glaubt Kersting. „Wer kauft heute noch eine CD? Mein Auto hat keinen CD-Player mehr, mein Rechner kein Laufwerk.“ Auch wenn seine Lieder als Stream auf allen bekannten digitalen Plattformen zu haben sind, gilt seine große Liebe der Vinyl-Scheibe. „Das ist etwas für Liebhaber und Sammler, die noch einen richtigen Plattenspiele zu Hause haben.“ Schließlich habe Niedecken ja auch kürzlich fünf BAP-Alben aus den 80er Jahren – limitiert in einer Box – auf Vinyl veröffentlicht.

Komplett handgemacht und analog produziert

Und es gibt noch mehr Berührungspunkte, denn das „Circuskind“-Album hat Kersting mit seiner Band im früheren Studio von Ex-Bap-Gitarrist Klaus „Major“ Heuser in Sürth aufgenommen. Komplett handgemacht und analog produziert von Thorsten Rentsch mit einer alten 24-Spur-Bandmaschine. Mit Niedecken teilt Kersting die Vorliebe für die Rolling Stones. „Keith Richards ist der Grund, warum ich überhaupt Gitarre spiele. Die ersten Riffs, die ich nachgespielt habe waren von »Route 66«.“

Damals hatte er als Dreizehnjähriger seine Lego-Eisenbahn gegen eine Fender-Gitarre für Rechtshänder eingetauscht, die er als Linkshänder direkt umdrehte. So halte doch nur Jimi Hendrix seine Gitarre, hatte der Verkäufer gesagt, ihm aber sogleich alle Saiten umgespannt. „Ich spielte einige Akkorde und es fühlte sich gut an. Anschließend guckte ich mir fast alles von anderen Musikern ab und wurde mit 14 in eine Zirkusband gesteckt.“

„Bernhard Paul liebt den Rock’n’Roll genauso wie ich“

Denn auch wenn der Album-Titel „Circuskind“ in keinem Song auftaucht, beschreibt er doch seinen Werdegang. Kersting, 1978 in Kassel geboren, ist in einem Bauwagen des „Circo da Cultura“ groß geworden, einem alternativen Zirkusprojekt seiner Eltern, die sich so manches bei Roncalli abgeguckt hatten. Ein lockerer Kontakt zu dessen Chef Bernhard Paul („Der kennt mich, seit ich sieben war“), ist bis heute geblieben. So hat Kersting das Video für den ersten Titel des Albums „Hallo, Hallo“ im Roncalli-Winterquartier in Mülheim aufgenommen. „Bernhard Paul liebt den Rock’n’Roll genauso wie ich. Und die Stones besonders.“

Als Kersting sich als Jugendlicher für deren Musik begeisterte, galt er als Außenseiter. „Ich bin zwar ein Kind der 80er Jahre, aber durch meine Familie mit den 60ern sozialisiert worden. Mit dem 80er-Sound konnte ich überhaupt nichts anfangen“, erinnert er sich. „Mit meiner Telecaster-Gitarre und der Fender-Box bin ich 15 Jahre lang ausgelacht worden. Meinen Retro-Sound nahmen viele einfach nicht ernst.“ Nun hofft er, dass sich das ändert. Und dazu lässt er auf dem Album die Gitarren so richtig krachen. Seine Keith-Richards-Lektionen hat er gelernt, das kann man hören.

Und wenn in der Hommage an Model und Groupie Uschi Obermaier, der Affären mit Richards, Mick Jagger und auch Jimi Hendrix nachgesagt wurden, der „Uh-Uh“-Chor ganz deutlich an „Sympathy for the Devil“ erinnert, sei das nicht zufällig, sondern „extra so gewollt“. Überhaupt habe er das Album „nicht gemacht, um berühmt zu werden, sondern für mich. Das musste alles raus. Ich habe schon vor einigen Jahren angefangen, auch deutsche Texte zu schreiben. Das sind weitgehend autobiografische Geschichten, keine Belanglosigkeiten.“ So verarbeitet er seine Erfahrungen mit Ängsten und Panikattacken, besingt neue Lieben und Trennungen, die Lust am Leben und – im Duett mit Peggy Sugarhill von Rockemariechen – vom großen Wunsch, „ans Meer zu fahren“.

Europa-Tournee auch in Kölner Live Music Hall

Für solche Lieder habe er bisher auf der Bühne keine Plattform gehabt, so Kersting. Doch eine Solo-Tour rund ums Album, die er sehr gerne machen würde, ist derzeit nicht realistisch. „Vor 2023 wird das wohl nichts. Durch die ständigen Verschiebungen von Tourneen und Konzerten sind in den Clubs und den Hallen ja kaum noch Termine frei. Alle wollen ihre Shows von 2020 und 2021 nachholen. So viel Publikum wird es gar nicht geben, wie Künstler auf den Straßen unterwegs sind.“

Bleiben einige Werbemomente in den dritten TV-Programmen und die Europa-Tournee mit den Baseballs, die am 14. Januar auch in Köln in der Live Music Hall Station macht. „Bei allen Konzerten der Tour darf ich im Mittelteil mit Unterstützung der Bandkollegen zwei oder drei eigene Songs vorstellen.“  

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